Islam  ·  Ökologie
Lejla Delic

Setzlinge pflanzen – auch wenn der Weltuntergang kurz bevorstünde

Als «Verwalter» dieser Erde trägt der Mensch eine hohe Verantwortung für die Schöpfung Gottes – so steht es im Koran. Entsprechend setzt man sich denn auch in muslimischen Gemeinschaften in der Schweiz immer mehr mit Anliegen und Ideen zur Nachhaltigkeit auseinander.  

Der Koran betrachtet die ganze materielle und immaterielle Welt als Schöpfung Gottes. Dies allein würde als Grund ausreichen, sich bewusst zu machen, dass alles, was erschaffen ist, auch achtenswürdig ist. Doch der Islam, der eine Begegnung mit dem Schöpfer erwarten lässt, legt den Menschen explizit einen verantwortungsvollen und achtsamen Umgang mit der Natur nahe. Mehrere Koranverse und Prophetenaussagen thematisieren Grundprinzipien des umweltbewussten Handelns. So wird etwa im Koran darauf hingewiesen, dass alles in gebührendem Mass und Verhältnis erschaffen wurde, und der Mensch dazu aufgerufen, keine Verderbnis auf Erden zu verbreiten. Es gibt kein Geschöpf, das ohne Sinn erschaffen wurde und aus diesem intrinsischen Wert heraus ist jedes Geschöpf schützenswert. Gemäss Sure 10 Vers 14 wurde die gesamte Erde dem Menschen anvertraut, jedoch nicht in der Rolle eines Besitzers, sondern eines Kalifen (Khalifa), d.h. eines «Verwalters». Auch betonte der Prophet die Wichtigkeit der Verantwortung gegenüber den zukünftigen Generationen und forderte dazu auf, selbst dann Setzlinge zu pflanzen, wenn der Weltuntergang kurz bevorstünde.

Setzlinge pflanzen für zukünftige Generationen. © Vera Rüttimann
Setzlinge pflanzen für zukünftige Generationen. © Vera Rüttimann

Umweltschutz ist Gottesdienst

Dieser hohe Stellenwert, den der Umweltschutz im Islam einnimmt, wird von Musliminnen und Muslimen immer wieder betont. Trotzdem wurde dieses Anliegen bisher erst wenig innerhalb der Glaubensgemeinschaft explizit thematisiert und nur beschränkt in Projekten umgesetzt. Gleichwohl gibt es ein reges Engagement, das für die Öffentlichkeit transparent gemacht werden kann.

Im Rahmen eines Projektes wurde eine Broschüre für den Dachverband islamischer Organisationen im Kanton Zürich (VIOZ) konzipiert, um die Idee der Nachhaltigkeit strategisch zu verbreiten und der muslimischen Bevölkerungsgruppe näher zu bringen. Darin wird aufgezeigt, wie stark die Gemeinsamkeiten zwischen dem religiösen Handeln nach islamischen Quellen einerseits und den Handlungsempfehlungen aus der Perspektive der nachhaltigen Entwicklung sind.

Gottesdienst ist damit nicht nur ein Ritual wie das Gebet oder das Fasten, sondern auch eine simple Tat im Alltag, die im Sinne der Schöpfung steht.

Durch die Betonung der gemeinsamen Basis sollten die Leserinnen und Leser daran erinnert werden, dass der Umweltschutz ein Gebot des Islam ist, ja gar eine gottesdienstliche Handlung. Gottesdienst ist damit nicht nur ein Ritual wie das Gebet oder das Fasten, sondern auch eine simple Tat im Alltag, die im Sinne der Schöpfung steht. Die Ausübung der Religion fängt damit weder in der Moschee an, noch hört sie dort auf. Vielmehr handelt es sich hierbei um eine ganzheitliche Lebensphilosophie, die in jede Ebene hineindringt und in jeder Phase des Lebens relevant ist.

Moscheen werden grüner

Kurz nach deren Verbreitung sind verschiedene Projekte entstanden, welche die Grundidee weitergetragen haben. So wurde etwa der Tag der offenen Moscheen mit dem spezifischen Motto «Nachhaltigkeit im Islam» durchgeführt und das Thema in einigen Moscheen auch in den Religionsunterricht aufgenommen.

Alltägliche Praktiken, welche nahezu unbewusst gemacht werden, wie etwa Recycling, werden als gute Tat verstanden noch konsequenter umgesetzt.

Die Imame predigten und predigen regelmässig über die Wichtigkeit des bewussten Umgangs mit der Natur und die Verantwortung in Bezug auf die kommenden Generationen. Zum «Tag der Erde» am 25. April finden jeweils verschiedene Veranstaltungen mit einem Fokus auf dem Umweltschutz statt. In einigen Waschräumen hängen derweil Aussagen des Propheten zum Verbot vom verschwenderischen Umgang mit Wasser. Selbst im persönlichen Alltag hat die Nachhaltigkeit an Relevanz gewonnen. So bildet man beim Besuch einer Moschee Fahrgemeinschaften, benutzt das Fahrrad oder öffentliche Verkehrsmittel. Alltägliche Praktiken, welche zur Routine geworden sind, wie etwa Recycling, werden als gute Tat verstanden noch konsequenter umgesetzt.

Eine gute Muslimin und eine gute Mitbürgerin zugleich

Diese Entwicklungen sind erfreulich, da sie nicht nur von kurzfristiger Natur sind, sondern sich als langfristiges Engagement zu etablieren scheinen. Der verantwortungsvolle Umgang mit der Schöpfung und den Ressourcen stärkt das muslimische Selbstwertgefühl auf mehreren Ebenen: Erstens erfahren sich die Muslim:innen als gläubige Menschen, die eine religiöse Pflicht gegenüber Gott erfüllen, indem sie Sorge zur Schöpfung tragen. Zweitens erfahren sie sich als partizipierende Bürger:innen, die gesellschaftliche Anliegen und Überzeugungen mittragen und in ihren Gemeinschaften verankern. Diese Sorge zur Mitwelt, die Musliminnen und Muslime mit allen anderen Mitbürgerinnen und Mitbürgern unabhängig von ihrer Religion oder Weltanschauung teilen, ist ein verbindender Wert, den es in den kommenden Jahren weiter gemeinsam zu verantworten und zu festigen gilt.


Lejla Delic, in Bosnien geboren und aufgewachsen, hat die Ausbildung zur Religionslehrerin in Bosnien abgeschlossen und Islamwissenschaft und Nachhaltige Entwicklung an der Universität Bern studiert. Sie ist zweifache Mutter.

Ein Gedanke zu „Setzlinge pflanzen – auch wenn der Weltuntergang kurz bevorstünde

  • Die Idee, dass kleine Taten der Güte und des Mitgefühls wie das Pflanzen von Setzlingen eine positive Veränderung bewirken können, erinnert uns daran, dass wir trotz aller Herausforderungen, denen wir gegenüberstehen, einen Unterschied machen können.

    Vielen Dank, dass ihr uns dazu ermutigt, aktiv zu werden und die Welt auf unsere eigene Art und Weise zu einem besseren Ort zu machen.
    LG,
    Manuela

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