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Reto Bühler

Trost im Nichts

Der Tod ist vielmehr Teil des Lebens als nur sein Ende. Mit ihm verbunden sind Geschichten von Menschen, die wir erzählen oder in unseren Herzen halten. Ein Ort, an dem diese Geschichten immer wieder erzählt werden, ist das Friedhof Forum in Zürich. Dabei bedeutet der Tod für jeden etwas anderes. Trost bieten aber nicht nur Religionen, auch atheistische oder humanistische Weltanschauungen können Ressourcen für den Umgang mit dem Tod bieten.

Seit zehn Jahren bringt das Friedhof Forum der Stadt Zürich mit Hilfe von kulturellen Ausdrucksmitteln den Menschen den Umgang mit dem Tod näher. Wir bieten intellektuelle Auseinandersetzung, aber auch ganz praktische Wissensvermittlung in Form von jährlichen Ausstellungen, regelmässigen Lesungen, Podiums-Veranstaltungen und musikalischen Darbietungen. Im Torbogen des Haupteingangs zum Friedhof Sihlfeld gelegen, betreiben wir ein für die Schweiz einmaliges Service-Zentrum zu Tod, Sterben und Trauer. Vergleichbar sind wir nur mit dem Bestattungs-Museum in Wien oder dem Sepulkralmuseum in Kassel. Als Teil des Bevölkerungsamtes der Stadt Zürich sehen wir uns der Bevölkerung verpflichtet und betreiben deshalb ein offenes Haus der Debatten-Kultur. Der Tod ist eine sehr persönliche Angelegenheit und jeder Mensch hat einen eigenen Umgang mit dem Thema.

Ich beschäftige mich eigentlich gar nicht mit dem Tod

Als ich die Stelle als Leiter des Friedhof Forums letzten August antrat, kam es in meinem Freundeskreis zu einigen interessanten Reaktionen. Weshalb ich mich denn täglich mit dem Tod beschäftigen wolle, das war wohl die häufigste Frage. Und nach einem Jahr kann ich sagen: ich beschäftige mich eigentlich gar nicht mit dem Tod. Der Tod ist für mich ein Zustand, über den man nicht viel sagen kann, denn er ist absolut und nicht zu diskutieren. Er ist eine Tatsache. Natürlich lässt sich darüber streiten, ab wann ein Mensch wirklich tot ist. Medizinisch betrachtet besteht darüber Einigkeit. Bertold Brecht meinte: «Der Mensch ist erst wirklich tot, wenn niemand mehr an ihn denkt».

Was viel mehr interessiert, das ist das Leben davor.

Was viel mehr interessiert, das ist das Leben davor! Aber natürlich auch, wie die Angehörigen mit einem sterbenden Menschen umgehen. Wie sie den Tod verarbeiten, ihn für sich begreifbar machen. Philosophie hilft hier – wie immer – weiter. Für manche Menschen auch Mystik oder Religion. Und die sterbende Person? Was geht in ihr vor? Nicht nur physisch, denn das Prozedere ist weitgehend bekannt. Was passiert auf psychischer Ebene? Wie erlebt man das eigene Sterben? Stirbt der Gläubige «besser» als der Atheist? Wo endet die Selbstbestimmung? Was bedeutet eigentlich «Palliative Care»? Dazu und zu vielem mehr versuchen wir mit unserer aktuellen Ausstellung «The End – My Friend? Umsorgt in den Tod» Antworten zu finden. (Infos hier unten im Kasten)

Durch meine Arbeit im Friedhof Forum komme ich jeden Tag mit dem Tod und der Trauer in Berührung. Im Gegensatz zu unseren Bestatterinnen oder Krematoriums-Mitarbeitenden ist mein Umgang mit dem Tod jedoch ein rein theoretischer, kultureller, geistiger. Die Gespräche mit den Besucherinnen und Besuchern unseres kleinen Museums hallen mir oft lange nach, jede und jeder hat eine eigene Geschichte zu erzählen, hadert mehr oder weniger mit dem Thema. Allen gemein ist jedoch das grosse Interesse am Tod, diesem grossen, faszinierenden Unbekannten, der doch so vertraut und dann doch so fremd ist.

© Christoph Knoch

Der Tod als grosses Neutrum, als Nullpunkt, weder böse, noch gut. Wie das Werden ist das Vergehen eins der grossen Mysterien des Lebens. Wieso haben «alle Dinge ihre Zeit», wie das Michel de Montaigne bemerkte? Das ganze Zitat lautet übrigens «Alle Dinge haben ihre Zeit, auch die guten», was uns zur Theorie des Nichtexistierens von Gerechtigkeit im Weltenlauf bringt, denn sowohl das Schlechte, wie auch das Gute endet irgendwann. Endet somit auch Gott? Oder hat Mephistopheles Recht, wenn er deklamiert: «… denn alles, was entsteht ist wert, dass es zugrunde geht …»? Diese Gedanken kommen mir, wenn ich via den Tod über Religion und Glauben an eine göttliche Kraft nachdenken muss.

Lebst Du einer Religion konform, winkt Dir nach Deinem Ableben das Paradies. Falls nicht, dann könnte es düster werden.

Wenn man dem Tod etwas Positives abgewinnen mag, dann ist es meiner Meinung nach, dass er keine religiösen Unterschiede macht. Ich würde sogar so weit gehen zu behaupten, dass der Tod komplett areligiös ist. Er wird jedoch sehr wohl zum «religionsübergreifenden Tod» gemacht, denn durch die diversen postmortalen Heilsversprechen der diversen Religionsgemeinschaften wird der Tod oft zu einem religionspolitischen Druckmittel: Lebst Du einer Religion konform, winkt Dir nach Deinem Ableben das Paradies. Falls nicht, dann könnte es düster werden.

Missverstehen Sie mich richtig: ich bin nicht religiös.

Ich denke, dass Religiosität helfen kann, in einer komplexen Welt einfache Antworten zu finden. Auch im Mystischen auf alles eine Erklärung zu haben, scheint für viele Menschen tröstlich. Und das ist an sich auch gut so, denn der Mensch braucht Trost – denn er ist ein schwaches Wesen. Jeder Taucher kennt die eigene Verletzlichkeit nur ein paar Meter unter Wasser. Das gleiche gilt in vertikaler Richtung, also gegen oben, himmelwärts. Als Menschen können wir nur hier leben, nirgends sonst. Auf dieser einen Erde, in diesem einen Sonnensystem, in dieser einen Milchstrasse. Eine kleine, blaue, wunderschöne Kugel im grossen Nichts des unermesslichen Universums.

Dieses Vergehen im Grossen, das Weitergeben von Millionen Jahren alten Molekülen, Atomen … – das beruhigt mich.

Vielen macht das Angst – mir nicht. Dieses Vergehen im Grossen, das Weitergeben von Millionen Jahren alten Molekülen, Atomen … – das beruhigt mich. Die Unsterblichkeit erlangen durch die Abgabe von Energie, die wir während unseres Lebens angehäuft haben, in dem wir Nahrung verstoffwechselt haben, mit dem einzigen Ziel, die Körpertemperatur auf knapp 37 Grad Celsius zu halten. Und diese Energie wird nach unserem Tod wieder im grossen Ganzen aufgehen. Diesen Lebenszyklus kann ich akzeptieren. Er ist messbar, wiederholbar. Er ergibt einen Sinn. Und das wiederum gibt mir einen Halt. Ist das vielleicht meine Art der «Religion»? Nein, nicht unbedingt. Denn mein Glaube basiert auf Fakten. «Was ohne Beweise behauptet werden kann, kann ohne Beweis abgetan werden», meint Christopher Hitchens.

Bei der handelsüblichen Religion verhält es sich anders. Ich muss glauben. Muss glauben, dass zum Beispiel Jahrhunderte alte Aufzeichnungen aus der Wüste auch heute noch in einer digitalisierten Welt ihre Richtigkeit haben. Muss glauben, dass alles einen Sinn und eine Vorbestimmung hat. Muss aber auch glauben, dass am Ende alles gut kommt. Dass ich Erlösung finde.

… das Nichtwissen über «das was kommt» ist das einzig Wahre.

Ich denke, beide Konzepte haben ihre Richtigkeit. Denn als Atheist kann ich ebenso wenig beweisen, dass nach dem Tod das «Nichts» ist, wie dies religiöse Menschen mit ihren Paradiesvorstellungen können. Wir sind uns in dieser Hinsicht also einig: das Nichtwissen über «das was kommt» ist das einzig Wahre. Es bleibt ein Hoffen und Bangen. «Ich glaube nicht an ein Leben nach dem Tod, aber wenn es passiert, nehme ich mir trotzdem ein zweites Paar Unterhosen mit», meinte Woody Allen. Und dies fasst es doch gut zusammen: in unserem Nichtwissen halten wir uns die Optionen offen. Diesen Ansatz erachte ich für mich als den am schlüssigsten.


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Autor

  • Reto Bühler

    Leiter des Friedhof Forums der Stadt Zürich ||| Reto Bühler ist der Leiter des Friedhof Forums der Stadt Zürich und langjähriger Kulturveranstalter.

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