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Interreligiöser Thinktank

Unsere Erde – Gottes Erde?

von Amira Hafner-Al Jabaji und Doris Strahm, Vorstand Interreligiöser Think-Tank

Der «Interreligiöse Think-Tank» hat die Klimakrise zum Anlass genommen, nach der Verantwortung und dem Beitrag von Religionen für die Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen zu fragen.

Dem Christentum wird von vielen Umweltschützer:innen eine Mitschuld an der globalen ökologischen Krise zugeschrieben. Es habe den «Herrschaftsauftrag» in Gen 1,28 – «Macht euch die Erde untertan» – als Erlaubnis missverstanden, die Erde hemmungslos zu eigenen Gunsten auszubeuten, und jenen verhängnisvollen Weg eröffnet, dessen bitteres Ende sich nun abzeichne: die globale Umwelt-Katastrophe. 

Ist dem so? Und wie sieht es diesbezüglich mit den anderen monotheistischen Religionen, Judentum und Islam, aus? Wie sehen und gestalten sie die Beziehung zwischen Mensch und Natur? Das 60-seitige Dokument «Unsere Erde – Gottes Erde? Eine interreligiöse Betrachtung zu Schöpfung und Ökologie» des Interreligiösen Think-Tank, das Ende 2018 erschienen ist, geht diesen Fragen nach. 

Inhalte und Methode

In einem ersten Teil der Studie untersucht das multireligiös und interdisziplinär zusammengesetzte Team des Interreligiösen Think-Tanks, was jüdische, christliche und islamische Quellen zur Schöpfung und zur Rolle der Menschen sagen. Welche Aufgaben und welche Verantwortung werden ihnen in den Quellentexten der drei Religionen zugeschrieben? In einem zweiten Teil werden theologische und philosophische Sichtweisen auf die Schöpfung kurz dargestellt, die in Judentum, Christentum und Islam im Verlauf der Geschichte entwickelt wurden. Der dritte Teil stellt aktuelle Ansätze zu Schöpfung, Umwelt und Ökologie sowie ökologische Initiativen und konkrete Umweltprojekte vor, die aus einem religiösen Bewusstsein heraus entstanden oder mit einem solchen verbunden sind – und die zu einem ökologischen Verhalten und zur Bewahrung der Schöpfung beitragen wollen.

Auf das darstellende Nebeneinander in den drei Teilen folgen zum Schluss jeweils «Interreligiöse Kommentare». Darin nehmen die Autorinnen in dialogischer Haltung Bezug auf die Befunde und Schilderungen aus den anderen Traditionen. Gemeinsames und Unterschiedliches wird sichtbar gemacht und einzelne Aspekte werden kommentiert. Am Schluss des Dokumentes steht ein «Appell», der zur gemeinsamen Verantwortung und zu einem gemeinsamen ökologischen Handeln der Religionsgemeinschaften aufruft. Damit unterstreicht der Interreligiöse Think-Tank den Anspruch, nicht bloss religiöse Quellen zu analysieren und nebeneinander zu diskutieren, sondern ausgehend von den Befunden gemeinsame Handlungsfelder zu skizzieren und zu konkretem Handeln auf allen Ebenen anzuregen.  

Eine Besonderheit der Studie ist, dass die Themen so behandelt werden, wie es dem spezifischen Zugang zum Thema in den drei Religionen entspricht. Es wurden also nicht einfach identische Fragen vorgegeben, sondern jede Autorin hat aus der Sicht ihrer Religionsgemeinschaft, d.h. aus einer Sicht von innen, aus der eigenen Tradition heraus, den Zugang und die Wahl der Quellen und Themen, die Art der Darstellung und des Erklärens bestimmt. Damit wirkten die Autorinnen bewusst der Gefahr entgegen, dass sich die Minderheitenreligionen an den christlichen Mehrheitsdiskurs anpassen und sich nach dessen Themen und Fragen richten müssen, anstatt zu erörtern, was und auf welche Weise die eigene Religion etwas zum Thema «Schöpfung» sagt.

Gemeinsamkeiten … und Unterschiede

Trotz unterschiedlicher theologischer Konzepte und Begrifflichkeiten – so beinhaltet der Qur’ān z.B. keine Kosmogonie und auch keinen eigentlichen Schöpfungsmythos wie die Bibel, ist aber durchdrungen von der Erwähnung Gottes als Schöpfer – zeigt sich, dass das Thema «Schöpfung» eine verbindende Grundlage für ein gemeinsames Handeln der drei monotheistischen Religionen schaffen kann.

Denn der Mensch ist, im Gegensatz zu Gott, nicht der Eigner der Schöpfung, sondern lediglich ihr Verwalter und Gestalter mit Fürsorgepflicht. 

So vertreten alle drei die Auffassung, dass die Erde nicht der Besitz der Menschen, sondern ihnen zur Sorge anvertraut ist – was sich auch im religiös konnotierten Begriff «Schöpfung» ausdrückt. Anders als die Begriffe «Natur» oder «Umwelt» verweist dieser darauf, dass die Erde nicht einfach reine Materie ist, die wir beliebig nutzen und ausbeuten können, sondern dass sie von Gott geschaffen ist und wir sie verantwortlich verwalten und gestalten sollen. Die Menschen haben zwar ein Nutzungsrecht, doch es muss massvoll, ethisch und in Demut angewendet werden. Denn der Mensch ist, im Gegensatz zu Gott, nicht der Eigner der Schöpfung, sondern lediglich ihr Verwalter und Gestalter mit Fürsorgepflicht. 

Brunnen im neuen Heks-Garten in Zürich-Oerlikon. © Vera Rüttimann
Brunnen im neuen Heks-Garten in Zürich-Oerlikon. © Vera Rüttimann

Dennoch hat der Mensch innerhalb der Schöpfung eine besondere Stellung. In der jüdischen Interpretation von Genesis 1 ist der Gedanke der Nachahmung Gottes wichtig: Die Menschen, im Bild Gottes geschaffen (Gen 1,27), sollen Gott nachahmen. Ihre Aufgabe ist es, die Erde zu bebauen, zu gestalten und zu beschützen. Sie haben von Gott die Nutzniessung erhalten und damit auch die Verantwortung, das Geschaffene nicht zu zerstören. Sie haben aber auch die Freiheit, das eine zu tun oder das andere.

Die Menschen sollen die Natur nicht nur verantwortlich verwalten, sondern zur Verbesserung der Welt selbst auch schöpferisch tätig sein.

Ein wichtiger Aspekt der jüdischen Tradition ist die mitschöpferische Aufgabe der Menschen: Die Menschen sollen die Natur nicht nur verantwortlich verwalten, sondern zur Verbesserung der Welt selbst auch schöpferisch tätig sein. Gott und Mensch wirken in der Vervollkommnung der Welt schöpferisch zusammen. In der christlichen Sicht von Gen 1,27 sollen die Menschen als Bild Gottes, als seine Repräsentant:innen, über die Erde und die Lebewesen herrschen – wobei herrschen nicht ausbeuterisch gemeint ist, wie die christliche Tradition es ausgelegt hat. Die heutige Exegese zeigt auf, was damit ausgesagt werden soll: Die Menschen haben zwar eine besondere Stellung in der Schöpfung, aber sie sind verpflichtet, sich als Bild Gottes zu erweisen, indem sie Gottes Herrschaft nachahmen, die gerecht, verantwortungsvoll und fürsorgend ist. Als seine Stellvertreter:innen haben sie die Verantwortung, die gute und weise Ordnung der Schöpfung Gottes aufrechtzuerhalten.

Der Islam lehnt die Idee der Gottebenbildlichkeit der Menschen ab. Im Qur’ān, Sure 2:30 ff, wird der Mensch als Ḫalīf (auch Kalif: Sachverwalter, Nachfolger) bezeichnet, der den Auftrag und die Befugnis von Gott zur Nutzniessung über die Erde bekommt und gleichzeitig die damit verbundene Verantwortung ihr und Gott gegenüber trägt. Er ist autonomer Teil der Schöpfung und hat das Recht, ihre Ressourcen zu nutzen. Einerseits hat er einen freien Willen und die Möglichkeit, Dinge zu gestalten – zum Guten oder zum Schlechten. Aber zugleich ist er immer auch Diener Gottes und soll sich seiner Geschöpflichkeit bewusst sein: Er steht nicht über der Schöpfung, sondern ist Teil von ihr.

Gemeinsam ist den drei Religionen auch, dass durch die Schöpfung Gott sich erkennen lässt, dass er in der Schöpfung präsent ist und sie im Dasein erhält und dass in der Schöpfung eine Ordnung wahrnehmbar ist, die in Weisheit geschaffen ist.

Diese wenigen Beispiele zeigen, dass in Judentum, Christentum und Islam wichtige Ressourcen für einen massvollen und schonenden Umgang mit unserem Planeten Erde vorhanden sind. Wäre es heute also nicht geradezu die Aufgabe von Religionsgemeinschaften – zusammen mit anderen – Agent:innen des ökologischen Wandels zu sein und zum Schutz der Umwelt und der uns von Gott anvertrauten Schöpfung beizutragen?

Das 60-seitige Dokument «Unsere Erde – Gottes Erde? Eine interreligiöse Betrachtung zu Schöpfung und Ökologie» kann kostenlos als Download heruntergeladen werden.


Doris Strahm, Dr. theol., christliche Theologin und Publizistin mit Schwerpunkt (öko-)feministische Theologien, Frauenrechte und Religion sowie interreligiöser Dialog aus Gendersicht. Amira Hafner-Al Jabaji studierte Islam- und Medienwissenschaften an der Universität Bern. Seit über zwanzig Jahren arbeitet sie freischaffend als Referentin, Autorin und Journalistin im Bereich interreligiöser Dialog . Von 2015 bis 2021 moderierte sie die «Sternstunde Religion» des SRF. Sie ist Muslimin und gründete zusammen mit Doris Strahm von christlicher Seite sowie einem jüdischen Mitglied 2008 den «Interreligiösen Think-Tank».

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