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Zoé Meier

Sprechen nicht-religiöse Menschen zu wenig über den Tod?

Todesvorstellungen sind fester Bestandteil von religiösen Weltvorstellungen. Ob Himmel und Hölle, Reinkarnation, Nirwana oder Dschanna – der Glaube an eine Religion klärt die Frage danach, was nach dem Tod mit uns passiert. Da weder wissenschaftlich erforscht noch durch Erfahrungsberichte aufgezeigt werden kann, was nach dem Tod passiert, kann eine Erklärung durch eine Religion Sicherheit geben und Ängste nehmen. Was machen aber nun die Menschen, die sich selbst als nicht-religiös bezeichnen? Leben diese in Unsicherheit und Angst?

Die Gruppe von nicht-religiösen Menschen nicht zu vergessen, wenn wir über Todesvorstellungen sprechen, ist sehr zentral. Denn der Anteil der konfessionslosen Personen der Schweizer Bevölkerung ist seit 1970 am stärksten gewachsen. Stand 2019 hatten 29% der Schweizer:innen keine Konfession mehr.

Die Konfession einer Person sagt allerdings noch nicht viel über ihre Religiosität aus. 58% der in der Schweiz lebenden Personen gehören entweder der römisch-katholischen oder der reformierten Kirche an. Dass all diese Personen auch an ein Jenseits glauben, kann nicht pauschal behauptet werden. Umgekehrt kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass alle Personen ohne Konfession keine religiös geprägten Todesvorstellungen haben. Diese Verworrenheit macht es etwas kompliziert, in diesem Themenfeld genaue Aussagen machen zu können.

Sargis, Robert und Paul[1] sind drei Personen, die sich heute als nicht-religiös bezeichnen. Alle drei sind durch ihre Eltern von unterschiedlichen Religionen geprägt. Robert vom Christentum, Sargis vom Islam und Paul vom Buddhismus. Wie sie zur Religion stehen, was sie über den Tod denken und inwiefern ihre Eltern sie dabei beeinflussten, versuchten sie mir zu beantworten, um in diese komplizierte Frage etwas Klarheit zu bringen. 

Von Dschanna zu Karma

Sargis wuchs in einer muslimischen Familie auf. Seine Eltern stammen ursprünglich aus Armenien und sind mit circa 30 Jahren in die Schweiz migriert. Das Leben in Armenien wird sehr strikt nach religiösen Regeln gelebt, weswegen seine Eltern stark religiös geprägt sind. Bis er 19 Jahre alt wurde, war Sargis selbst auch religiös. In diesem Alter begann er sich mit seinem eigenen Glauben kritisch auseinanderzusetzen und es kamen Zweifel bei ihm auf. Dies wurde dann verstärkt durch das Schulfach «Religionslehre» im Gymnasium, in dem er sich selbst über andere Religionen und deren Entstehungsgeschichten informierte.

Durch seine 19 Jahre als religiöse Person und den starken religiösen Einfluss von seinen Eltern, bei denen er auch wohnt, würde sich Sargis allerdings nicht als überhaupt nicht religiös bezeichnen. Durch seine Erziehung hat er sich ein Verhalten angeeignet, welches religiös geprägt ist, und durch die Jahre brannten sich viele Glaubensinhalte ein. Sargis suchte für sich ein neues Konzept, um sich zu motivieren, gut zu handeln. Deswegen gefällt ihm die Idee des Karmas, die für ihn eine schnellere Variante einer Bestrafung für schlechtes Verhalten darstellt. 

Bestenfalls sensorisch empfänglich

Robert wuchs auf dem Land in einer römisch-katholischen Bauernfamilie auf. Vor allem sein Grossvater, aber auch sein Vater waren sehr streng katholisch, während seine Mutter einen weniger strengen Glauben lebte. Sein Vater und sein Grossvater waren weltoffen und pragmatisch, ausser wenn es um den Glauben ging. Robert kam die Religion in seiner Familie manchmal «sektenhaft» vor. Er erlebte seine Familie als von ihren Glaubensinhalten eingeschlossen. Sie hätten ihren religiösen Vorbildern stark nachgeeifert. 

Der Glauben an die Anwesenheit bereits verstorbener Personen war für sie selbstverständlich.

Im Alltag war die Religion ebenfalls tief verankert. So beteten sie viel, besuchten die Kirche und verbrachten ihre Familienferien an religiös geprägten Orten in der Schweiz. Ausserdem segneten sie Gegenstände im Haus wie auch ihre Tiere auf dem Bauernhof an katholischen Feiertagen. Schlimme Ereignisse verbanden sie mit der Religion. Der Glauben an die Anwesenheit bereits verstorbener Personen war für sie selbstverständlich. Mit 15 Jahren wechselte Robert an ein katholisches Internat, um das Gymnasium zu machen. Ein Grund dafür war, ein bisschen Abstand von der Familie und diesem Alltag zu gewinnen.

Durch die intensive Auseinandersetzung mit dem Glauben wurde für Robert immer klarer, dass der katholische Glaube nichts für ihn ist. Auf ihn wirkte der Glaube wie eine Fassade. Seine Freunde am Gymnasium bezeichnet er als «schräge Vögel». Er passte nicht rein und wollte nicht so werden. Seine Loslösung von der Kirche war ein Prozess. Durch seinen Entschluss, den katholischen Glauben abzulegen, hatte Robert viele Konflikte mit seinen Eltern und sogar jahrelange Kontaktunterbrüche. Heute bezeichnet sich Robert nicht als vollkommen nicht-religiös. Er meint, er sei bestenfalls sensorisch empfänglich:

«Also ich lehne das nicht ab, ich brauche es auch nicht, ich höre auch nicht wirklich zu, es interessiert mich auch nicht. Aber ich lasse es eigentlich wie kommen und gehen. Ich habe das Gefühl, es spielt für mich keine Rolle. Deswegen die Frage, wie religiös bin ich: weder verbissen noch sonst, aber wahrscheinlich nicht wirklich. Bestenfalls sensorisch empfänglich.»

Es fehlen die Fakten

Pauls Eltern stammen aus China und sind Buddhisten. Seine Eltern glauben an die Wiedergeburt und an die zehn Prinzipien, die es im Buddhismus gibt. Sie sind überzeugt, dass man sich entsprechend gewissen Moralvorstellungen verhalten muss, um im nächsten Leben belohnt zu werden. Wer sich schlecht verhält, so glauben sie, dessen Seele werde in einem Wok voller heissem Öl brennen. Paul ist zwar religiös aufgewachsen, er betont aber, seine Eltern hätten ihm die Religion nie aufgedrängt.

Foto von Edgar Perez auf Unsplash

Deshalb empfand sich Paul auch nie in seinem Leben als religiös. Bereits in der Primarschule wurde ihm klar, dass er mit Religion nur wenig anfangen konnte. Religion könne Menschen vielleicht Hoffnung und Sicherheit in schwierigen Zeiten geben. Für ihn war das aber nie so. Er hat keinen Bezug zu Religion, dennoch respektiert er sie. Für ihn fehlten jedoch die Fakten.

Nach dem Tod kommt «nichts»

Obwohl die drei Personen unterschiedliche Erfahrungen mit Religion gemacht haben, lassen sich in ihren Todesvorstellungen doch gewisse Parallelen erkennen. Alle drei sind der klaren Meinung, dass der Tod das Ende des Lebens und des Bewusstseins bedeutet. Robert sagt, es interessiere ihn nicht, was nach dem Leben komme. Einige Gedanken macht er sich aber trotzdem. Denn er glaubt, dass nach dem Tod «nichts» kommt.

Alle drei haben ihre eigenen Vorstellungen von jenen ihrer Familien emanzipiert. Gleichzeitig lassen sich Prägungen erkennen, die im Zusammenhang mit ihren Familien wie auch mit gesellschaftlichen Strukturen stehen. Bei allen dreien finden sich auch Widersprüche und Unsicherheiten. So spricht Paul von einem «dort» in Bezug auf den Tod. Womöglich übernehmen nicht-religiöse Menschen ein gewisses Vokabular aus dem gesellschaftlich geführten Diskurs über den Tod, der hauptsächlich religiös stattfindet. 

Nehmen nicht-religiöse Personen ihre eigenen Aussagen über den Tod gar nicht als Glaubensvorstellung, sondern vielleicht eher als «neutrale Weltbeschreibung» wahr? 

Sargis und Paul äussern beide Zweifel, dass es überhaupt Wissen dazu geben kann, was nach dem Tod sei. Im Anschluss an diese Antworten stellt sich die Frage, ob es für Menschen mit einem säkularen Weltbild gar keinen Diskussionsbedarf zum Thema Tod gibt und auch ob nur religiös geprägte Todesvorstellungen einen offenen Wahrheitsanspruch erheben. In den Aussagen des «Nicht-Wissens» versteckt sich jedoch genauso einen Wahrheitsanspruch – die Vorstellung, dass man nicht wissen kann, was nach dem Tod kommt.

Todesvorstellungen ohne Wahrheitsanspruch?

Trotz ihren eigenen Todesvorstellungen schlagen Paul, Robert und Sargis die Möglichkeit nicht aus, dass andere Vorstellungen korrekt sein könnten. Sie bezeichnen ihre Vorstellungen ganz im wissenschaftlichen Jargon als «Theorie» oder finden, dass es nicht möglich ist, zu wissen, was nach dem Tod passiert. Weshalb diese vagen Formulierungen? Stellen nicht-religiöse Menschen einen geringeren Wahrheitsanspruch an ihre eigenen Todesvorstellungen? Oder haben die drei durch ihre religiöse Vergangenheit eine gewisse Offenheit gegenüber anderen Vorstellungen entwickelt? Nehmen nicht-religiöse Personen ihre eigenen Aussagen über den Tod gar nicht als Glaubensvorstellung, sondern vielleicht eher als «neutrale Weltbeschreibung» wahr? 

Nicht-religiöse Personen vertreten in der Schweiz eine Vorstellung, die als Norm wahrgenommen wird. Umfragen zeigen, dass nur wenige Schweizer:innen beispielsweise an Himmel und Hölle glauben. Das könnte der Grund sein, weswegen nicht-religiösen Personen die Worte fehlen, wenn sie über den Tod sprechen. Es ist in ihrem Alltag nicht nötig, ihren Standpunkt zu verteidigen oder zu beweisen. Ausserdem gibt es auch nichts, worüber gesprochen werden kann, wenn sich nicht-religiöse Personen «nichts» nach dem Tod vorstellen. Aus dieser Perspektive würden nicht-religiöse Personen das «Nichts» nach dem Tod auch nicht als «Todesvorstellung» beschreiben, sondern womöglich als den wahrscheinlichsten Ausgang des Lebens betrachten, über welchen nicht diskutiert werden muss oder kann.

Nach dem Tod kommt «Nichts» – auch das ist eine persönliche Vorstellung

Da das Thema Tod alle betrifft, sollte man meinen, dass es auch nicht-religiös diskutiert wird. Es ist ein Thema, welches jede:n betrifft. Nicht-religiöse Personen scheinen sich jedoch nur vorsichtig an die Thematik anzunähern. Haben nicht-religiösen Personen kein Bedürfnis, sich mit der Endlichkeit des Lebens auseinanderzusetzten? Sehen sie keine relevante Thematik darin? Oder gibt es eigentlich Bedarf, aber das Wissen fehlt, wie darüber auch nicht-religiös gesprochen werden könnte? 

Ausserdem betrifft das Thema Tod jede:n, unabhängig von der individuellen Religiosität.

Es kommt der Eindruck auf, dass das Thema Tod und Bestattung fast ausschliesslich religiös diskutiert wird. Wie die religiöse Landschaft der Schweiz zeigt, wird die Konfessionsfreiheit und die Nicht-Religiosität in der Gesellschaft immer präsenter. Ausserdem betrifft das Thema Tod jede:n, unabhängig von der individuellen Religiosität. Aus diesem Grund sollte ein Diskurs über die Themen Umgang mit dem Tod, Todesvorstellungen und Bestattungen unabhängig von Religion geführt werden können. 

Verschiedene Gesellschaften haben verschiedene Umgänge mit dem Sterben und dem Tod, wobei der Tod nie ein Tabuthema sein sollte. Auch die Aussagen von Paul, Sargis und Robert, dass nach dem Tod «nichts» kommt, ist eine persönliche Vorstellung, der in der Forschung und im alltäglichen Diskurs mehr Beachtung geschenkt werden sollte. Dafür müssen wir lernen, dass wir offen über das Sterben und den Tod als Teil des Lebens sprechen können. Es ist wichtig, egal ob religiös oder nicht-religiös, Vorstellungen und eventuell auch Ängste miteinander zu teilen. So können eine gemeinsame Sprache und ein gesellschaftlicher Umgang gefunden werden. Ich denke, der Tod sollte nicht nur etwas Bedrückendes sein. Für mich hat der Tod auch etwas Beruhigendes, das unser Dasein endlich und dadurch wertvoll macht.


[1] Alle Namen wurden zum Zweck der Anonymisierung geändert

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Autor

  • Zoé Meier

    Masterstudentin im Fach Religion, Wirtschaft und Politik ||| Zoé Meier ist Masterstudentin im Fach Religion, Wirtschaft und Politik. Im Rahmen ihrer Bachelorarbeit hat sie sich mit Todesvorstellungen von nicht-religiösen Personen auseinandergesetzt. Ihre Interessen liegen einerseits bei religiösen Gegenwartskulturen und andererseits beim Umgang des Staates mit Religionen.

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