Interreligiöser Dialog  ·  Schweiz
Katja Joho

Interreligiöser Dialog – Wo stehen wir und wohin führt der Weg?

Seit den 1990er Jahren sind in der Schweiz Initiativen im interreligiösen Dialog entstanden. Sie unterscheiden sich zum Teil erheblich in ihren Ansätzen: Bei den einen geht es um direkte Begegnung und Veranstaltungen, andere konzentrieren sich auf den Dialog zwischen Leitungspersonen oder die Wissensvermittlung. Die Pionierphase ist vorbei, es stellt sich die Frage, wie es weitergehen soll. 

Die interreligiöse Arbeit begann vor rund 30 Jahren, inspiriert von ökumenischen Initiativen und angesichts neu in der Schweiz ankommender Menschen mit ihren religiösen Bedürfnissen. Ein Beispiel ist IRAS COTIS, die Interreligiöse Arbeitsgemeinschaft in der Schweiz, die 1992 gegründet wurde. Ihr Zweck war es, den Geflüchteten aus Indochina die Ausübung ihres Glaubens zu ermöglichen. In dieser Zeit entstanden auch andere interreligiöse Organisationen wie das Zürcher Forum der Religionen oder die Interreligiöse Plattform Genf.

Bottom up oder top-Down 

IRAS COTIS hat sich seit der Gründung vor gut 30 Jahren gewandelt. Die Arbeitsgemeinschaft wurde zu einem nationalen Netzwerk von Religionen und Dialogplattformen. Zahlreiche Runde Tische entstanden ebenfalls in dieser Zeit. IRAS COTIS hat verschiedene nationale Projekte iniziiert, so die «Woche der Religionen», «Dialogue en Route» und die Meinungs- und Austauschplattform «religion.ch». Als Basisorganisation setzt der Verein das Hauptaugenmerk auf den interreligiösen Dialog, wie er von Menschen an der Basis der Religionsgemeinschaften organisiert wird. Dementsprechend sind viele Religionsgemeinschaften und Dialogforen Mitglieder bei IRAS COTIS. 

Daneben gibt es den Schweizerischen Rat der Religionen, der im Gegensatz zu IRAS COTIS einen Top-Down-Ansatz verfolgt: Im Rat sitzen hochrangige Repräsentant:innen der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz, der Schweizer Bischofskonferenz, des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes und der Föderation islamischer Dachorganisationen der Schweiz sowie der KIOS, der Christkatholischen Kirche der Schweiz, der Orthodoxie und der Schweizerischen Evangelischen Allianz

Im Austausch mit dem Bund

Der Rat der Religionen ist das Ansprechgremium der nationalen Politik, obwohl nur ein Teil der in der Schweiz ansässigen Religionsgemeinschaften vertreten ist. Es wäre wichtig, dass der Bund mit einer breiteren Gruppe religiöser Vertreter:innen in einem regelmässigen Austausch stehen würde. Das ist im Moment leider nicht der Fall. Beim Bund ist das Religionsdossier auf verschiedene Stellen verteilt, so beispielsweise die Fachstelle für Rassismusbekämpfung beim Eidgenössischen Departement des Inneren oder das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement. Auch beim Staatssekretariat für Migration SEM wird das Thema am Rand bearbeitet, unter dem Aspekt der Migration. 

Der Wunsch von IRAS COTIS wäre es aber, dass beim Bund eine spezifische Ansprechstelle für Religion geschaffen würde, die mit den Vertretungen der Religionsgemeinschaften im Austausch stehen und interreligiöse Anliegen unterstützen könnte – in positiver Weise, ohne mit dem Blick in erster Linie auf Problemzonen wie Rassismus, Radikalisierung oder Migration zu verharren. 

Zuständigkeit für Religion: Der Ball liegt bei den Kantonen

Die interreligiöse Arbeit in der Schweiz ist stark durch den Föderalismus sowie die Bevölkerungsstruktur in den einzelnen Kantonen geprägt. Für Religionsfragen sind die Kantone zuständig und so wurden in unterschiedlichem Mass Stellen zur Bearbeitung und Koordination des Themas Religion geschaffen.

Beispiele dafür sind die Abteilung für Gleichstellung und Diversität im Kanton Basel-Stadt, die Koordinationsstelle Religionsfragen im Amt für Gesellschaft und Soziales im Kanton Solothurn oder auch die Stelle eine:r Beauftragten für kirchliche und religiöse Angelegenheiten bei der Direktion für Inneres und Justiz des Kantons Bern. In diesen Fällen wird ein erheblicher Teil der interreligiösen Arbeit durch den Kanton koordiniert, auch wenn daneben noch interreligiöse Gefässe exisitieren, die auf Freiwilligenarbeit basieren. 

An vielen dieser Orte waren es alltagspraktische Fragen, die den Startschuss für den Dialog des Kantons mit den Religionsgemeinschaften gaben.

Im Kanton Zürich entstand das Zürcher Forum der Religionen auf diese Weise, wurde dann aber in die Form eines Vereins überführt und wird nun neben Geldern aus der Öffentlichen Hand auch über Mitgliederbeiträge und Eigenleistungen finanziert. Im Kanton St.Gallen sind Kanton und Gemeinden neben religiösen Akteuren an der Umsetzung der «Interreligiösen Dialog und Aktionswoche IDA» beteiligt. Ansonsten wird der interreligiöse Dialog jedoch über Vereine organisiert. In Schaffhausen korrdiniert die Integrationsfachstelle Region Schaffhausen den Interreligiösen Dialog Schaffhausen IRDSH

IRAS-COTIS GV 2023 der Reformierten Kirche und im Sikh-Tempel in Langenthal.

An vielen dieser Orte waren es alltagspraktische Fragen, die den Startschuss für den Dialog des Kantons mit den Religionsgemeinschaften gaben. In erster Linie das Finden von geeigneten Gebetsräumlichkeiten, dann Fragen zur Bestattung von Muslim:innen und Hindus, zum Religionsunterricht in Schulen und Feiertagsregelungen, oder andere Fragen des Zusammenlebens und schliesslich zur Seelsorge in den Spitälern und Gefängnissen.

Eine Vielfalt von Ansätzen und Organisationsformen

Eine behördliche Einbettung der interreligiösen Arbeit wie in den genannten Fällen kann es vereinfachen, Strukturen aufrecht zu erhalten. Vereine, die grösstenteils auf Freiwilligenarbeit beruhen, sind häufig abhängig von einigen wenigen Personen. Geben diese ihren Einsatz auf, kann der ganze Verein zum Erliegen kommen.

Auch das Engagement von kirchlicher Seite ist oft stark von Personen abhängig. Ein Personalwechsel kann leicht zu einem Abbruch der interreligiösen Aktivitäten führen. Die im interreligiösen Dialog aktiven Gruppierungen unterscheiden sich sehr stark durch ihre Ressourcen und das unterschiedliche Mass an Professionalisierung. 

Wer sind die Menschen, die die interreligiöse Arbeit leisten?

Auch wenn er interreligiöser Dialog heisst: Eigentlich sind es nicht Religionen, die in Dialog treten, sondern Menschen, Repräsentantinnen und Repräsentanten, Gläubige, Angehörige von Religionsgemeinschaften. Der interreligiöse Dialog ist Beziehungsarbeit zwischen Menschen, die einander kennen und schätzen lernen, im Kontakt bleiben. Denn Dialog baut auf Beziehung auf und eine Diskussion über Weltsichten ist erst möglich, wenn Beziehung und eine Vertrauensbasis bestehen. Es gibt aber auch den umgekehrten Weg: Ein geeignetes Dialoggefäss bringt uns dazu, in Beziehung zu treten und zu bleiben. 

Wenn interreligiöse Gruppen eine Veranstaltung zusammen planen, beispielsweise für die «Woche der Religionen», wird diese ein Erfolg, weil Familie und Freundeskreis daran aktiv teilnehmen.

Genau so hat sich der Dialog bewährt: Interreligiöse Gruppen, die sich regelmässig treffen, einander gut kennen, auch einmal etwas zusammen unternehmen. Wenn sie eine Veranstaltung zusammen planen, beispielsweise für die «Woche der Religionen», wird diese ein Erfolg, weil Familie und Freundeskreis daran aktiv teilnehmen. Im Interreligiösen Dialog sind Überzeugungstäter:innen am Werk. Sie machen die zeitaufwändige Basisarbeit, sind religiös motiviert und wollen an der Gesellschaft mitbauen. 

Private Initiativen

In verschiedenen Kantonen entwickelte sich das Bewusstsein und Bedürfnis für den interreligiösen Dialog bei Angehörigen von Kirchen und Religionsgemeinschaften, die sich auf eigene Initiative hin und mit viel Freiwilligenarbeit zusammenschlossen. Beispiele dafür sind der Aargauer interreligiöse Arbeitskreis Airak, das Haus der Religionen in Bern, die Luzerner ReligionsgemeinschaftenReligionen im Dialog in Nidwalden, der Runde Tisch der Religionen St.Gallen und Umgebung oder der Interreligiöse Arbeitskreis im Kanton Thurgau

Das Kirchengesetz des Kantons Zürich schreibt zum Beispiel vor, dass Kirchen einen gewissen Teil der Steuergelder zur Unterstützung von Tätigkeiten mit einer gesamtgesellschaftlichen Bedeutung eingesetzt werden müssen.

Die Finanzierung dieser Organisationen ist jeweils sehr unterschiedlich. Während das Haus der Religionen Bern auch staatliche Beiträge erhält, finanzieren sich andere vollständig über Mitgliederbeiträge und Spenden. Dies hängt stark mit der Grösse der jeweiligen Organisationen und deren kantonaler Einbindung zusammen. Das Kirchengesetz des Kantons Zürich schreibt zum Beispiel vor, dass Kirchen einen gewissen Teil der Steuergelder zur Unterstützung von Tätigkeiten mit einer gesamtgesellschaftlichen Bedeutung eingesetzt werden müssen. Solche Gelder können dann unter anderem auch für die Finanzierung des interreligiösen Dialogs eingesetzt werden. Die Finanzierung der Vereine und Organisationen ist häufig auf deren Webseiten transparent gemacht. 

Auch in der französischen und italienischen Schweiz gibt es zahlreiche Initiativen, die von Religionsgemeinschaften und Privatpersonen ausgingen. Zu nennen sind die Gruppen Amitié en Humanité im Kanton Jura, der Groupe Cantonal Neuchâtelois de Dialogue Interreligieux, der Groupe Interreligieux de Fribourg, der Groupe interreligieux et interculturel de la Gruyère, die Plateforme interreligieuse Valais, die Plateforme interreligieuse de Genève und das Forum delle religioni im Tessin.

Neben den Gruppierungen mit kantonaler Ausstrahlung existieren noch zahlreiche lokale Vereinigungen wie der Interreligiöser Arbeitskreis Bülach, die Interreligiöse Dialoggruppe Dietikon oder andere mehr. 

Initiativen der Kirchen

Auch zahlreiche kantonale oder städtische Kirchen haben intern Stellen für den interreligiösen Dialog geschaffen, so die Katholische Kirche Stadt Luzern mit dem Fachbereich Migration und Integration. Aktuell laufen Vorbereitungen, die Aktivitäten in einen unabhängigen Verein zu überführen. Verschiedene kirchliche Stellen nehmen neben anderen auch interreligiöse Aufgaben wahr, so der Arbeitskreis für Zeitfragen der Reformierten Kirche Biel, die Fachstelle Kirche im Dialog der Katholischen Kirche Bern und das Forum für Zeitfragen der Evangelisch-reformierten Kirche Basel-Stadt.

Welchen Dialog braucht es in Zukunft?

Die interreligiöse Arbeit schaut auf rund 30 Jahre zurück. In dieser Zeit haben sich die Rahmenbedingungen laufend verändert. Während anfangs noch Begegnung und Kennenlernen im Vordergrund standen, reicht es heute nicht mehr, sich unter religiös Interessierten zu treffen und die bereits Überzeugten noch weiter zu bearbeiten. Die Frage nach der Sinnhaftigkeit der bestehenden Form von interreligiöser Arbeit stellt sich zu recht. Welche Form von interreligiöser Arbeit braucht es also?

An Wichtigkeit für die interreligiöse Arbeit gewinnen säkulare Menschen, religiös Distanzierte, Nicht-Religiöse: Sie machen einen immer grösseren Teil der Gesellschaft aus und ihre Wahrnehmung von Religion wird in Zukunft entscheidend sein. Wie werden sie das Thema in Politik und Gesellschaft bewerten und bearbeiten? 

Religion wird in der Öffentlichkeit zunehmend als problematisch wahrgenommen. Es ist existenziell für Religionsgemeinschaften, darin mitgemeint die Kirchen, an der Verbesserung dieser Wahrnehmung zu arbeiten.

Nach 30 Jahren ist bei der interreligiösen Arbeit ein Generationenwechsel angelaufen. Viele junge Menschen bezeichnen sich als säkular, trotzdem treiben sie existenzielle Fragen um, es fehlen jedoch religiöse Anknüpfungspunkte. Werden sie sich in den Dialog einbringen?

Eine grosse Herausforderung für die interreligiöse Arbeit ist die Finanzierung, Texte dazu gibt es in der Themenreihe auf «religion.ch». Vor allem die Angehörigen der Minderheitsgemeinschaften leisten praktisch ausschliesslich Freiwilligenarbeit. Wird sich eine Lösung finden, um die interreligiöse Arbeit auf eine solide finanzielle Basis zu stellen und so allen das Engagement zu ermöglichen?

Religion wird in der Öffentlichkeit zunehmend als problematisch wahrgenommen, als Grund für Kriege, als Instrument von Macht und Missbrauch. Es ist existenziell für Religionsgemeinschaften, darin mitgemeint die Kirchen, an der Verbesserung dieser Wahrnehmung zu arbeiten. Dabei geht es schon lange nicht mehr um die eigene Konfession oder Religion, denn letztendlich sind alle von den gleichen Problemen des Unverständnisses, Argwohns und der Verdrängung alles Religiösen aus der Öffentlichkeit betroffen. Werden sie es schaffen, den Benefit von Religion für die Gesamtgesellschaft plausibel und überzeugend aufzuzeigen?

Das Haus der Religionen in Bern hat die Initiative ergriffen, wird in nächster Zeit mit Exponent:innen des interreligiösen Dialogs im Projekt «Quo vadis interreligiöser Dialog» eine Bestandesaufnahme machen und die Resultate an einer Tagung weiter bearbeiten. Wir sind dankbar für die Initiative und gespannt auf die Resultate.


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Autor

  • Katja Joho

    Katja Joho ist Geschäftsführerin IRAS COTIS ||| Katja Joho, lic. Phil. I., hat an der Universität Zürich Italienisch und Russisch studiert, beim Internationalen Komitee vom Roten Kreuz IKRK als Dolmetscherin in Georgien/Abchasien und Russland gearbeitet und war anschliessend bei Pro Senectute Kanton Zürich und als Redaktorin der konfessionellen Frauenzeitschrift «Schritte ins Offene» tätig. Seit 2013 ist sie Geschäftsführerin von IRAS COTIS, der Interreligiösen Arbeitsgemeinschaft in der Schweiz.

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