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Christian Urech

«Hexerei ist eine ermächtigende Praxis»

Moderne Hexerei ist eine Lebenseinstellung, ein spiritueller Weg, der von positiver, lichtvoller Energie erfüllt ist und zu Selbstverantwortung und Respekt vor der Natur führt – und sie ist mit dem Ökofeminismus verwandt.

Dieser Artikel wurde erstmals im aufbruch am 18. Mai 2022 veröffentlicht.

Wiccas feiern die Walpurgisnacht jedes Jahr vom 30. April auf den 1. Mai. Der Name ist abgeleitet von der heiligen Walpurga, die eine Äbtissin und keine Hexe war. Er hat also wie vieles andere den Prozess der Christianisierung durchlaufen. Eigentlich heisst dieses Fest Beltane und wird gefeiert, um Abschied vom Winter zu nehmen und den Sommer zu begrüssen. Auch für moderne Hexen (weiblich und männlich) – von ihnen gibt es in der Schweiz etwa 4000 – ist dies eines der wichtigsten Feste im Jahreslauf. Zu diesem Datum tritt der Sonnengott seine Regierungszeit an, denn er ist zum Mann geworden. Nun befruchtet er Mutter Erde und verwandelt sie von der Jungfrau zur Mutter.

Ein einzigartiges Museum

Das Schloss Liebegg beherbergt seit 2018 das einzige Hexenmuseum der Schweiz und des deutschsprachigen Europas, das im südlichsten Teil der Aargauer Gemeinde Gränichen liegt. Das Museum räumt mit Vorurteilen, die mit der Hexerei verbunden sind, gründlich auf. Es zeigt, wie das Hexentum in vorchristlicher Zeit entstanden ist und gelebt wurde. Das Christentum dämonisierte die Hexen und Hexer dann und schob ihnen die Schuld für alles Übel der Welt wie die Pest oder Naturkatastophen in die Schuhe. Das führte dazu, dass allein in der Schweiz bis zu 10’000 Menschen bei lebendigem Leib verbrannt, ersäuft und enthauptet wurden. Von diesen Verbrechen legt u.a. der Malleus maleficarum, der «Hexenhammer» des Dominikanermönchs Heinrich Kramer, Hühnerhaut erzeugendes Zeugnis ab.

Es ist übrigens nicht so, dass es Hexenverfolgungen bloss in der Vergangenheit gegeben hätte.

1782 wurde in Glarus als letzte Schweizer Hexe Anna Göldi hingerichtet. Ganz ihrem Schicksal widmet sich das 2017 in Ennenda eröffnete Anna Göldi Museum. Es ist übrigens nicht so, dass es Hexenverfolgungen bloss in der Vergangenheit gegeben hätte. In Ländern Afrikas und Asiens werden Frauen bis heute der Hexerei verdächtigt und umgebracht. Ähnlich wie in der Vergangenheit werden die wegen Hexerei verfolgten Menschen zu Sündenböcken für Krankheiten, schlechte Ernten, Unglücke und andere Missstände gemacht.

Wicca Meier Spring – Hohepriesterin und Kuratorin

Im Hexenmuseum im Schloss Liebegg erhalten wir aber auch detailreiche Informationen zu Entstehung und Praxis des modernen Hexentums. Zusammengetragen wurden die Exponate verschiedener Wissenskulturen und Magietraditionen aus aller Welt von Wicca Meier Spring, der Gründerin, Kuratorin und Leiterin des Museums. Dabei handelt es sich um magische Gegenstände und Amulette, Hexenpflanzen und Hexentiere, magische Bücher und Gegenstände zur Divination (Wahr- und Weissagung) von Museumspionierin Wicca Meier Spring, der Gründerin, Kuratorin und Leiterin des Museums.

Es gibt in der Schweiz wohl kaum jemanden, der sich mit dem Hexentum besser auskennt als sie. Seit über 30 Jahren forscht sie über Hexerei. Sie absolvierte mehrere Aus- und Weiterbildungen zum Thema, unter anderem den Studiengang «Study of Cosmology, Magical Laws & Ethics, Magical Realms» in Irland oder eine Ausbildung in Chirologie (Handlesen). Zudem gibt sie wöchentlich Seminare und Workshops und leitet Studienreisen. Als Hexe hat Wicca Meier Spring den Grad einer Hohepriesterin erreicht.

Modernes Hexentum

«Es geht darum, aus unserer alltäglichen Welt herauszutreten und um eine Perspektive der Mystik und Ehrfurcht gegenüber der Natur, dem Leben und den energetischen Kräften dieser Welt», beschreibt Wicca Meier Spring ihren Begriff eines neuen Hexentums. Es sei keine Ideologie und keine Kirche, sondern geschehe, «indem wir die Urkraft, das Wissen unserer Vorfahren in uns reaktivieren». Das Wort Hexe sei aus dem altdeutschen Begriff Hagazussa entstanden, was Hag- oder Zaunreiterin bedeute. Dieses Wesen stehe mit dem einen Bein fest im realen Leben, mit dem anderen aber in der mystischen Welt.

Eine weltumfassende Wahrheit kennen aber auch wir nicht.

«Einige Hexen werden in Hexenfamilien geboren, in denen das Wissen, aber auch Traditionen und Bräuche weitergegeben werden. Andere wiederum finden ihren Weg, weil ihnen bewusst wird, dass in ihrem Leben oder Glauben etwas fehlt. Eine weltumfassende Wahrheit kennen aber auch wir nicht.» Welcher Weg für welche Hexe der richtige sei, bleibe ihr selbst überlassen. «Wicca bietet die Möglichkeit der individuellen Entwicklung einer ganz persönlichen Spiritualität. Es ist eine Lebenseinstellung, ein Weg durch das Leben, welcher von Mensch zu Mensch unterschiedlich ist. Hexe oder Wicca zu sein bedeutet vor allem, seinen ganz persönlichen Weg zu finden und seine Stärken auszuleben», schreibt Meier Spring auf der Webseite des Hexenmuseums.

© Kuziki/iStock

«Wicca ist eine neureligiöse Bewegung, zurückgehend auf die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts, die dem Neopaganismus (dem Neuheidentum, C.U.) zuzuordnen ist», belehrt uns Wikipedia. «Sie versteht sich als neu gestaltete, naturverbundene Spiritualität und als Mysterienreligion. Um eine Mysterienreligion handelt es sich in dem Sinne, dass auch auf die Erkenntnis des eigenen Lebens und innere Transformation Wert gelegt wird.» Viele der unterschiedlichen Wicca-Richtungen seien im Gegensatz zu den meisten neuheidnischen Bewegungen explizit synkretistisch. Das heisst, es flissen Vorstellungen und Bräuche aus verschiedenen Religionen in sie ein, etwa die Vorstellung der Reinkarnation.

Die göttliche Energie – männlich und weiblich

Hexen glauben, dass die göttliche Energie (in ihrer weiblichen und männlichen Form) in allem enthalten ist. Einige sehen diese Energie in einer männlichen (Yang) und einer weiblichen (Yin) Gottheit verkörpert. Die männliche Gottheit vertritt zum Beispiel als gehörnter Waldgott das Sonnenprinzip und die weibliche Gottheit als Erdmutter, als Isis, Astarte oder Lilith das Mondprinzip. Wicca wird als polytheistische Religion bezeichnet, da es mehrere Göttinnen und Götter gibt, die aber im Grunde wieder eine Einheit bilden, ein Ganzes. Ein wichtiges Glaubensprinzip ist die Regel: «Wie oben, so unten». Sie soll besagen, dass in allen Bereichen des Kosmos, im Grossen wie im Kleinen, die gleichen polaren Ordnungsprinzipien am Werk seien und dass sich auch im Kleinsten stets das Ganze widerspiegele.

Wicca Meier Spring fasst ihre Überzeugungen so zusammen: «Ich persönlich mag den Gedanken an einen grossen Raum mit vielen Türen. Viele Ansichten und Religionen bringen mich in diesen Raum, aber nur ein Leben in Harmonie und Ausgeglichenheit, in Respekt vor anderen und in Verantwortlichkeit für meine Taten, wird mir die Schlüssel geben, die ich brauche, um durch die Türen zu gehen, die mir bestimmt sind.» Die Ethik der Wicca-Bewegung lässt sich in den folgenden Grundsätzen zusammenfassen: «Tue, was du willst, aber schade niemandem» ist der eine, «alles, was von dir ausgeht, fällt dreifach auf dich zurück» der andere. Alles Tun und Sein durchläuft die drei Stadien: Leben, Tod, Wiedergeburt. Danach kehrt es zur Quelle der Handlung zurück – eine Vorstellung, die grosse Ähnlichkeit mit dem Karmaprinzip hat. Die Rituale dienen dazu, selber die Verantwortung für die eigenen Handlungen und Emotionen zu übernehmen.

Ökofeministischer Zweig

Dianische Wicca ist eine Ausrichtung innerhalb der Wicca-Bewegung, die in den 1970er-Jahren von den Amerikanerinnen Zsuzsanna Budapest und Miriam Simos (besser bekannt als Starhawk) begründet wurde. Es reichert die Wicca-Religion mit Elementen feministischer Göttinnen-Spiritualität an. Der Name bezieht sich auf die römische Göttin Diana, die im Mittelalter als Herrin der Hexen galt. Wie die meisten Traditionen des Wicca setzt sich diese Richtung sehr für die Gleichberechtigung der Geschlechter ein.

Weil sich der Mensch und insbesondere der Mann als überlegen empfindet, nutzt er wahlweise die Umwelt, die Tiere oder auch die Frauen aus.

Das Wort «écofeminism» erfand in den Siebzigerjahren die 2005 verstorbene französische Frauenrechtlerin Françoise d’Eau-bonne. Für Ökofeministinnen hängen Ökokrise und Unterdrückung der Frau zusammen. Eine willkürlich geschaffene Hierarchie sei die Ursache für beides. «Weil sich der Mensch und insbesondere der Mann als überlegen empfindet, nutzt er wahlweise die Umwelt, die Tiere oder auch die Frauen aus», so Émilie Hache, Professorin für ökologische Philosophie an der Universität Nanterre. In Frankreich wurden die Ökofeministinnen im Herbst 2017 im Zug der «MeToo»-Bewegung immer sichtbarer. Wenige Monate später setzte sich die schwedische Schülerin Greta Thunberg mit einem selbstgebastelten Schild vor den Reichstag in Stockholm. «Die Ökofeministen mussten nichts erfinden», sagt Hache. Sie hätten nur zusammengebracht, was schon da war.

Ökofeministische Theologie

Angeregt durch die Ökologiebewegung und den Ökofeminismus haben Theologinnen, insbesondere aus den USA, aus Lateinamerika und Asien bereits in den 1980er- und 1990er-Jahren begonnen, eine ökofeministische Theologie zu entwickeln und anders über die Welt, über Gott und die Menschen zu reden. Einer patriarchalen Weltsicht setzen ökofeministische Entwürfe eine ganzheitliche und relationale Sicht der Welt und des Menschseins entgegen. Diese Theologinnen verstehen eine Veränderung der traditionellen theologischen Sichtweisen als eine zutiefst politische Aktion.

Eine radikale Veränderung der Beziehungen zwischen Frauen und Männern, zwischen den Menschen und dem Göttlichen, zwischen den Menschen und der Erde ist ihrer Ansicht nach die Voraussetzung dafür, den Biozid zu verhindern. Für sie ist die ganze Schöpfung – zu der selbstredend auch die Menschen gehören – ein einziger Körper, ein grosser Organismus. Alles, was existiert, steht in einer wechselseitigen Beziehung. Das ähnelt dem Prinzip «wie oben, so unten», das in der Wicca-Bewegung gilt. Diese Erkenntnis ist die Grundlage für eine Spiritualität, die uns Menschen nicht mehr als Ausbeuter:innen und Besitzer:innen der Erde versteht, sondern als integralen Teil der Schöpfung. In solchen Konzepten treffen sich Ökofeminismus und modernes Hexentum.


Der aufbruch steht für einen Standpunkt, der das Religiöse als eine menschheitsgeschichtliche Konstante betrachtet, die in ihrer Vielschichtigkeit gerade heute höchste Relevanz hat. Mit 2023 ist bei aufbruch eine neue Ära angebrochen. Der Heft-Titel prägt in Zukunft eine ganze Ausgabe. Der aufbruch nimmt ungewohnte Perspektiven ein und stellt in den Themenbereichen Religion, Spiritualität, Ethik und Gesellschaft überraschende interreligiöse und gesellschaftliche Bezüge her. Unter dem aktuellen Titel «dunkhell» stehen passend zum Februar/März Reflektionen über Licht und Dunkel im Fokus, die in religiösen Erfahrungen und spirituellen Traditionen eine zentrale Rolle spielen.
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Autor

  • Christian Urech

    pensionierter Deutschlehrer und Journalist ||| Christian Urech (67), wohnhaft in Zürich (CH) /Banjuwangi (Java, Indonesien), arbeitet(e) als Deutschlehrer, Journalist, Texter, Lektor und Korrektor und ist seit 2009 im aufbruch Team, wo er heute noch als Mitglied des Redaktionsteams, als Vorstandsmitglied und Korrektor tätig ist.

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