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Urs Bertschinger

Liebe und Ehe unter dem Regenbogen – Eine persönliche Annäherung

Liebe und Ehe sind von gesellschaftlichen Normen geprägt, die beim Heranwachsen durch Vorbilder und Lehren, die vermittelt werden, entstehen. In christlichen Kontexten können diese Normen sehr eng sein und davon abweichenden Beziehungsformen nur wenig Raum lassen. Wie gehen christliche Menschen damit um, die Teil der LGBTQ-Bewegung sind? In einer persönlichen Annäherung fragt Urs Bertschinger, Projektleiter der Regenbogenkirche, ob die Ehe neu gedacht werden muss oder ob es sogar Zeit wäre, dieses alte Konzept über Bord zu werfen.

Über die Anfrage, diesen Artikel zu schreiben, habe ich mich sehr gefreut. Die Regenbogenkirche wird wahrgenommen. Doch was kann ich bezüglich Liebe und Ehe aus unserer Perspektive beitragen? Vor allem zur Ehe?

In der Regenbogenkirche feiern lesbische, schwule, bi, Trans-, queere und heterosexuelle Menschen zusammen Gottesdienste und sind gemeinsam unterwegs mit Gott. Wir versuchen, die Welt, die Bibel und den Glauben an Gott aus verschiedenen Blickwinkeln anzuschauen und die cis[i]-heterosexuelle Sichtweise als eine unter vielen zu verstehen. Das Projekt Regenbogenkirche der Evangelisch-methodistischen Kirche (EMK) Zürich 2 startete 2020. Jeden Sonntagabend findet ein Gottesdienst statt –  mit Band, mit Orgel, mit Taizé-Liedern. So vielfälti,g wie die Gottesdienstformen sind, sind auch die Menschen: Singles, in Partnerschaft lebende, verheiratete, geschiedene, verwitwete.

Doch was ist Ehe?

Aus LGBTQ[ii]-Sicht ist der Begriff Ehe recht schwierig. In der Schweiz dürfen Lesben und Schwule erst ab Sommer 2022 eine Ehe eingehen. Seit 2007 gibt es in der Schweiz die eingetragene Partnerschaft für gleichgeschlechtliche Paare, die schon viele Rechte und Pflichten der Ehe aufnimmt, aber eben noch nicht alle. Und davor konnten nur mit Verträgen gewisse Dinge in einer Partnerschaft rechtlich geregelt werden.

In biblischer Zeit war die Ehe die Verbindung von Mann und Frau nach dem ersten Geschlechtsakt, meist arrangiert und eingebettet in familienrechtliche Verträge, verbunden mit dem Ziel der Fortpflanzung.

Somit war es gleichgeschlechtlichen Paaren bis jetzt gar nicht möglich, eine Ehe einzugehen. Doch was ist Ehe? Für mich ist es eine vom Staat geregelte Form des Zusammenlebens, die noch relativ jung ist und mit vielen ungeschriebenen «Gesetzen» verbunden wird, wie zum Beispiel sexueller Treue und romantischer Liebe. In biblischer Zeit war die Ehe die Verbindung von Mann und Frau nach dem ersten Geschlechtsakt, meist arrangiert und eingebettet in familienrechtliche Verträge, verbunden mit dem Ziel der Fortpflanzung.

Gleichgeschlechtliche Liebe und Beziehungen gab es wohl schon immer, auch wenn früher die Beziehungen ganz anders waren, als wir heute Paarbeziehungen verstehen (auch bei heterosexuellen Menschen) und je nach Gesellschaft unterschiedlich gelebt werden konnten beziehungsweise akzeptiert wurden. Dadurch, dass solche Beziehungen der heterosexuellen Ehe nicht gleichgestellt sind, haben sich auch andere Beziehungsmodelle entwickelt, denn die Beziehungsform wird nicht einfach vom Staat bzw. gesellschaftlichen Normen geregelt, sondern muss zwischen den Betroffenen ausgehandelt werden: Öffentlich sichtbar? Zusammenwohnen? Monogam? Eingetragene Partnerschaft?

Natürlich gelten diese Überlegungen heute auch für heterosexuelle Paare. Aber bei homosexuellen Paaren gab es die Option «Ehe» bis jetzt ja noch gar nicht und durch die persönliche Biografie mit dem Coming-out[iii] werden oft auch andere bürgerliche Vorstellungen der Lebensgestaltung überdacht.

Und dann besteht LGBTQ ja nicht nur aus L, G und B und so wird das Thema Liebe und Ehe noch viel komplexer. LGBTQ vereint ganz unterschiedliche Aspekte und Kombinationen von Geschlechtsidentität, sexueller und romantischer Orientierung. Und immer wieder entstehen neue Begriffe[iv]. Es gibt in dieser Community Menschen, die eine heterosexuelle Ehe führten, bevor sie sich geoutet haben als lesbisch, schwul, trans … Dann stellt sich die Frage: Scheidung oder doch zusammenbleiben? Meistens kommt es zu einer Trennung. Ich kenne aber auch eine Trans-Frau, die weiterhin mit der Frau zusammenlebt, die sie als Mann geheiratet hat.

Wie aber stehen wir als Regenbogenkirche zu Liebe und Ehe? Zu Beziehungen? 

Als eine Gemeinde der weltweiten Evangelisch-methodistischen Kirche haben wir die sozialen Grundsätze[v], die Teil der Kirchenordnung sind und gewisse Leitlinien vorgeben. Mit einigen Punkten der aktuellen Version haben wir als Regenbogenkirche sehr Mühe beziehungsweise lehnen sie ab. Dazu gehören die Begrenzung der Ehe auf eine Beziehung zwischen Mann und Frau, die Ablehnung der praktizierten Homosexualität oder das Verbot für homosexuelle Menschen, Pfarrer:in zu werden. Zurzeit ist auch eine kircheninterne weltweite Debatte im Gange betreffend den Umgang mit homosexuellen Menschen. Wir hoffen, dass die ausgrenzenden Punkte angepasst werden und somit der Weg frei wird für einen nichtausgrenzenden Umgang mit LGBTQ-Menschen und dann auch Homosexuelle Pfarrerin oder Pfarrer werden können und Trauungen gleichgeschlechtlicher Paare in der Evangelisch-methodistischen Kirche möglich werden. 

Als Regenbogenkirche haben wir keine Grundsätze, wie Beziehungen aussehen sollen.

Als Regenbogenkirche haben wir keine Grundsätze, wie Beziehungen aussehen sollen. Die Frage nach dem Beziehungsstatus ist auch nicht die erste, die wir neuen Besuchenden stellen. Ich denke, dass jede und jeder diese Fragen mit Gott persönlich klären muss. Und natürlich kann der Austausch auch zu diesen Fragen unter gleich empfindenden Gläubigen eine wertvolle Hilfe sein, wie bei allen anderen Fragen auch, weil wir eine ähnliche Geschichte haben. Dies braucht aber eine Vertrautheit untereinander, die zuerst wachsen muss. Darum werden solche Fragen nicht einfach beim Kirchenkaffee besprochen – auch wenn es da immer wieder sehr persönliche Gespräche gibt.

© Vera Rüttimann

Was sagt die Bibel?

Lassen sich aus der Bibel Beziehungsgrundsätze ableiten, die auch in der heutigen, in der Schweiz zum Glück weniger patriarchalischen Gesellschaft Gültigkeit haben? In den Evangelien werden die Gesetze im Dreifachgebot der Liebe zusammengefasst.[vi] Dieser Dreiklang der Liebe beschreibt eine ideale Welt. Wenn ich durch die Beziehung zu Gott eine bedingungslose Liebe erfahre, kann ich mich selbst annehmen, so wie ich bin. Wenn ich mich so annehme, kann ich auch mit anderen auf Augenhöhe in Beziehung treten. Wenn ich anderen mit Respekt und Offenheit begegne, erkennen sie in mir hoffentlich Gottes Liebe und ich erkenne in ihnen Gottes Ebenbild.

Ist der Mensch Jesus überhaupt ein gutes Vorbild in Sachen Beziehung, da er selber ja nicht verheiratet war?

Ich versuche dieses Gebot in allen Beziehungen, die ich lebe, umzusetzen, was mir leider oft nicht gelingt. Da sehe ich keinen Unterschied zwischen Paarbeziehung und zum Beispiel Kontakten zu Arbeitskolleginnen. In Liebe verantwortungsvoll miteinander umgehen ist immer wichtig. Die Frage ist dann, wie ich merke, ob die gelebte Form der Beziehung gut für mich und die Beziehung zu Gott ist. Wie kann ich alte Muster ablegen und Jesu Vorbild immer ähnlicher werden? Ist der Mensch Jesus überhaupt ein gutes Vorbild in Sachen Beziehung, da er selber ja nicht verheiratet war?

Die Ehe oder doch neue Normen für Beziehungen?

Als gläubige LGBTQ-Menschen stecken wir oft in einem Dilemma: Wollen wir auch die christlich geprägte bürgerliche Beziehungsform «Ehe» leben oder suchen wir neue Normen für unsere Beziehung(en) und versuchen diese mit unserem Glauben in Einklang zu bringen? Eine weitere Frage stellt sich gläubigen Menschen – und da gibt es meines Erachtens keinen Unterschied zwischen heterosexuell und LGBTQ –, die in einer Beziehung mit einem nichtgläubigen Menschen bzw. einem andersgläubigen Menschen leben. Was kommt zuerst? Der Glaube, das heisst, die Beziehung zu Gott, oder die Liebe, also die Beziehung zum Menschen? Je nach christlicher Sozialisation ist die Antwort klarer.

Durch den Coming-out-Prozess wird vieles bis dahin Selbstverständliches hinterfragt und muss neu definiert werden. Bei gläubigen Menschen gehört oft auch das Gottesbild dazu und damit verbunden dann auch die Vorstellung, wie eine (Paar-)Beziehung aussehen soll. Leider wird oft bei diesem Prozess ganz mit dem Glauben gebrochen, weil die erlebten Verletzungen durch andere Gläubige oder kirchlich Angestellte unverzeihlich scheinen. Andere schaffen es, ein neues Verständnis von Glauben und Gott zu entwickeln.

Auf diesem Weg begleiten wir als Regenbogenkirche gerne Menschen: in seelsorgerlichen Gesprächen, im persönlichen Austausch und in der Art, wie wir die biblische Botschaft verstehen und wie wir Gottesdienst feiern. Wir versuchen, von einem bedingungslos liebenden Gott zu sprechen und die Wichtigkeit einer persönlichen Gottesbeziehung aufzuzeigen. Gottes Liebe zu uns ist ein Angebot, das Folgen für mein Leben hat – auch in Bezug auf Beziehungen und Liebe.


[i] cis: die Geschlechtsidentität stimmt von Geburt an mit dem biologischen Geschlecht überein

[ii] LGBTQ: lesbisch, gay (englisch für schwul), bisexuell, trans, queer

[iii] Coming-out: herauskommen, sich und seine sexuelle Orientierung bzw. Geschlechtsidentität akzeptieren und in einem zweiten Schritt auch öffentlich dazu stehen

[iv] Im Internet finden sich verschiedene Übersichten, z.B. hier, abgerufen am 22.1.2022

Bei der Geschlechtsidentität geht es darum, wie man das eigene Geschlecht erlebt oder definiert. Sie muss nicht mit dem biologischen Geschlecht übereinstimmen (z.B. bei Trans-Menschen). Die romantische Orientierung beschreibt, welches Geschlecht jemand auf emotionale Weise ansprechend findet. Die sexuelle Orientierung beschreibt, zu welchem Geschlecht sich jemand auf körperliche Weise hingezogen fühlt.

[v] Siehe www.emk-schweiz.ch, abgerufen am 14.3.2022

[vi] Lukas-Evangelium 10, 27

[vii] Informationen zum Projekt unter www.regenbogenkirche.ch

Autor

  • Urs Bertschinger

    Mitglied der Projektleitung Regenbogenkirche der Evangelisch-methodistischen Kirche Zürich 2 ||| Urs Bertschinger ist Mitglied der Projektleitung Regenbogenkirche der Evangelisch-methodistischen Kirche Zürich 2. Zusammen mit anderen Freiwilligen und Pfarrer Stefan Zolliker plant er vor allem die Regenbogen-Gottesdienste mit und macht in diesen die Musik. Der ausgebildete Primarlehrer und Kirchenmusiker unterrichtet daneben Textiles und Technisches Gestalten und arbeitet in der reformierten Kirche als Chorleiter. Er lebt seit gut 14 Jahren in wilder Ehe mit seinem Mann zusammen.

Ein Gedanke zu „Liebe und Ehe unter dem Regenbogen – Eine persönliche Annäherung

  • Hallo ich bin für ein komplett neues neues öffentliches Partnerschaftsgesetz mit folgenden Kapiteln

    1. Regeln nur für Ehe, nur für Mann und Frau, kirchlich und nicht kirchlich
    2. Regeln für Partnerschaften, alle möglichen Partnerschaften, für LGBTQ, etc.(nicht als Ehe bezeichnen)
    3. Alleinlebende, Nichtverheiratene, (event. auch Ehen mit mehreren Frauen)
    3. Regeln für Trennungen, Scheidungen bei 1 und 2
    4. Regeln für Adoptionen, etc. für 1 , 2 und 3
    und event. folgendes Kapitel:
    5. Regeln für Erbschaften bei 1, 2 und 3

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