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Amira Hafner-Al Jabaji

Drei-Uneinigkeit

Die Durchführung eines öffentlichen muslimischen Gebets führte zur Zerreisprobe zwischen muslimischen Feministinnen. 

Dieser Artikel wurde erstmals im Aufbruch am 28. September 2022 veröffentlicht.

Vor fast zehn Jahren initiierten drei muslimische Frauen zum wichtigsten islamischen Fest, dem Opferfest ‘Id ul-adha, ein Gebet in Bern.

Medien werden später von Pionierinnen berichten, die «etwas Aussergewöhnliches» bewerkstelligt hätten, von einer Dreifach-Premiere gar und davon, wie man sich nach dem Gebet überglücklich umarmt habe und jetzt in diese Richtung weitermachen wolle. 

Eine dieser Frauen war ich. Meine Festlaune auf dem Weg zum Gebet hielt sich aber in Grenzen. Stattdessen war ich innerlich angespannt und missmutig; nach dem Anlass traurig, verletzt und in fester Absicht, etwas in der Art kein zweites Mal zu wiederholen. 

Was war passiert? 

In den Tagen zuvor hatte sich rund um die Organisation des Anlasses eine Dynamik entwickelt, von der ich den Eindruck erhielt, dass sie sich immer weiter von dem wegbewegt hatte, was – zumindest in meinem Verständnis – ursprünglich angedacht war. Die Wendung, die das Ganze bekommen hatte, war mir nicht mehr geheuer. Doch für einen Rückzieher war es zu spät und so machte ich «gute Miene zum bösen Spiel». Das erklärt ein Stück weit, warum sich den Medienvertreter:innen vor Ort ein ganz anderes Stimmungsbild präsentierte, als in mir drin. 

Der Auslöser für die Idee eines eigens organisierten Festgebets entstand im Austausch unter uns Dreien. Wir verfügten über und beklagten alle ähnliche Erfahrungen von Diskriminierung, Unwohlsein und dem Gefühl, nicht wirklich willkommen zu sein in traditionellen Moschee-Gemeinschaften. Dieses Gefühl von «Heimatlosigkeit» und Ausgrenzung trifft nicht muslimische Frauen per se, jedoch besonders stark jene, die (nebst dem orientalischen) einen starken westeuropäischen Kulturteil in sich tragen und den, etwa nach einer Konversion, beibehalten.

Es trifft feministisch denkende, «intellektuelle» und weniger traditionell geprägt Musliminnen, die Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern fordern, und es trifft auch «angeheiratete» muslimische Männer, Konvertiten, die manchmal verunsichert sind, wie sie in einer muslimischen Gemeinschaft aufgenommen und beurteilt werden. Auch für sie ist die teilweise strikte Geschlechtertrennung, die mit dem Betreten der Moschee gilt, ein Grund, sich nicht zu den Gemeinschaftsgebeten zu trauen, weil ihre muslimischen Bezugspersonen, ihre Partnerinnen, nicht an ihrer Seite sind. 

Ein alternatives Angebot

Dieses von uns dreien organisierte Gebet sollte so ein alternatives Angebot sein, wo Muslim:innen, die «aus dem Raster fallen», einen sicheren, ruhigen, schönen Ort finden, um ein Festgebet in einer relaxten, wohlgesonnenen, toleranten Gruppe und Umgebung zu erleben. Sich selbst ein Stück Heimat und Gemeinschaft schaffen und dabei ein Gefühl von freudvollem Fest erleben, das war der Konsens, auf dem die Idee gediehen war. Als Örtlichkeiten dienten die damaligen provisorischen Baracken des «Haus der Religionen», bevor dieses seine definitive Bleibe später am Euopaplatz in Bern bezog. Die Einfachheit und Zweckmässigkeit des Raums war nicht abschreckend oder hinderlich für eine festliche Stimmung, und wäre es dabei geblieben, alles wäre gut gewesen. 

Die Gleichheit der Gläubigen wird im Koran stets betont.

Wir hätten uns zusammengefunden zum Gebet, vielleicht nur zu fünft oder zu zehnt. Männer und Frauen. Jemand von uns Veranstalterinnen hätte vorgebetet, etwas, das an sich nicht aussergewöhnlich ist. Wenn mehr als zwei Muslim:innen zusammenkommen und beten, übernimmt die kundigste Person das Vorbeten. Vorbeter:in zu sein ist kein Amt, es ist eine Funktion, die auf die praktische Situation hin jemanden übertragen wird. Sie auszuüben, ist positiv konnotiert, aber kein Gebet ist qualitativ von einer/m Vorbeter:in abhängig, vorausgesetzt, er/sie kennt die formalen Abläufe, die sich stets gleichen und wiederholen.

Foto: GILLNISHA/PIXABAY 

Er oder sie erteilt keinen Segen, kein Sakrament und tut auch sonst nichts stellvertretend als Repräsentantin von Gott oder dem Propheten. Der Imam ist nicht Priester, nicht geweiht und hat keine andere Stellung bei Gott aufgrund seiner Funktion. Wer vorbetet, wählt die meist kurzen rezitierten Suren aus (die manche im Kindesalter schon erlernt haben) und gibt das Tempo vor, in dem sich das synchron ablaufende Gebet vollzieht. Wer vorbetet, betet nicht(s) anderes als die Gemeinschaft. Deshalb steht die vorbetende Person im Gebet in gleicher Blickrichtung mit der Gemeinschaft. Nur bei der Predigt (freitags oder an Festtagen) wendet sich der/ die Imam:in an die Gemeinde. 

Gleichheit der Gläubigen

Eine Predigt im engeren Sinne würde niemand von uns halten an unserem Festgebet. Stattdessen gab es Erläuterungen zur Idee und zum Motiv, weshalb wir dieses Gebet organsiert haben und was dabei unser Anliegen ist. 

Die Gleichheit der Gläubigen wird im Koran stets betont. Dass alle Betenden in die gleiche Richtung blicken und dabei die gleichen Gesten und Gebete vollziehen betont diese Gleichheit. Aber in der gelebten Kultur bricht die patriarchale Seite immer wieder durch. 

Das Gebet, das mir für unseren Anlass vorschwebte, sollte familiär, intim und egalitär sein. Und es müsste ein sicherer Rahmen, ein «safe space» herrschen, in welchem sich niemand exponiert oder blossgestellt fühlt. 

Offene Moschee?

Doch es tauchten plötzlich andere Ansprüche und Motivationen auf, die meine Vorstellung empfindlich störten. Es sollen nicht nur Muslim:innen eingeladen werden, wurde aufgebracht. Schliesslich wolle man als «offene Moschee» niemanden ausgrenzen. Mich irritierte das. Ich wollte nicht «offene Moschee» sein, sondern einen alternativen Gebets-Raum für Muslim:innen ermöglichen. Das tangiert Andersgläubige nicht.

Es braucht zunächst ein von aussen ungestörtes Zusammenkommen. Erst wenn sich ein neuer Raum, eine neue Umgangsform in der Bet-Gemeinschaft gefunden hat, ist Öffnung denkbar.

Das Argument, man könne ja schliesslich als Muslim:in auch ohne weiteres zu einem Ostergottestdienst erscheinen, war für mich nicht stichhaltig. Denn die Mehrheiten-Minderheitensituation lässt sich nicht ohne Weiteres ausblenden. Muslime sind hier eine argwöhnisch beäugte Minderheit, die ihren Platz noch nicht gefunden und die noch mitten im Ausgestaltungsprozess sehr verletzlich ist. Es braucht zunächst ein von aussen ungestörtes Zusammenkommen. Erst wenn sich ein neuer Raum, eine neue Umgangsform in der Bet-Gemeinschaft gefunden hat, ist Öffnung denkbar. Doch meine Argumente kamen nicht an und mir wurde mulmig bei der Vorstellung, dass sich am Tag des Gebets Muslime in der Mitte des Raumes niederwerfen und dabei von einem zuschauenden Publikum umringt sein würden. Ich sehe in solch einem Setting die Würde des Gebetes und der Betenden verletzt, eine fürchterliche Vorstellung. 

Die Differenzen entwickelten sich weiter, als ich feststellte, dass mit «Offenheit» und «Öffnung» eine Einladung an die Medien verbunden war und dass der Anlass für meine Partnerinnen eine gesellschaftspolitische Dimension hatte. Das Gebet sollte der Ausgangspunkt für das Propagieren der «Open Mosque»-Bewegung werden. Ich wollte aber keiner irgendwie gearteten «Umdeutung» oder «Instrumentalisierung» des Gebetes zum Opferfest zustimmen. 

Die falsche Brille auf

Doch der Mist war geführt und Öffentlichkeit und Medien bereits informiert. Sie waren begeistert von der Idee solcher Offenheit und über den «Mut von uns Frauen». Ich spürte: Ihr Blick auf unser Vorhaben war einer, der den Kampf katholischer Frauen um ein Priesteramt mit der Situation muslimischer Frauen gleichsetzt und vergisst, dass es dabei grundlegende Unterschiede in der Theologie, aber vor allem in der sozialen Realität gibt. 

Die drei Premieren, von denen später zu lesen war, hiessen: Frauen, die vorbeten, Männer und Frauen die gemeinsam beten und die gleichzeitige Präsenz von Angehörigen verschiedener Religionsgemeinschaften bei einem islamischen Gebet. In den Augen und Ohren vieler klingt das nach grossem Aufbruch und Durchbruch bei der «Reformation des Islam». Dass diese drei Dinge in privaterem Setting schon lange umgesetzt werden, konnten sie nicht wissen. 

Ich sah mich in einer Zerreissprobe zwischen meiner eignen feministischen Kritik an meiner Gemeinschaft und der Kritik an der durch Medien repräsentierten Öffentlichkeit, welche muslimische Frauen gerne entweder als Opfer oder als Heldinnen stilisiert, die den Support oder das Lob der Gesellschaft bedürfen. Mit keiner Rolle identifiziere ich mich. Alles schien mir auf einmal ein grosses, komplexes Missverständnis zu sein. 

Ich hätte die Besenkammer einer Moschee vorgezogen

Widerwillig gab ich Interviews vor dem Gebet und nahm dann auch widerwillig am Gebet teil, umringt von etwa zwei Dutzend Männern und Frauen, die nett und freundlich waren und aufrichtig interessiert im Halbkreis auf ihren Stühlen sassen und zuschauten, wie sich ein paar wenige Muslim:innen im Gebet verbeugten und niederwarfen.

Differenzen und Irritationen gehören debattiert, im interreligiösen Dialog wie auch zwischen muslimischen Feministinnen.

Einen Augenblick fragte ich mich, wie sich diese Leute wohl in ihrer beobachtenden Rolle fühlten. Was hatte sie bewogen, an dem Anlass zugegen zu sein? War es Neugierde? Oder eine Form der Solidaritätsbekundung? War es demonstrative Offenheit? Alle Anwesenden respektierten, dass vom Anlass keine Fotos gemacht werden durften. Darüber war ich erleichtert. Dennoch blieb es für mich das wohl unangenehmste Festgebet überhaupt, und ich hätte in diesem Moment sogar vorgezogen, es in der Besenkammer einer Moschee zu verrichten. 

Zwei Dinge haben mich diese Ereignisse gelehrt: Religion, soziale Rahmenbedingungen und mediale Öffentlichkeit bilden einen heiklen Komplex, bei dem mit grosser Sensibilität agiert werden sollte. Und: Differenzen und Irritationen gehören debattiert, im interreligiösen Dilaog wie auch zwischen muslimischen Feministinenn. Damals wie heute. 


Der Aufbruch steht für einen Standpunkt, der das Religiöse als eine menschheitsgeschichtliche Konstante betrachtet, die in ihrer Vielschichtigkeit gerade heute höchste Relevanz hat. Seit 2023 ist bei aufbruch eine neue Ära angebrochen. Der Heft-Titel prägt eine ganze Ausgabe. Der Aufbruch nimmt ungewohnte Perspektiven ein und stellt in den Themenbereichen Religion, Spiritualität, Ethik und Gesellschaft überraschende interreligiöse und gesellschaftliche Bezüge her. Unter dem aktuellen Titel «TrockenHeit» geht es nicht bloss platt um klimatische Austrocknung von Mutter Erde. Der Aufbruch lässt mit Julia Enxing eine junge, bereits preisgekrönte Theologin zu Wort kommen, die Natur und Umwelt als Ort der Gotteserfahrung mitdenkt. Übrigens waren Brunnen, Wasserstellen – und Quellen immer schon Begegnungsorte. Mehr über die interreligiös konnotierte Brunnenwanderung in der neuen Aufbruch-Ausgabe Nr. 263. Für weitere spannende Artikel, lohnt sich ein Abo.

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Autor

  • Amira Hafner-Al Jabaji

    Referentin, Autorin und Journalistin im Bereich interreligiöser Dialog ||| Amira Hafner-Al Jabaji studierte Islam- und Medienwissenschaften an der Universität Bern. Seit über zwanzig Jahren arbeitet sie freischaffend als Referentin, Autorin und Journalistin im Bereich interreligiöser Dialog. Von 2015 bis 2021 moderierte sie die «Sternstunde Religion» des SRF.

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