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Lukas Stöckli

Die Kraft religiöser Gefühle im Umweltschutz – eine vedische Perspektive

Was motiviert uns, den ganzen Umweltschutz-Aufwand zu betreiben? Reicht es, über wissenschaftliches Wissen zum Klimawandel zu verfügen? Oder benötigen wir mehr – eine andere Weltsicht, basierend auf dem, was uns wirklich bewegt und antreibt?

Ich erinnere mich zurück an einen verregneten Tag in der Kantonsschule. Es ist die erste Lektion nach dem Mittag, Geografie. Seit einer Weile sprechen wir über den Klimawandel, dessen Ursachen und Folgen. Herr Frei, mein Lehrer, erklärt, wie hunderttausende von Menschen von der Desertifikation bedroht sind. Zuvor hatten wir bereits gehört, wie Millionen von Menschen durch das Ansteigen des Meeresspiegels um ihren Lebensraum bangen müssen und wie das vermehrte Auftreten von Wirbelstürmen oder auch Erdbeben unter anderem zu enormen landwirtschaftlichen Einbussen führt. Kurz: ziemlich düstere Zukunftsaussichten! Nachdenklich, verunsichert frage ich meinen Lehrer, welche Lösungen wir denn für diese Probleme haben? Und, angesichts seiner stoischen und professionellen Ruhe, wie er selbst diese ganzen Informationen weitergeben könne, ohne dabei depressiv zu werden? Zugegeben, herausfordernde Fragen, aber doch gerechtfertigt, wie ich finde. «Nun», holt Herr Frei aus, «ich habe volles Vertrauen in Ihre Generation! Sie haben dieses ganze Wissen, welches wir und unsere Eltern nicht hatten. Deswegen bin ich fest überzeugt, dass Sie es besser machen werden als wir!» 

Wissenschaftliches Wissen reicht nicht aus …

Irgendetwas an dieser Antwort schien mir etwas naiv, simplistisch zu sein; warum sollten Wissenschaftler:innen und Politiker:innen nicht jetzt schon (tatkräftig) handeln, da sie ja ebenfalls im Besitz dieses Wissens sind, welches wir gerade lernen? Tatsächlich führten mich Fragen wie diese mehr und mehr zu der Überzeugung, dass es mehr braucht als «herkömmliches» Wissen, um zu wirklichen Lösungen zu kommen. Eine grundsätzliche Änderung unserer Weltsicht und unseres Handelns, ganz im Sinne des Zitats von Albert Einstein: «Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, mit der sie entstanden sind». Definitiv, Wissen ist ein entscheidender Faktor, aber das Schulwissen oder das wissenschaftliche Wissen erschien mir einfach nicht als ausreichend, um an die Wurzeln der Probleme zu gelangen.

Der Mensch ist ein Gewohnheitstier

Einige Jahre sind seit jener Geografiestunde vergangen. Vieles ist passiert, Klimagipfel sind ins Land gezogen, Greta Thunberg hat die Weltbühne betreten, die Klimajugend hält die Schweiz in Atem. Durchaus positive Entwicklungen sind zu beobachten, diverse Bemühungen von allen Seiten, um die Umwelt wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Und doch, betrachtet man die globale Situation als Ganzes, relativieren die Probleme und Zukunftsaussichten die lokalen Erfolge. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier, so heisst es, und anerzogene Muster legt er nicht so schnell wieder ab. Wie können wir also wieder ein nachhaltiges Gleichgewicht zwischen Mensch und Natur erlangen?

Die Einstellung «what’s in it for me?» wird ersetzt durch «wie kann ich mein Gegenüber glücklich machen?»

Wer Gott liebt, der liebt seine Schöpfung

Hier bin ich mittlerweile der Ansicht, dass nichts mehr bewirken kann als eine starke Verbindung mit Gott. Wer Gott liebt, der liebt seine Schöpfung. Die vedischen Texte, Jahrtausende alte indische Schriften, verfasst in Sanskrit, erläutern die Bedeutung von ursprünglicher oder metaphysischer Liebe: es ist dies hingebungsvoller Dienst, bhakti genannt. Die Einstellung «what’s in it for me?» wird ersetzt durch «wie kann ich mein Gegenüber glücklich machen?». Und wie mache ich Gott glücklich? Indem ich in Harmonie mit seiner Schöpfung lebe. Eingebettet in den grösseren Kontext wird beim Studium dieser Texte klar: wahres Glück findet sich nicht in der Vergänglichkeit der Materie, sondern letztlich dort, wo sich Emotionen, Liebe manifestieren, nämlich in Beziehungen zwischen Individuen. Bewusst spreche ich an dieser Stelle von Individuen, nicht von Menschen, denn Persönlichkeit oder eben Individualität beschränkt sich gemäss den Veden nicht auf unsere Spezies alleine. Vielmehr wird alles Lebendige miteinbezogen, also auch Tiere und Pflanzen. Jeder Baum wird als von einer Seele, einem Selbst belebt betrachtet, genauso jede einzelne Ameise oder jeder Fisch. 

Aus einem religiösen Gefühl entsteht die Wertschätzung für die Schöpfung Gottes und die Sorgfalt im Umgang mit der Natur. © Vera Rüttimann
Aus einem religiösen Gefühl entsteht die Wertschätzung für die Schöpfung Gottes und die Sorgfalt im Umgang mit der Natur. © Vera Rüttimann

Verbunden mit Mutter Erde …

Diese Individualität, in Sanskrit Atman genannt (man bemerke die phonetische Ähnlichkeit zum griechischen atomos, unteilbar) und die ihr zugrunde liegenden Eigenschaften von Unsterblichkeit, Bewusstsein sowie das konstante Streben nach Glück sind es, die uns Menschen auf einer tieferen, metaphysischen Ebene mit allen anderen Lebewesen verbinden. Auch die Erde ist gemäss dieser Auffassung eine Persönlichkeit, sie wird als Mutter bezeichnet. Genauso wie wir unsere leibliche Mutter achten und lieben, sollen wir mit dieser ursprünglichen Mutter umgehen, die uns das Leben hier und somit das Wiederbeleben unserer bhakti oder Liebe zu Gott erst ermöglicht. 

Unsere Kinder, deren Kindeskinder – alle sind sie nur ein kurzes Aufblitzen in der Ewigkeit.

… oder einfach nur Sternenstaub?

Eine solche Sicht des Lebens erlaubt es uns, tiefer, persönlicher mit unserer Umwelt in Beziehung zu treten. Sie fordert das vorherrschende Weltbild heraus, in dem Persönlichkeit beziehungsweise Bewusstsein auf materielle Substanzen reduziert wird. Denn würden wir alleine auf der Grundlage materieller Wissenschaft weiterdenken, so müssten wir uns letzlich fragen, welchen Sinn es überhaupt macht, die Natur zu schützen. Diese besteht ja sowieso nur aus chemischen und physikalischen Prozessen – und ist somit dem Verfall ausgesetzt. Bewusstsein, Liebe, Glück, Gefühle an sich – alles nur neuronale Abläufe ohne weitere Bedeutung? Sowohl unsere wie alle anderen Spezies sind aus kosmischer Sicht nur für einen Sekundenbruchteil präsent, danach lösen sie sich am Ende in Sternenstaub auf. Unsere Kinder, deren Kindeskinder – alle sind sie nur ein kurzes Aufblitzen in der Ewigkeit. Weshalb also den ganzen Umweltschutz-Aufwand betreiben? Rationale Narrative aus der Wissenschaft vermögen uns hier keine zufriedenstellenden Antworten zur Verfügung zu stellen, weil sie einen sehr wichtigen Teil unserer Existenz vernachlässigen: die Kraft der Emotionen.

Ich bin nicht Gott

Aus Sicht der Veden hört nachhaltiges Denken nicht damit auf, wie wir natürliche Ressourcen auch für zukünftige Generationen nutzbar machen können. Es betont vielmehr, dass die natürlichen Ressourcen neben dem direkten, praktischen Nutzen die Möglichkeit bieten, sich mit Gott zu verbinden. Nichts in dieser Welt gehört mir, was ich daran erkennen kann, dass ich die Grundbausteine dieser Dinge nicht selbst herstellen kann; ich bin immer auf Sonne, Sauerstoff, Wasser und ähnliches angewiesen. Sie unterliegen nur bedingt meiner Kontrolle. Das bedeutet, etwas, jemand anderes stellt uns diese Dinge zur Verfügung und tritt dadurch in eine Verbindung mit uns. Ich bin nicht Gott. Aber untrennbar mit ihm verbunden.

Wandel des Bewusstseins

Hier schliesst sich der Kreis: weil er [1] ein Individuum ist (so wie wir es sind, nach seinem Abbild, wie es so ähnlich in der Bibel beschrieben wird), können wir uns ihm erkenntlich zeigen, indem wir ihn erfreuen. So wie eine Mutter sich über die Blume freut, die ihr Kind ihr aus dem eigenen Garten zum Geburtstag schenkt, so freut sich Gott, wenn wir die von ihm zur Verfügung gestellte Energie mit Dankbarkeit und Liebe zurückgeben. Das bedeutet, dass wir seine Schöpfung nutzen, um ihm und all seinen Teilen zu dienen. Dieser Akt der Anerkennung und Wertschätzung ist es, der uns demütig macht und zugleich Zufriedenheit schenkt. Er gibt uns zu verstehen, dass nicht nehmen glücklich macht, sondern geben und transzendiert somit selbstische Motive des Egos.

Emotionen sind es, die uns antreiben, uns von alten Mustern und Gewohnheiten zu lösen.

Emotionale Beziehungen zu Gott und zur Natur als Schlüssel

Erst in einem solchen Bewusstsein, so bin ich mir sicher, kann die Natur auch wirklich geschützt werden, weil uns Emotionen wie Dankbarkeit, Demut und Liebe sowohl auf der menschlichen, aber eben auch auf der metaphysischen Ebene des Selbst’ vielmehr ansprechen, als es wissenschaftliche Fakten jemals können werden. Emotionen (vom lateinischen emovere, herausbewegen oder motum, erschüttern) sind es, die uns antreiben, uns von alten Mustern und Gewohnheiten zu lösen. Sie erlauben es uns, die Barrieren, die der Verstand uns oft auferlegt, zu durchbrechen und die Einheit mit Gott zu erfahren. [2] Auf der Basis dieser Gefühle, die alle aus der Liebe zu Gott entspringen, entsteht automatisch Liebe für die Schöpfung Gottes. Daraus schliesslich entstehen natürlicher Respekt und natürliche Sorgfalt im Umgang mit der Natur; denn, im wahrsten Sinne des Wortes, was könnte natürlicher sein, als das zu lieben, wovon wir ein organischer Teil sind? 


[1] Das männliche Pronomen wird hier der Einfachheit halber benutzt; Gott umfasst gemäss vedischem Verständnis aber Weiblichkeit genauso wie Männlichkeit (verkörpert in Radha-Krishna).

[2] Diese Einheit wird von den Veden als qualitativ beschrieben, wobei gleichzeitig ein quantitativer Unterschied stets bestehen bleibt. Eine einzelne Seele hat also dieselben Eigenschaften wie Gott, aber niemals in demselben Ausmass; sie kann deshalb niemals die Stelle Gottes einnehmen.

Nach einer tieferen Auseinandersetzung mit Philosophie, Glauben und Religionen fand Lukas Stöckli vor ungefähr 2016 durch das Praktizieren von Yoga zu den Hare Krishnas. Angetrieben von Neugier und Wissensdurst nahm er daraufhin auch ein Studium der Religionswissenschaft in Angriff, welches er 2021 mit dem Bachelordiplom vorerst abgeschlossen hat. Momentan vertieft er sich als Mönch in seinen Erfahrungen mit Gott auf dem bhakti yoga Pfad.

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