Gender  ·  Hochzeit
Marie-Therese Mäder

Eine göttliche Ordnung schaffen

Auf Hochzeiten vermählen sich nicht nur zwei Menschen miteinander, es wird auch eine gesellschaftliche Ordnung wiedergegeben und gleichzeitig geschaffen. Selbst in traditionellen Gemeinschaften verändert sich diese göttliche Ordnung jedoch über die Zeit – so Mann denn will. Marie-Therese Mäder gibt Einblicke in ihre Forschung zu Hochzeitsritualen.

Die Gesellschaft in zwei Geschlechter aufzuteilen, schafft eine – gottgewollte – natürliche Ordnung. So argumentieren Mitglieder traditioneller religiöser Gemeinschaften wie zum Beispiel evangelikale Christinnen und Christen. Demzufolge wird die Ehe zwischen Mann und Frau dann als «natürlich» bezeichnet, wie dies auf dem Plakat der Abstimmungskampagne der EDU (Eidgenössische Demokratische Union) aus dem Jahr 2016 der Fall ist (Abstimmungsplakat EDU).

Bei der kantonalen Abstimmung ging es dem christlich konservativen Initiativkomitee darum, die Ehe als «eine auf Dauer angelegte und gesetzlich geregelte Lebensgemeinschaft von Mann und Frau» in der kantonalen Verfassung festzuhalten. Die Initiative scheiterte haushoch. 80% der Zürcher Stimmbevölkerung lehnte das Begehren deutlich ab. Die klare Ablehnung der kantonalen Volksinitiative war vielleicht ein Hinweis darauf, dass die Schweizer Stimmbürgerinnen und -bürger in Bälde, zumindest für Schweizer Verhältnisse, bereit sein würden, die gleichgeschlechtliche Ehe gesetzlich zu verankern. Dies war dann schliesslich bei der Volksinitiative «Ehe für alle» im Jahre 2021 der Fall. 

Die Braut sitzt im weissen Kleid und einem weiss-rosa Brautstrauss in der Hand haltend wie ein Mädchen auf dem Schoss ihres Bräutigams. Quelle: edu-zh.ch (16.11.16)

Das EDU-Plakat zeigt, wie mittels binärer und heteronormativer Gendernormen, die Unterscheidung Mann und Frau als «natürlich» oder «ursprünglich», weil dies seit Adam und Eva so ist, legitimiert wird. Oder anders formuliert: Das Plakat vermittelt, dass es nur Mann und Frau und nichts dazwischen gibt; und dass nur die Verbindung von diesen beiden Geschlechtern natürlich ist und der Fortpflanzung der Gattung dient. Gerade so wie es Ueli Maurer über seine Nachfolge formulierte, kein «Es» soll es sein (Binarität der Geschlechter), Sex darf nur zwischen Mann und Frau stattfinden (Heteronormativität) und das ganze Konzept ist naturgegeben (Essenzialisierung).

Mit dem biblischen Bezug werden Normen einerseits legitimiert und andererseits Unterschiede zwischen den beiden Geschlechtern konstruiert.

Ein Video, das das Initiativkommite zusätzlich zur Plakatkampagne publizierte, nimmt explizit auf die Geschichte von Adam und Eva in der Genesis Bezug. So erklärt das Komitee, dass die heteronormative Ordnung göttlichen Ursprungs ist – und die soll der Mensch gefälligst bewahren. Mit dem biblischen Bezug werden Normen einerseits legitimiert und andererseits Unterschiede zwischen den beiden Geschlechtern konstruiert. Damit werden aber auch andere sexuelle Orientierungen und Identitäten ausgeschlossen. In dieser christlich konservativen Welt wird nicht hinterfragt, was genau einen Mann oder eine Frau ausmacht. Vielmehr ist das Gegenteil der Fall. Mit Hilfe religiöser Praktiken werden konstruierte Unterschiede bekräftig. 

Orientierung im Chaos der Welt

Anhand von Gender, dem sozial konstruierten Geschlecht, produzieren jedoch nicht nur religiöse Gemeinschaften, sondern auch die Gesamtgesellschaft soziale Differenzen, sprechen Privilegien zu oder aberkennen sie und verteilen Rollen. Dadurch wird Orientierung im Chaos der Welt geschaffen – eine der wichtigsten Funktionen von Religion. Dies geschieht auch mittels Gendersymbolen wie etwa dem weissen Brautkleid und dem schwarzen Anzug des Bräutigams, die als weibliche und männliche Attribute zu verstehen sind.

Solche einzelne Symbole setzen sich zu ganzen Symbolsystemen zusammen, die letztlich dazu dienen, den Unvorhersehbarkeiten des menschlichen Lebens in einem sicheren Rahmen zu begegnen. Indem die «natürlichen» Geschlechter auf zwei und die sexuellen Orientierungen auf eine reduziert werden, wird bezüglich Geschlechtlichkeit und Sexualität Ordnung geschaffen. Das eigentlich Unkontrollierbare und die Kontingenz dieser Bereiche werden in einen kontrollierbaren Bereich übertragen. 

Diese von irdischer Männerhand gemachten Regeln werden dann als «gottgewollt» bezeichnet.

Viele Religionen weisen eine lange Tradition auf, die Unvorhersehbarkeit von Gender zu überwinden und zu kontrollieren. Dies erreichen sie, indem sie oftmals sehr genau vorgeben, was die Aufgaben von Männern und Frauen innerhalb der Gemeinschaft sind. Gerade in patriarchalen Traditionen, zu denen viele Gruppierungen mit einem abrahamitischen Hintergrund gehören, drückt sich diese Ordnung in eindeutigen Rollenzuschreibungen aus.

In der katholischen Kirche etwa ist klar festgelegt, zu welchen Handlungen, Riten, Ämtern und Aufgaben ausschliesslich Männer Zugang haben oder von welchen Ämtern Frauen ausgeschlossen sind. Ebenso vollziehen religiöse Spezialisten wie Priester, Rabbis und Imame bestimmte Rituale, was Frauen in konservativen Gemeinschaften zumeist verwehrt wird. Diese von irdischer Männerhand gemachten Regeln werden dann als «gottgewollt» bezeichnet. In diesen Fällen schafft die Institution mittels Gender eine bestimmte Ordnung, die auf einer patriarchalen Grundstruktur basiert und bestehende Machtverhältnisse mit Verweis auf religiöse Schriften und Werte legitimiert. 

Foto von Євгенія Височина auf Unsplash

Tradition in Veränderung …

Gerade am Beispiel von traditionell-religiösen Hochzeiten zeigt sich, wie innerhalb dieses rituellen Rahmens die binären Geschlechterrollen oftmals nicht nur bestätigt, sondern in bestimmten Handlungen auch immer wieder hergestellt werden. Zum Beispiel ändert bei einer hinduistischen Heirat die Braut nicht nur ihren Familiennamen. Der Bräutigam gibt der Frau auch einen neuen Vornamen, da sie durch die Heirat einen kompletten Identitätswechsel vollzieht. Dieser Wechsel bezieht sich nicht nur auf ihren gesellschaftlichen Status, sondern erneuert die gesamte Persönlichkeit.

Dass solche Rituale aber auch verändert werden können, zeigt folgender Fall: Als ich für meine Hochzeitsforschung (www.promising-images.eu) mit einem hinduistischen Paar über ihren Hochzeitstag sprach, erzählte mir der Ehemann, dass er sich geweigert habe, seiner Frau einen neuen Vornamen zu geben. Die Ehefrau meinte dazu, dass sie sich sogar über einen neuen Namen gefreut hätte, weil sie ihren Namen altmodisch fand.

Die verweigerte Namensänderung zeigt, wie binäre Gendernormen einerseits Ordnung schaffen und Hierarchien festigen. In diesem Fall ist nur der Bräutigam derjenige, der Änderungen anbringen kann. Andererseits können sich solche Normen offensichtliche auch anpassen, was ein weiteres Beispiel aus der Hochzeitspraxis zeigt.

… so Mann denn will

In der jüdischen Tradition unterschreiben in Abwesenheit der Braut zwei Männer aus der Gemeinde den Ehevertrag (Ketubba) für das Brautpaar. In der Ketubba werden die Pflichten des Ehemannes gegenüber der Frau festgehalten. Nachdem der Vertrag unterschrieben worden ist, bewegt sich die Männergruppe fröhlich tanzend, der Vertrag wurde erfolgreich besiegelt, zum Aufenthaltsort der Frau. Der Bräutigam kontrolliert vor der Heirat in der Synagoge, ob sich die richtige Braut unter dem Schleier befindet, bevor ihr die Ketubba ausgehändigt wird. Im konkreten Fall einer Heirat aus dem Jahr 2016 entschied sich der junge Bräutigam, den Vertrag mitzuunterzeichnen, anstatt diesen Akt den beiden Männern aus der Gemeinde zu überlassen. Der Bräutigam meinte zwar im Gespräch, dass seine Unterschrift auf der Ketubba an deren Wirksamkeit nichts geändert habe. Aber er fand das Signieren eben passend. 

Hier zeigt sich, dass auch in Religionen genderspezifische Praktiken geändert werden können – so Mann denn will.

Beide Beispiele zeigen, wie genderspezifische Privilegien von den Bräutigamen unterlaufen wurden. Bei der hinduistischen Hochzeit ging es darum, den Vornamen der Frau beizubehalten, und bei der jüdischen Heirat, den Ehevertrag mitzuunterschreiben. Indem die Bräutigame in spe Entscheidungen über die Frauen trafen, behielten sie zwar ihre männlichen Privilegien in beiden Fällen, trotzdem veränderten die Bräutigame in gewisser Hinsicht traditionelle Gendernormen. Hier zeigt sich, dass auch in Religionen genderspezifische Praktiken geändert werden können – so Mann denn will.

Ein Spiel mit Symbolen und Konventionen

Auch wenn religiöse Autoritäten und Institutionen Geschlecht normieren und je nachdem bestimmte Vorstellungen und Praktiken marginalisieren oder ablehnen, gibt es immer wieder Beispiele dafür, dass sich auch hier die Geschlechterrollen verändern. Denn wo es Regeln gibt, eröffnen sich auch immer Spielräume, die von religiösen Autoritäten nicht kontrolliert werden können. So zeigt sich gerade am Beispiel des Heiratens, wie anpassungsfähig Religionen sein können.

In vielen progressiven christlichen Gemeinschaften ist mittlerweile die gleichgeschlechtliche Heirat erlaubt. Dies trifft unter anderem auf alle evangelisch-lutherischen Gemeinschaften der schwedischen, norwegischen und dänischen Kirche oder die christkatholische Kirche zu. Der nächste Schritt wäre wohl von einer heteronormativen Doktrin zu einer Geschlechtervielfalt zu gelangen, bei der Gender als das gelebt wird, was es ist: ein Spiel mit Symbolen und Konventionen. Was wäre denn, wenn sich einfach nur zwei Menschen, weder Mann noch Frau, das Jawort geben würden? Würde die Welt dann im Chaos versinken?


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Autor

  • Marie-Therese Mäder

    Medien- und Religionswissenschaftlerin ||| Marie-Therese Mäder ist Medien- und Religionswissenschaftlerin. Sie habilitierte an der Ludwig-Maximilians Universität in München (LMU) zu Darstellungen religiöser Gemeinschaften in den Medien. Ausserdem lehrt sie als Privatdozentin im Fach Religionswissenschaft an der LMU, an der Universität Zürich im Bereich von Religion und Öffentlichkeit und Medienethik an den Fachhochschulen Bern und Graubünden. Seit 2006 ist sie Mitglied der Forschungsgruppe «Medien und Religion». 2022–2024 forscht sie als Marie Skłodowska Curie Fellow an der Università degli Studi di Macerata zu Hochzeiten. Sie ist Autorin von zahlreichen Aufsätzen, Buchkapiteln und Büchern zu den Themen Film und Religion, Gender, Migration, Bestattungskultur, Ethik und Dokumentarfilm, Religion in Reality Shows und Zuschauerforschungen. Weitere Informationen unter marie-theresemaeder.com.

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