Charisma  ·  Heilsversprechen  ·  Religionsgeschichte
Studierende der Universität Luzern

Heilsversprechungen – Religionsgeschichte des 20. Jahrhunderts

Heilsversprecher:innen sind charismatische Personen, die verstärkt im 20. Jahrhundert neue Religionen und Weltanschauungen begründeten. Studierende des Religionswissenschaftlichen Seminars der Universität Luzern stellen uns einige dieser Persönlichkeiten aus dem 20. Jahrhundert vor und zeigen, wie ihre Ansichten und Ideen mit gesellschaftlichen Einflüssen und Entwicklungen zusammenhingen.

Das 20. Jahrhundert gilt als das Jahrhundert der Religionen. Obgleich die etablierten religiösen Institutionen aufgrund von technischen Neuerungen und dem Einfluss der Wissenschaft an Bedeutung verloren, traten zunehmend einzelne Persönlichkeiten als religiöse Autoritäten oder so genannte «Heilsversprecher» in den Vordergrund. Mit ihren Antworten vermittelten sie in einer Zeit des gesellschaftlichen Umbruchs ihren Anhänger:innen eine vermeintliche Sicherheit. 

Am anschaulichsten demonstriert das Weltparlament der Religionen diese Entwicklung. Im Jahr 1893 versammelten sich Religionsvertreter:innen aus der ganzen Welt zum ersten Weltparlament der Religionen in Chicago. Anlass der Versammlung war die Weltausstellung, die an den 400. Jahrestag der Entdeckung Amerikas durch Christoph Kolumbus erinnerte und über 700 000 Besucher:innen anlockte.

Bei der Weltausstellung wurden neue Erfindungen wie der Reissverschluss, die Geschirrspülmaschine oder der elektrische Stuhl vorgestellt. Anliegen der Ausstellung war es, den zivilisatorischen Fortschritt aufzuzeigen.

Religion wurde mit einer neuen Bedeutung versehen und neu ausgehandelt.

Es versammelten sich jedoch auch die Vertreter der zehn bedeutendsten Weltreligionen. Als solche verstand man Hinduismus, Buddhismus, Jainismus, Zoroastrismus, Daoismus, Konfuzianismus, Shintoismus, Judentum, Christentum und Islam. Religion wurde mit einer neuen Bedeutung versehen und neu ausgehandelt. Deutlich wird diese Entwicklung beispielsweise daran, dass die Religionsfreiheit viele Jahre später, 1948, in der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte festgeschrieben wurde.

Das Weltparlament der Religionen war noch stark vom Kolonialismus geprägt. So bemühte sich beispielsweise Indien um die Unabhängigkeit von Grossbritannien. Die vermeintliche Überlegenheit der Kolonialherren drückte sich teilweise auch durch die Vertreter der Religionen aus. So lehnten es einige christliche Vertreter auch ab, zu solch einer Veranstaltung zu erscheinen. Andere Vertreter werteten «ihre» Religion auf, indem sie sich als Repräsentanten einer Weltreligion präsentierten. Grundsätzlich zeigt das Weltparlament der Religionen, dass nicht länger nur religiöse Institutionen, sondern auch zunehmend einzelne Akteure Religionen oder religiöse Gemeinschaften repräsentierten. 

Anhand dieser einzelnen Vertreter zeigen sich gesellschaftliche Einflüsse und Entwicklungen. Zudem veranschaulicht dieser Umstand auch die Auseinandersetzung mit dem Religionsbegriff und die Frage danach, wie sich Religion(en) definieren lassen.

© Nathan Mullet/unsplah

Im Folgenden stellen wir einzelne Vertreter «des Jahrhunderts der Religionen vor». Es handelt sich um bekannte Persönlichkeiten wie den Musiker Bob Marley und weniger bekannte Personen wie Tirumala Krishnamacharya. Diese Vertreter sind vorwiegend männlich. Auch wir stellen nur männliche Heilsversprecher vor. Der Vollständigkeit halber, soll jedoch darauf hingewiesen werden, dass auch Frauen wie beispielsweise Mutter Theresa einen Einfluss auf die Religionsgeschichte des 20. Jahrhunderts hatten. Zudem hatten einzelne Frauen häufig einen massiven Einfluss auf männliche Heilsversprecher. Als Beispiel sei hier der vietnamesische Zen Meister Thich Nhat Hanh genannt, der von der Nonne Chang Khong bei der Etablierung des engagierten/angewandten Buddhismus geprägt und unterstützt wurde.

Bei aller Verschiedenheit bezüglich Lebenszeit, Mittel, die eigene «Wahrheit» zu verbreiten, und Organisationsstruktur einer bestimmten Weltanschauung, lassen sich bei allen vorgestellten Persönlichkeiten Gemeinsamkeiten feststellen. Auf diesen Umstand gehen wir in einem Fazit nochmals ein.

Swami Vivekananda: das erste Gesicht des Hinduismus im Westen

Mit dem Einstieg «Sisters and brothers of America» begann Swami Vivekanandas Rede am Weltparlament der Religionen im September 1893. Dieser erste Halbsatz wurde direkt mit einem zweiminütigen Applaus geehrt. Obwohl er zu dieser Veranstaltung nicht geladen war, positionierte sich der damals 30-jährige Mönch auf einer Weltbühne als Vertreter des Hinduismus. Geboren wurde er 1863 als Narendranath Datta in Kalkutta. Seine Mutter sagte über ihn: «Ich betete zu Shiva für einen Sohn und bekam einen seiner Geister.» Als junger Mann war er wissbegierig und keiner seiner Lehrer konnte ihm befriedigende Antworten auf seine vielzähligen Fragen geben. Schliesslich fand er in Sri Ramakrishna seinen zukünftigen Guru und Meister. Er wanderte einige Jahre als Bettelmönch durch Indien, um das Land zu sehen und zu lernen. Als er am Weltparlament der Religionen auftrat, gab er dem Hinduismus im Westen erstmals ein Gesicht. 

Ursprünglich ist der Begriff Hinduismus eine britische Fremdbezeichnung der Kolonialzeit und bezeichnete die nichtchristlichen und nichtmuslimischen Menschen auf dem indischen Subkontinent. Dennoch lassen sich einige Gemeinsamkeiten wie Vorstellungen von Reinheit oder Unreinheit, Karma, Seele, Wiedergeburt und Verehrung der Gottheiten benennen. So kann trotz aller Unterschiedlichkeit vom Hinduismus gesprochen werden. 

Vivekananda sprach sich in seinen Reden für den Zugang zu Religionen und das friedliche Zusammenleben aller Menschen aus.

Vivekananda sprach sich in seinen Reden für den Zugang zu Religionen und das friedliche Zusammenleben aller Menschen aus. Nach seiner Rede am Weltparlament der Religionen wurde er zu vielen weiteren Aufritten eingeladen und erfreute sich hoher Popularität. 

Vivekananda war es wichtig, die ausserordentliche Bedeutung von Spiritualität im menschlichen Leben zu betonen. Die Herausforderung bestand in seinen Augen darin, Indiens materiellen Wohlstand zu fördern und zugleich das spirituelle Leben beizubehalten. Umgekehrt sah er bei seinem Besuch in Amerika einen materiellen und technologischen Fortschritt, mit dem für ihn eine Verkümmerung des Geistes einherging. Mit der indischen Rückbesinnung auf die eigene Kultur und dem wachsenden Nationalbewusstsein entstand Ende des 19. Jahrhunderts in Indien ein neues Interesse für die Lehren des Yoga, was bald darauf auch den Westen beeinflusste. 

Parlament der Religionen, 11. September 1893, im Art Institute of Chicago. Von links nach rechts: Virchand Gandhi, Hewivitarne Dharmapala, Swami Vivekananda, (möglicherweise) G. Bonet Maury. Bild: Wikimedia Commons

Vivekanandas psychologisierende, in westliche Begriffe übersetzte Interpretation des Yoga wurde zum wichtigsten Bezugspunkt der westlichen und auch indischen Neuinterpretationen des Yoga. In seiner professionell organisierten Vortragstournee machte er den Yoga in einer verständlichen Sprache einem breiten Publikum bekannt. Er propagierte vier verschiedene Arten der Yoga-Lehre: Bhakti-Yoga (Yoga der Hingabe), Jnana-Yoga (Yoga des Erkennens), Karma-Yoga (Yoga des Tuns) und Raja-Yoga (Der königliche Yoga). Seine Darstellung war eine vereinfachte Form des sehr komplexen Yoga-Konzeptes und war beeinflusst durch die Lehre, die er bei seinem Meister Ramakrishna kennenlernte. 

Er wurde dank seiner Verbreitung der indischen Lehren und des Hinduismus auch «The Messenger of Indian Wisdom» genannt. Zentrale und wiederkehrende Themen in seinen Reden waren Nächstenliebe und eine positive Weltansicht. Nach seiner Rückkehr gründete er in Indien die wohltätige «Ramakrishna»-Mission, die er nach seinem verstorbenen Lehrer benannte. Nach seinem Rückzug in die Berge des Himalayas, währenddem er sich der Meditation widmete, starb Swami Vivekananda im Alter von nur 39 Jahren. Um seine Todesursache ranken sich verschiedene Geschichten, darunter eine Hirnblutung, Diabetes oder ein Herzinfarkt. Viele seiner Anhänger:innen glaubten auch, dass Vivekananda seinen Tod im Voraus angekündigt hatte und sich selber entschied, durch das Abtrennen des Prana (kosmische Urenergie) vom Körper seine menschliche Form zu verlassen.

Vom Urvater des westlichen Zen-Buddhismus: Daisetz Teitaro Suzuki

Daisetz war ein Brückenbauer zwischen Ost und West. So erklärte er: «Ich widme mein ganzes Leben der Aufgabe, den Zenbuddhismus der westlichen Welt nahe zu bringen und verständlich zu machen.» Zwischen buddhistisch-asiatischen Reformern und westlichen Akteuren aus Wissenschaft, Theosophie, Kunst und Literatur fand ein reger Austausch statt. Suzukis religiöse Darstellung des Zen-Buddhismus steht im Zusammenhang mit diesem Austausch und kann als eine Art Reform verstanden werden.

Daisetz Teitaro Suzuki (1870 – 1966) gehörte einer Samurai Familie an. Er war das Jüngste von vier Kindern der Familie Suzuki. Sein Vater starb, als er sechs Jahre alt war, und somit war er schon früh für seinen Lebensunterhalt selbst verantwortlich. Mit 19 Jahren zog Suzuki für sein Studium nach Tokio. Dabei entdeckte er seine Faszination für den Zen-Buddhismus. Sein erster religiöser Lehrmeister, Shaku Soen, förderte den innerbuddhistischen Austausch zwischen der asiatischen Tradition und der Moderne. Daisetz Teitaro Suzuki durfte als Übersetzer von Shaku Soen 1893 ans Weltparlament der Religion nach Chicago mitgehen. Im Laufe seines Lebens war er ein Zen-Lehrmeister in Amerika und Europa, bis es 1908 wieder nach Japan zurückkehrte und dort später Professor für Buddhistische Philosophie wurde.

Suzuki kann als Begründer des modernisierten Zen-Buddhismus verstanden werden. Ein zentraler Punkt des Zen-Buddhismus besteht in der Meditation und dem Erleben des gegenwärtigen Augenblickes. Diese Elemente brachte Suzuki in den Westen und durch ihn entstanden westliche Zen-Schulen. 

Vom Yoga zur post-religiösen Wellness? Die Yoga-Lehre des Tirumala Krishnamacharya

Der Begriff Yoga stammt aus unterschiedlichen indischen Denk- und Religionstraditionen. Claudia Guggenbühl, Indologin und Forscherin zu Yoga in der Schweiz, sagt: «Yoga bedeutet innere Stille, tiefe Konzentration und Versenkung, ein Zustand, in dem die Wellen des Gemüts (Gedanken, Gefühle, Erinnerungen, Absichten) zur Ruhe gekommen sind. Es ist die Erfahrung von Stille und Leere jenseits aller Gedanken und Gefühle. Gleichzeitig bezeichnet Yoga auch eine Reihe von Techniken und Übungen, die helfen sollen, diesen inneren Zustand zu erreichen.» Yoga dient heutzutage weltweit wohl mehr einer entspannenden Form der Selbstoptimierung als einer religiösen Praxis.

Begründer des modernen Körperhaltungs-Yoga

Krishnamacharya verstand Yoga als Weg zur Steigerung des Wohlbefindens, zur Therapie von Krankheiten sowie als spirituell-religiöse Praxis. Die wichtigsten Neuerungen, die er einführte, waren die Ausweitung der Praxis des Yoga vom Sitzen auf das Stehen sowie neue Kombinationen von Bewegungsabläufen, Körperstellungen und Atemtechniken. 

Tirumala Krishnamacharya wurde 1888 in Südindien geboren und gilt als der Begründer des modernen Körperhaltungs-Yoga. Aufgrund einer Vision, die Yoga-Lehre weiterzugeben, soll Krishnamacharya sieben Jahre die Yoga-Lehre in Askese und Abgeschiedenheit beim Yogi Ramamohana erlernt haben. 

Krishnamacharya gab Impulse, welche bis heute weltweit in der unterschiedlichen Praxis des Yoga wirkungsvoll sind. 

Richtungsweisend war das Jahr 1926, er wurde vom regierenden Fürsten in Mysore an dessen Hof eingeladen, um Yoga zu unterrichten. Ab 1933 betrieb Krishnamacharya in Mysore eine eigene Yoga-Schule, wobei er begann, individuelle Übungen zu entwickeln sowie zu lehren. Nach kurzer Zeit unterrichtete Krishnamacharya erste internationale Schüler:innen, integrierte westliche Ideen (z.B. aus Sport, Dynamik) und entwickelte somit Yoga in Indien weiter, was wiederum auf die westliche Welt Einfluss nahm. Krishnamacharya gab Impulse, welche bis heute weltweit in der unterschiedlichen Praxis des Yoga wirkungsvoll sind. 

1949 gründeten der indische Arzt und Yogalehrer Selvarajan Yesudian und die ungarische Künstlerin Elisabeth Haich die ersten Yoga-Schulen in der Schweiz. Ab 1968 wurde die Ausbildung für Yoga-Lehrende in der Schweiz professionalisiert. Das Interesse an Yoga ist seither weltweit stark angestiegen und Yoga wird an vielen Schulen unterrichtet. Wie es Krishnamacharya gelehrt hat, ist auch die Art und Weise wie Yoga in der Schweiz heutzutage praktiziert wird, ein Weg zur Steigerung des Wohlbefindens, zur Therapie von Krankheiten als auch eine spirituell-religiöse Praxis. In der Schweiz haben gemäss Hochrechnungen eine Million Menschen Yogaerfahrung, eine halbe Million praktizieren regelmässig Yoga. 

L. Ron Hubbard und die Scientology Kirche

Nach dem 2. Weltkrieg herrschte in den 1950er Jahren ein marktplatzähnlicher Zustand, denn überall schossen neue Glaubenskonstrukte aus dem Boden, die der Menschheit angeboten wurden. Hubbard war ein exzellenter Verkäufer und konnte sich mit seinem Angebot etablieren – und dies bis heute. Seine Bücher, die sich als die Grundpfeiler der Scientology Kirche herauskristallisieren sollten, waren auf Bestseller-Listen zu finden. 

Für seine Kritiker war Hubbard eine Person, die durch ihre Kirche «Gehirnwäsche» förderte und den Ruf von Scientology als Religion und Kirche nutzte, um sich zu bereichern. 

Der Amerikaner Lafayette Ronald Hubbard, Science-Fiction-Bestsellerautor, lebte zwischen 1911 und 1986 in Amerika und gilt als Gründer der Scientology Kirche. Sein Vermächtnis ist bis heute noch erkennbar. Für seine Anhänger:innen ist Hubbard ein grosser Wissenschaftler, der die Entdeckungen gemacht hat, um den grossen Fragen im Zusammenhang mit dem menschlichen Geist auf die Spur zu kommen. Für seine Kritiker war Hubbard eine Person, die durch ihre Kirche «Gehirnwäsche» förderte und den Ruf von Scientology als Religion und Kirche nutzte, um sich zu bereichern. 

Das Leben von Hubbard spielte sich nicht in der Öffentlichkeit ab, denn nach mehreren Verurteilungen war es für ihn nicht mehr möglich, sich frei in der Welt zu bewegen. Er lebte bis zu seinem Tod abgeschieden und «untergetaucht» in Amerika.  

Scientology und das Konstrukt eines Glaubens

Die Dianetik wurde von Hubbard begründet und bildet bis heute ein wichtiges Puzzleteil des Glaubens in der Scientology Kirche. Mit der Hilfe von Dianetik soll der menschliche Geist durch «Auditierung» (auditing) geklärt (clear) werden. Dieser Vorgang wird durch einen Auditor vollzogen, der den Geist durch eine einzigartige Technik klar machen und somit befreien könne. Es kommt einem Heilsversprechen gleich: Erst der «geklärte» menschliche Geist könne sein ganzes Potenzial abrufen. 

L. Ron Hubbard leitet ein Dianetik-Seminar in Los Angeles, Kalifornien, 1950. Bild: Wikimedia Commons

Unter den Scientolog:innen gibt es, begründet durch die Thetan-Idee, ein stark hierarchisches System. Jeder menschliche Körper trage mindestens einen Thetan in sich, der mit Hilfe der Dianetik befreit werden soll. Das Ziel ist die vollständige Befreiung mittels Auditing. Gleichzeitig ist mit der graduellen Befreiung eine Hierarchie verbunden: je stärker ein:e Scientolog:in in der Befreiung fortgeschritten ist, desto höher ist sein/ihr Rang innerhalb der Scientology Kirche. Die Auditionen hängen immer direkt mit einem monetären Aufwand zusammen und sind somit exklusiv.

Die Scientology Kirche führt in diversen Ländern bis heute einen Rechtsstreit um die Anerkennung der Gemeinschaft als Religion. Nach dem Versterben von L. Ron Hubbard (1986) hat David Miscavige die Rolle als Leader der Scientology Kirche übernommen. Die Scientology Kirche bemüht sich aktiv um Testimonials, wie jenes des Schauspielers Tom Cruise, der öffentlich für die Scientology Kirche wirbt. Im Hintergrund werden Kritiker:innen immer wieder mit Rechtsklagen eingeschüchtert oder in den Ruin getrieben. 

Bob Marley und die children of Ethiopia

Mit dem Namen Bob Marley verbinden die Meisten wohl zunächst Reggae, Rastafrisuren oder Marihuana und nicht Religion – doch Bob Marley war ein Rastafari und damit Teil einer christlichen Befreiungsbewegung.

Robert Nesta Marley, so Bob Marleys bürgerlicher Name, wurde 1945 in der damaligen britischen Kolonie Jamaika geboren und wuchs in einer ländlichen Gegend auf. Mit 16 Jahren verliess er die Schule, folgte seiner Mutter nach Kingston und machte ihr zuliebe eine handwerkliche Ausbildung, bevor er sich einige Jahre später ganz der Musik widmete. Ab Mitte der 1970er feierte er internationale Erfolge. Er verstarb 1981 im Alter von erst 37 Jahren.

Sein Glaube – ein Rastafari und seine Lieder 

Der Rastafarianismus ist in den 1930er Jahren in Jamaica über mehrere Persönlichkeiten als Befreiungsbewegung gegen die britische Kolonialmacht entstanden. Sie gilt als Subkultur des Christentums und stellt oft Bezüge zum ersten Testament her, so über den Babylon-Diskurs. Babylon steht dabei für das unmenschliche und unterdrückerische westliche Herrschaftssystem, insbesondere bezogen auf Ausbeutung und Sklaverei.

Hinzu kommt ein «Zurück-nach-Afrika»-Fokus: Afrikaner:innen werden bei den Rastafaris auch als «children of Ethiopia» bezeichnet und biblische Bezüge zu Afrika idealisiert. Ihre Verehrung gilt dem äthiopischen Kaiser Ras Tafari Makonnen, später Haile Selassie genannt, der als religiöses Oberhaupt oder als gottgleich angesehen wird. Rasta-Frisuren (Dreadlocks) gehören zum typischen äusseren Erscheinungsbild und das Rauchen von Marihuana hat eine grosse rituelle Bedeutung. Beide Merkmale gelten den Rastafaris als heilig.

Demgegenüber zeichnet ein Artikel der Neuen Zürcher Zeitung von 2011 das Bild eines rassistischen, homophoben und frauenfeindlichen Rastafarianismus.

Bob Marley, ab den 1960er Jahren ein bekennender Rastafari, hat seine Überzeugung verschiedentlich in seinen Liedern thematisiert. So singt er über die Rasta-Religion oder Haile Selassie, beispielsweise in «Selassie is the Chapel», «Rastaman Vibration», «Mental Slavery» oder «Blackman Redemption». Darin enthalten sind Motive wie Heilung, Versöhnung, Befreiung aus einer inneren und äusseren Versklavung oder das Erkennen des Göttlichen im eigenen Selbst. Die Rastafaris sehen ihre Bewegung oftmals weniger als Religion, denn als «Livity», d.h. ein diszipliniertes konsumkritisches, vegetarisches und naturverbundenes Leben, wofür auch Marley bekannt gewesen sei. Demgegenüber zeichnet ein Artikel der Neuen Zürcher Zeitung von 2011 das Bild eines rassistischen, homophoben und frauenfeindlichen Rastafarianismus.

Rastafarianismus heute – in der Schweiz und weltweit

Inzwischen gibt es viele Rastafari weisser Hautfarbe, auch in der Schweiz, wo Gemeinschaften in Aarau, Zürich oder Genf existieren, wobei ihre Zahl seit Beginn der 2000er Jahre abnehme. Der Kontakt zwischen den Schweizer Rastafaris bleibe dennoch weiterhin lebendig. 

Der bereits erwähnte «Zurück-nach-Afrika»-Fokus ist heutzutage zum Beispiel in Ghana spürbar, wo die Rastafari-Gemeinschaft wächst. Der ghanaische Staat erkennt den Rastafarianismus allerdings nicht als Religion an. Die dort lebenden Rastafaris klagen über Diskriminierungen. So bliebe ihnen wegen ihrer Rasta-Frisuren beispielsweise der Zugang zur Bildung oder Arbeitswelt verwehrt. 

Durch Bob Marleys Reggae und dank seiner grossen Popularität verbreitete sich der Rastafarianismus weltweit. Vielen Rastafari gilt Marley zudem als Identifikationsfigur. Ob man ihn nun als Heilsbringer, Heilsversprecher oder schlicht als Heilsverbreiter versteht, scheint dabei nebensächlich.

Vom Charisma zur Bewährung im Alltag

Die vorangegangenen Porträts geben einen Einblick in das Leben und den Herkunftskontext ganz unterschiedlicher Personen, die die Religionsgeschichte des 20. Jahrhunderts beeinflussten. Wie sich anhand der einzelnen Personen zeigen lässt, hatten gesellschaftliche Bedingungen einen Einfluss auf die Etablierung «neuer Weltanschauungen» und darauf, dass einzelne Personen als religiöse Autoritäten anerkannt wurden. Veränderte Bedürfnisse wie der zunehmende Fokus von Religiosität auf die eigene Person (Selbst-Religion), die unverbindliche Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft (Believing without belonging) sowie der Einfluss von Wissenschaft und technischem Fortschritt prägten die Pluralisierung von Religion(en).

Jeder der vorgestellten Heilsversprecher entwickelte Ansätze für die «richtige» Lebensführung seiner Anhänger:innen.

Darüber hinaus wird allen vorgestellten Personen ein Charisma zugesprochen. Ihr Auftreten, ihre Wortwahl und ihre Ausstrahlung fanden globalen Zuspruch und ermöglichten die Verbreitung ihrer Ideen. Teilweise werden ihnen aussergewöhnliche Fähigkeiten zugeschrieben oder sie selbst berichten von ausseralltäglichen Schlüsselerlebnissen. Sie alle erlangten aus eigener Kraft religiöse Autorität und nicht aufgrund von Traditionen oder der Wahl als Repräsentant:in einer Glaubensgemeinschaft. Wie die Beispiele zeigen, schafften sie es, ihre (religiösen) Ideen auch unabhängig von der eigenen Person in organisierte und institutionalisierte Formen zu übertragen und so zur «Veralltäglichung» des Charismas beizutragen.

Letztlich zeigt sich diese Veralltäglichung in der Lebensführung. Jeder der vorgestellten Heilsversprecher entwickelte Ansätze für die «richtige» Lebensführung seiner Anhänger:innen. Am radikalsten zeigt sich dieser Einfluss bei den vorgestellten Persönlichkeiten wohl bei den Anhänger:innen der Scientology Kirche. So gilt es für Scientolog:innen, sich im Alltag an genaue Vorgaben der Kirche zu halten. Die Lehre Hubbards übt folglich einen starken Einfluss auf das Leben seiner Anhänger:innen aus. Mit der Legitimation gegenüber den Anhänger:innen geht die Legitimation gegenüber der Umwelt einher. Um beim Beispiel der Scientology Kirche zu bleiben: Seit der Entstehung der Gemeinschaft müssen sich ihre Vertreter:innen immer wieder mit der Frage auseinandersetzen, ob es sich bei der Scientology Kirche tatsächlich um eine religiöse Gemeinschaft handelt. 

Die Bewährung innerhalb der Gemeinschaft sowie aber auch ausserhalb der Gemeinschaft ist folglich ein wichtiges Kriterium für eine:n Heilsbringer:in oder eine:n Heilsversprecher:in.


Weiterführende Literatur:

Alhassan, Shamara Wyllie (2020): «‘We Stand for Black Livity!’: Trodding the Path of Rastafari in Ghana.» In: Religions (Basel, Switzerland) 11.7, S. 1–10.

Bainbridge, W. S., & Stark, R. (1980). Scientology: To Be Perfectly Clear. Sociological Analysis, 41(2), 128–136. https://doi.org/10.2307/3709904

Baumann, Martin; Stolz, Jörg: Eine Schweiz – viele Religionen. Risiken und Chancen des Zusammenlebens. Bielefeld, 2007.

Guggenbühl, Claudia (2022). «Yoga Schweiz». Online: https://www.yoga.ch/yoga/ 

Rzepkowski, Horst. (1971): Daisetz T. Suzuki und das Christentum. In: Zeitschrift für Religion- und Geistesgeschichte. Vol. 23 N. 1. Brill JSTOR. 104-116.

Soland, Remo: Der indische Yoga: Rezeption und aktuelle Lage in der Schweiz. 2008.

Stausberg, Michael. (2020): Die Heilsbringer. Eine Globalgeschichte der Religionen im 20. Jahrhundert. C. H. Beck. München.

Weber, Max: Wirtschaft und Gesellschaft. Tübingen 1985, Teil 1, Kapitel 1, § 16; Kapitel 3

Dieser Artikel ist im Rahmen des Seminars «Heilsversprechungen – Religionsgeschichte des 20. Jahrhunderts» unter der Leitung von Dr. Rebekka Khaliefi entstanden. Studierende beschäftigten sich ein Semester lang auf Grundlage des Buches «Die Heilsbringer. Eine Globalgeschichte der Religionen des 20. Jahrhundert» von Michael Stausberg (2020) mit den Biografien unterschiedlicher Heilsversprecher und diskutierten die Frage, weshalb einzelne Persönlichkeiten zu so genannten «Heilsbringern» wurden.
Cédric Bähler studiert Kulturwissenschaften und setzte sich im Rahmen des Seminars mit der Scientology Kirche und insbesondere ihrem «Gründervater» L. Ron Hubbard auseinander.
Lisa Heyl konzentriert sich im Rahmen ihres Global studies Masterstudiums auf das vielseitige Thema Heilung in Geschichte und verschiedenen Kulturen.
Myriam Huser studiert an der Universität Luzern Religionswissenschaft und Geschichte auf Bachelorstufe.
Adrian B. Imhof studiert an der Universität Luzern Kulturwissenschaften und beschäftigte sich im Rahmen des Seminars mit der Frage weshalb Daisetz Suzuki als Heilsbringer des Zen Buddhismuses verstanden werden kann.
Rebekka Khaliefi hat sich in ihrer Doktorarbeit am religionswissenschaftlichen Seminar der Universität Luzern mit dem vietnamesischen Buddhismus beschäftigt.
Frieda Rebsamen beschäftigt sich in ihrem Studium der Religionswissenschaft und Geschichte mit der wechselseitigen Beeinflussung von Religion und Gesellschaft in der Religionsgeschichte.

Autor

  • Studierende der Universität Luzern

    ||| Die Studierenden der Universität Luzern haben im Rahmen des Seminars «Heilsversprechungen – Religionsgeschichte des 20. Jahrhunderts» Artikel unter der Leitung von Dr. Rebekka Khaliefi verfasst. Sie beschäftigten sich ein Semester lang auf Grundlage des Buches «Die Heilsbringer. Eine Globalgeschichte der Religionen des 20. Jahrhundert» von Michael Stausberg (2020) mit den Biografien unterschiedlicher Heilsversprecher und diskutierten die Frage, weshalb einzelne Persönlichkeiten zu so genannten «Heilsbringern» wurden.

Ein Gedanke zu „Heilsversprechungen – Religionsgeschichte des 20. Jahrhunderts

  • Spannend diese Darstellung der Heilsversprechungen, die (durch die Studierenden begründet) von Männern des 20. Jahrhunderts dargestellt wird. Ich sehe mich zurückversetzt in die 1970er, näher hin in Religionsstunden, wo die Jugendlichen der Oberstufe sich mit einem neuen religiösen Universum kritisch auseinanderzusetzen lernten. Die religiöse Lebenswelt wurde diverser – das Fragen kritischer – die Entscheidung für den eigenen Lebensweg nicht leichter, wenn auch offener und spannender.

    Bald wurde vermehrt darüber debattiert, inwieweit die Heilsversprechungen ein soziales Engagement eingingen. So etwa unterstützt durch Persönlichkeiten wie Ruben Habito. Ihm wurde als erstem Katholik die Zen-Erleuchtung von einem japanischen Meister anerkannt, wie Hugo Enomiya-Lassalle schilderte – so in seinem Vorwort zu Habito, Ruben: Barmherzigkeit aus der Stille. Zen und soziales Engagement. München (1990) 7. Folg zit. 40, 41)

    Habito schrieb über das Sutra von der befreienden Weisheit, dem so genannten Herz-Sutra und gab Zeugnis von Avalokiteshvara, jenem welcher «die Schmerzensschreie aller Lebewesen voll und ganz wahrnimmt (hört und sieht)». In japanischer Aussprache bedeute sein Name «Kanzeon» oder «Kannon Bosatsu» und in weiblicher Form gehöre er der «Göttin, welche die Schmerzensschreie aller leidenden Wesen hört». Das Gelübde eines weiteren Bodhisattva, der als Wahrheitssucher «vor seinem Eintritt ins Nirvana» entschlossen ist, den Mitmenschen zu helfen, wird in den Zenhallen Japans und anderswo rezitiert: «Zahllos sind die Lebewesen; ich gelobe, sie alle zu retten. / Unerschöpflich sind die eitlen Gedanken und Gefühle; / ich gelobe, sie alle zu lassen. / Ungezählt sind die Tore zur Wahrheit; / ich gelobe, sie alle zu durchschreiten. / Unvergleichlich ist der Weg der Erleuchtung; / ich gelobe, ihn mutig zu gehen.» Demut, Beharrlichkeit und eiserner Durchhaltewille kommen in diesen Zeilen zum Ausdruck. Habito deutete das Geschehen: Damit umfasse der Bodhisattva und jeder Mensch, der Weisheit suche, «das ganze Universum und öffnet sein Herz zum Dienst an allen Lebewesen».

    Und auch das folgende Gedicht zeige «die Bereitschaft, dort zu helfen, wo Hilfe nötig ist, gleich wie Kannon Bosatsu bereit ist, ihre Hände allen entgegenzustrecken, die in Not sind. Es stammt von Miazawa Kenji, einem frommen Buddhisten, der knapp 40 Jahre alt wurde und unter armen Bauern Nordjapans lebte, und trägt den Titel «Ame ni mo Makezu / Dem Regen zum Trotz: Wenn im Osten ein Kind krank ist, dann eile an sein Bett und pflege es. / Wenn im Westen eine Mutter müde ist, dann geht und trage ihr den Sack voll Getreide. / Wenn im Süden ein Mann im Sterben liegt, / dann geh und tröste ihn mit den Worten: ‘Fürchte dich nicht’. / Wenn im Norden zwei sich streiten. / dann geh und sprich: ‘Hört auf mit dieser Dummheit’.»

    Dr. theol. Stephan Schmid-Keiser

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