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Kerem Adıgüzel

Abtreibung im Islam ist Mord, wenn …

Sie möchten sich den Artikel gerne vorlesen lassen? Mirella Candreia liest in unserer Sommerserie 2023 unsere meistgelesenen Artikel vor.

Wann beginnt das Leben? Und ab wann ist Abtreibung Mord? Im Islam können diese Fragen mit Hilfe des Korans erörtert werden. Kerem Adıgüzel zeigt eine Möglichkeit, auf diese Fragen Antworten zu finden.

Die Frage nach der Abtreibung kann sehr schnell und leicht die Gemüter erhitzen, denn die Meinungen erhalten aufgrund individueller Umstände unterschiedliches Gewicht. Wir kennen aus dem Alltag, dass auch jedes Gesetz seine Ausnahmen oder Bedingungen hat. Dies gilt ebenso für sämtliche aus dem Koran abgeleiteten und dadurch als Interpretationen einzustufenden Regeln. Die eigene Kultur, unsere Sozialisierung, unser Bildungs- wie auch Wissensstand spielen eine grosse Rolle, wie wir welche Positionen erzeugen und einstufen.

Der Koran ist auch ein sehr ambiger Text, der jederzeit Vielfalt und ein ausgeklügeltes, differenziertes Verständnis erfordert und fördert. Eindeutigkeit kann hier höchstens eine Illusion der Sicherheit vermitteln. Sie ist also ein unerreichbares Unterfangen. Je nach Methodik und philosophischen Annahmen (Prämissen) werden unterschiedliche Ergebnisse erfolgen müssen.

Der Schwangerschaftsabbruch beschäftigt schon lange

Die Frage, ob Schwangerschaftsabbruch verboten ist, wurde nicht erst kürzlich relevant für muslimische Gläubige, ganz zu schweigen für die Gelehrten. Sie haben sich mit solchen Themen aus allen möglichen Perspektiven bereits intensiv auseinandergesetzt. Fragen wie «wann beginnt das Leben?», «wie ist der Zusammenhang zwischen Seele, Geist und Körper?» und «wann werden die Körper beseelt?» führten zu unterschiedlichen Ansichten unter den muslimischen Gelehrten.

Wichtig ist hierbei die Anmerkung, dass diese (Rechts-)Gelehrten zumeist nicht Theologie im heutigen Sinne betreiben wollten. Sie waren in erster Linie Juristen. Um dogmatische Wahrheitsfindungen kümmerten sich vornehmlich die «Philosoph:innen» (mutakallimûn). Es ging ihnen primär um eine systematische, analytische Anwendung der technischen Rechtsmethodik in der Schari’a. Diese ist in den Grundsätzen der heutigen europäischen Rechtsmethodik nahe. Dabei konnte ein und derselbe Gelehrte gleichzeitig oder zeitversetzt verschiedene juristische Urteile entwerfen und anwenden. 

Eine klare Rechtsmeinung gibt es nicht

Für einige Gelehrte galt die Abtreibung ab dem ersten Tag der Schwangerschaft als Tötung einer Seele. Andere meinten wiederum, dass jeweils ab 40, 80 oder gar 120 Tagen erst die Schwangerschaftsunterbrechung als Mord verstanden werden kann und somit als verboten gilt. Für andere wiederum galt eine individuelle Abwägung. In dem Sinne benötigt jede Situation eine eigene Regel. Letzterer Position folge ich auch grundsätzlich. Eine klare Rechtsmeinung gab es nicht, geschweige denn einen Konsens (idschmâ`).

Ich möchte versuchen, aus dem Koran eine mögliche Position für eine sehr generalisierte Situation abzuleiten. Dies tue ich anhand der analytischen Koranhermeneutik, die ich in meinem Buch Schlüssel zum Verständnis des Koran beschrieben habe. Dabei möchte ich betonen, dass das Ergebnis eine Richtschnur und kein absolut gültiges Gesetz für jede einzelne mögliche Situation darstellen soll. Der Koran leitet dazu an, sich stets differenzierte Gedanken zu machen und nicht bei einem einzelnen Ergebnis stehen zu bleiben. Das Leben ist dank der kreativen Gunst und Liebe unseres Schöpfers voller Farben und nicht nur schwarz-weiss.

Wo ist der Zusammenhang zwischen Leben und Seele?

Wichtig sind die Definitionen der Wörter wie Leben oder Seele. Ist das Töten von Leben dasselbe wie das Töten einer Seele? Bakterien können ebenfalls als Leben verstanden werden und somit auch ein Fötus, der sich lebendig weiterentwickelt. Jede Stammzelle kann als lebendiger Grundbaustein des Lebens verstanden werden, worin der genetische Code eines Menschen verzeichnet ist. Eine genetische Struktur zu haben, bedeutet nicht, eine Persönlichkeit mit einer Seele zu besitzen. Die Summe ist mehr als ihre Einzelteile.

Laut Koran sind ebenfalls Pflanzen und Tiere lebendig, auch unser formloser, geschlechtsloser Gott ist der Lebendige (al-hayy).

Der Koran unterscheidet zwischen Leben (hayah) und Seele (nafs). Laut Koran sind ebenfalls Pflanzen und Tiere lebendig, auch unser formloser, geschlechtsloser Gott ist der Lebendige (al-hayy). Dem Menschen wird jedoch eine besondere Beziehung zwischen Leben und Seele attestiert, die uns vom göttlichen Geist (ruh) eingehaucht wird (Koranvers 15:29). Statt von Seele könnte man auch von einem besonderen Bewusstsein sprechen. Die Diskussion ist auf philosophischer Ebene sehr schwierig. Es gibt nämlich auch naturwissenschaftlich-philosophische Argumente für ein komplexes Bewusstsein bei Wirbeltieren und solchen mit einem vegetativen Nervensystem.

Durch die im Koran dargelegten Unterschiede erhalten die Menschen nun die Erlaubnis, sich Pflanzen oder Tiere zu Nutze oder «dienstbar» zu machen (22:37, 31:20). Das Töten von Tieren zum Verzehr von Fleisch wird beispielsweise nicht als Mord eingestuft. Dies heisst nicht, dass der Mensch mit der Umwelt und den Mitgeschöpfen blind verfahren kann, wie er möchte. Umweltschutz und Sorge zur Umwelt und den Geschöpfen sind aus vielen anderen Gründen auch gottergebene (islamische) Pflichten.

Da die Berücksichtigung individueller Umstände in einem allgemeinen Prinzip unmöglich bleiben wird, ist das Recht nach Selbstbestimmung eines der wichtigsten Prinzipien im Koran: «Kein Zwang in der (gottergebenen) Lebensweise.» (2:256) Eine gläubige Person wird in ihrem Gottvertrauen immer wieder geprüft. Sie soll deshalb erlernen, wie dieses auch in schwierigen Situationen aufrechterhalten werden kann. Sie kann nicht Vertrauen und Verständnis in Gott und seine Gebote durch Zwang aufbauen. Vertrauen und Zwang schliessen sich aus.

Was ist Mord?

Mord ist im Koran der ungesetzliche, ungerechte, unethische Akt der Tötung eines Menschen, also das Beenden einer menschlichen körperlichen und seelischen Verbindung.

Koran 39:42 «Gott beruft die Seelen zur Zeit ihres Todes ab, und auch die, die nicht gestorben sind, während ihres Schlafs. Er hält die eine (Seele), für die Er den Tod beschlossen hat, zurück, und Er entsendet die andere auf eine bestimmte Frist (zurück in ihre Körper). Darin sind Zeichen für Leute, die nachdenken.»

Aus diesem Vers ist erkennbar, dass im Schlaf unsere Seele oder unser Selbst (nafs) temporär an einen anderen Ort geht. Die Seele ist also nicht der Körper selbst, der in der physischen, diesseitigen Dimension verbleibt. Die Seele kostet dabei den Tod (3:185), wenn der Körper stirbt. Aber wenn der Körper noch intakt genug ist, wenn er also nicht tödlich verletzt ist, kann ein Körper auch ohne Seele weiterfunktionieren. Von einigen wird hier spekulativ das Beispiel von Jesus angeführt. Seine Seele war zumindest laut Koran nicht mehr im Körper als er gekreuzigt wurde (4:157).

Koran 5:32 «Aus diesem Grund schrieben Wir den Kindern Israels vor: Wenn einer jemanden tötet, jedoch nicht wegen eines Mordes oder weil er auf der Erde Unheil stiftet, so ist es, als hätte er die Menschen alle getötet. […]»

© Prostock-Studio/iStock

Eine Person (Nafs) oder Seele ohne irgendeine Rechtsgrundlage, etwa bei Selbstverteidigungskriegen, Notwehr oder Notwehrhilfe, zu töten, ist eine enorme Sünde laut Koran. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Mensch gläubig ist oder nicht, welcher Nation oder welchem Stamm er angehört und wie alt er ist. Jede Seele ist gleich wertvoll. Wenn das sich entwickelnde Leben in der Gebärmutter als «Seele» gilt, ist auch die Abtreibung als Ermordung einer Seele aufzufassen. Dies ist die wesentliche, relevante koranische Argumentation, was die Abtreibung betrifft. Dies könnte selbst die pränatale Diagnostik tangieren. 

Ein Körper ist nicht die Persönlichkeit oder die Seele selbst.

Leben beherbergen bedeutet also nicht notwendigerweise eine Seele zu besitzen. Ein Körper ist nicht die Persönlichkeit oder die Seele selbst. Die Empfängnis beim Sex kann demnach so betrachtet werden, dass Leben bereits bei der Befruchtung entsteht. Die nun essenzielle Frage ist, wann dieses Leben und dieser Organismus beseelt werden. 

Der Koran verurteilt das Töten Neugeborener

Koran 17:31 «Und tötet nicht eure Kinder aus Furcht vor Verarmung! Wir versorgen sie und euch (mit Lebensunterhalt). Gewiss, sie zu töten ist eine schwere Verfehlung.»

Der historische Rahmen des angeführten Verses, der ähnlich in 6:151 wiederholt wird, greift der Koran wiederum selbst auf. Gewisse Araber töteten damals leider ihre Kinder kurz nach der Geburt aus Scham und Kummer, nachdem sie sahen, dass sie Mädchen zur Welt brachten (16:58-59). Der Koran verurteilt und verbietet diese Praxis und betont, dass Gott für uns und andere sorgt (6:152).

Einige nehmen diese Verse als Grundlage, dass bereits das Embryo in der Gebärmutter damit gemeint sein müsse. Das sich entwickelnde Leben in der Gebärmutter ist jedoch in dem Sinne noch ein Ungeborenes. Auf Arabisch bedeutet walada gebären oder zur Welt bringen. Al-walad (pl. awlâd) bedeutet wörtlich der Geborene, was im Vers vorkommt. Es ist demnach unsinnig davon zu sprechen, ein Geborenes in der Gebärmutter zu tragen.

Auf Arabisch wird für Fötus dschanîn (pl. adschinna, vgl. 53:32) mit der sinngemässen Bedeutung umschirmt oder umhüllt verwendet. Ebenfalls werden Wörter wie ‘alaqah (Embryo) oder mudghah (Klumpen/Fötus) im Koran verwendet (22:5), um den Zustand des Geborenseins von der Entwicklung in der Gebärmutter zu unterscheiden. Ein Fötus ist im allgemeinen Sinne eine körperliche Bürde oder Traglast (haml, vgl. 22:2).

Hier könnte eingewandt werden, dass im Koran Maria ein Sohn (Jesus) versprochen wird und dabei das Wort walad vorkommt (vgl. 3:47). Dieser Vers prophezeit einen Sohn, der definitiv zur Welt kommen soll. Damit wird sprachlich und rhetorisch der Umstand bestärkt, dass die Geburt nach der Schwangerschaft garantiert wird.

Die Beseelung geschieht nicht mit der Empfängnis

Der Koran kann so gedeutet werden, dass die Beseelung des Lebewesens erst nach einer gewissen Phase in der Gebärmutter geschieht. 

Koran 23:14 «Dann schufen Wir den Tropfen (Sperma) zu einem Embryo, und Wir schufen den Embryo zu einem Fötus, und Wir schufen den Fötus zu Knochen. Währenddessen bekleideten wir die Knochen mit Fleisch. Dann liessen Wir ihn als eine weitere Schöpfung entstehen. Gott ist gesegnet, der beste aller Schöpfer!»

Dieser Vers betont die verschiedenen Stufen der Schöpfungsentwicklung im Uterus. Der Koran als ein nicht medizinisch-biologischer Text vereinfacht die Embryologie. Er verpackt komplexeste und detaillierteste Vorgänge in für die Allgemeinheit verständliche Bilder. Wir haben also vier Phasen der Entwicklung:

  1. Sperma
  2. Embryo
  3. Fötus
    • Entwicklung der Knochen und Umhüllung dieser mit Fleisch
  4. Eine weitere, neue Schöpfung

Daraus ist ableitbar, dass eine neue Schöpfung nicht bereits mit der Empfängnis entsteht. Das Embryo als sich entwickelnder biologischer Organismus ist noch keine Person. Irgendwann in der fötalen Phase erscheint also die Seele.

Der nächste Vers teilt uns mit, dass die gesamte Periode der Schwangerschaft (haml) wie auch des Stillens dreissig Monate andauert.

Koran 46:15 «Und Wir haben dem Menschen aufgetragen, seine Eltern gut zu behandeln. Seine Mutter hat ihn in Angestrengtheit getragen und in Angestrengtheit zur Welt gebracht. Die Zeit von der Schwangerschaft bis zur Entwöhnung beträgt dreissig Monate. […]»

Der nächste Vers beschreibt die maximale Dauer des Stillens als zwei volle Jahre, also 24 Monate. 

Koran 2:233 «Und die Mütter stillen ihre Kinder zwei volle Jahre, falls jemand das Stillen vollenden möchte. […]»

In Kombination beider Verse können wir ableiten, dass die Schwangerschaftsdauer für die Seele 30 minus 24 Monate, also sechs Monate dauert. Eine Schwangerschaft nach der Empfängnis dauert gewöhnlich, Ausnahmefälle nicht mitberücksichtigt, etwa 38 Wochen. Je nach Definition in der Literatur können dies 266 bis 268 Tage sein.

Also ist die Dauer der Schwangerschaft, in der noch keine Seele in der Gebärmutter ist, 266 minus 180 Tage (sechs Monate), also 86 Tage. Anders gesagt ist das Ungeborene in der Gebärmutter in den ersten 86 Tagen nach der Empfängnis noch keine Seele.

Unser Schöpfer kennt uns. Natürlich weiss er über traumatische Erfahrungen wie Vergewaltigungen und Inzest Bescheid.

Diese Zeitspanne ist meines Erachtens eine Gnade, die Gott uns geschenkt hat. Unser Schöpfer kennt uns. Natürlich weiss er über traumatische Erfahrungen wie Vergewaltigungen und Inzest Bescheid. Und so gesteht er uns doch grosse Autonomie im Umgang mit unseren Körpern und im selbstbestimmten Umgang mit traumatischen Erlebnissen zu.

Sofern das Leben der Mutter während einer Schwangerschaft gefährdet ist, auch nach dem ersten Trimester, gelten wieder andere Grundlagen zur Entscheidungsfindung, da diese Situation andere Voraussetzungen liefert als der Verlauf einer gewöhnlichen Schwangerschaft. Die Diskussion dieser und auch anderer Fälle mit anderen Ausgangslagen muss also gesondert geführt werden.

Zusammengefasst erhalten wir:

  • Der Koran verurteilt Infantizide (6:151, 16:58-59, 17:31) und ebenso ist die Tötung einer Seele eine grosse Sünde (5:32).
  • Die Seele ist nicht mit einer körperlichen Form gleichzusetzen (39:42).
  • Erst ab einem gewissen Zeitpunkt innerhalb der fötalen Phase erscheint die Seele und eine neue Person wird erschaffen (22:5, 23:14).
  • Die Leibesfrucht in der Gebärmutter ist in den ersten 12 Wochen noch keine «Person» oder «Seele», in dem Sinne noch kein «Mensch».
  • Die Selbstbestimmung steht im Vordergrund (2:256).

Es ist besser, das Kind auszutragen, aber …

Somit ist die Abtreibung erst dann ein Mord, wenn sie nach dem ersten Trimester stattfindet. Ich persönlich empfehle Abtreibung generell nicht. Auch bin ich der Überzeugung, dass die Abtreibung eine Option für schwere Fälle bleiben soll, besonders für Opfer traumatischer Verhältnisse wie etwa Vergewaltigung oder Zwangsbefruchtung. Gott kennt und versorgt uns, ist uns näher als unsere Halsschlagader (50:16), und weiss, dass das Vertrauen in Ihn die Voraussetzung dafür ist, auch in schwierigen Situationen der gottergebenen Lebensweise (dîn) zu entsprechen. Für die Schwangerschaft oder ihre Unterbrechung bedeutet dies: Es ist besser, das Kind auszutragen, aber das setzt besonders in schwierigen Situationen Gottesvertrauen und Sicherheit im Herzen voraus.

Wir sind keine Maschinen im Glauben. Gott liebt und vergibt uns mit all unseren Fehlern.

Kein Mensch hat das Recht, andere dafür zu verurteilen, wenn dieses Vertrauen noch nicht entstehen konnte. Wir sind keine Maschinen im Glauben. Gott liebt und vergibt uns mit all unseren Fehlern. Umgekehrt ist die Gesellschaft verpflichtet, Situationen zu schaffen, die das Vertrauen zumindest auf juristischer, materieller, psychisch-sozialer Ebene herstellen. Das heisst: keine Verurteilung, Herabsetzung, Verspottung von Schwangeren, die es nicht geschafft hätten zu verhüten und nur auf ihren eigenen Spass aus gewesen seien oder ähnliche Argumentationsmuster. Ebenso wenig dürfen wir Bildungschancen sowie finanzielle Sicherung versperren. 

Letztlich ist die Entscheidung aber eine Sache zwischen der betroffenen Frau und Gott. Dem Partner bleibt nichts anderes übrig, als sich beratend liebevoll zur Seite zu stellen und bei einer Uneinigkeit die Trennung respektive Scheidung als letzte Konsequenz zu wählen, wenn die Differenzen unüberbrückbar sind.

Und Gott weiss es besser.


Dieser Artikel wurde inspiriert durch den Austausch mit einer Freundin und ihrem Text zu Schwangerschaftsabbruch. Ihr Artikel ist hier zu finden: https://www.alrahman.de/schwangerschaftsabbruch/

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Autor

  • Kerem Adıgüzel

    Mathematiker, Informatiker, muslimischer Armeeseelsorger, Mitgründer des Verein «Al-Rahman – mit Vernunft und Hingabe» ||| Kerem Adıgüzel ist 1987 in St. Gallen geboren, studierte in Zürich Mathematik sowie Informatik und war Milizoffizier in der Armeeseelsorge. Seit 2006 pflegt er als Redakteur das islamische Wissensportal alrahman.de, studierte Theologie in der Koranforschungsgruppe Istanbul und ist Autor von «Schlüssel zum Verständnis des Koran». 2017 initiierte und gründete er mit anderen zusammen einen für alle Menschen offenen Verein namens «Al-Rahman – mit Vernunft und Hingabe» (alrahman.ch), der sich für freiheitliche Werte und islamische Spiritualitäten einsetzt. Den Weg der islamischen Meditation (Dhikr) und Mystik begeht er aktiv seit 2014 und leitet in verschiedenen Formaten islamische Meditationen und Achtsamkeitsübungen. Er arbeitet als IT-Centerleiter bei den SBB und wohnt in Olten.

0 Gedanken zu „Abtreibung im Islam ist Mord, wenn …

  • Halil Anlas sagt:

    Ich habe mich bisher kaum mit der Thematik Abtreibung beschäftigt, da die Bedeutung und die Konsequenzen immens sind, um schnell ein Urteil zu bilden. Kerem Adigüzel ist es mit Leichtigkeit gelungen, aus dem Koran etwas abzuleiten, was meine Hemmung, sich nicht mit der Thematik zu beschäftigen, aufhebt.

    • Vielen Dank für den Kommentar! Ich bediene mich im Artikel einiger Überlegungen anderer Gelehrten natürlich, da nicht alles allein auf meiner Denkleistung beruht bzw. auch nicht beruhen kann („auf den Schultern von Giganten“). Freut mich, wenn die zusammengeführten Gedanken hilfreich sind.

  • Anja M. sagt:

    Als Frau und Mutter natürlich ein extrem sensibles Thema…. Auch in der Familien- und Jugendhilfe in der ich beschäftigt bin begleitet es Mal mehr Mal weniger intensiv. Ich bin sehr dankbar für diesen tiefgreifenden Artikel, der mit viel Sorgfalt essenzielle Fragen koranisch erläutert ohne dabei zu werten und zu verurteilen. Gerade im Kontext der interkulturellen und interreligiösen Familienarbeit ein wertvoller Beitrag der sich gut zu Beratungszwecken heranziehen lässt. Vielen Dank!

  • Mustafa sagt:

    Schade dass hier die meist vertretene Meinung der Gelehrsamkeit mit Minderheitsmeinungen in die gleiche Schublade gesteckt wird, um sie dann vollkommen durch willkürlich geschehene Rechnung zu ersetzen. Sowas gibts wohl nur in der Schweiz. In mehrheitlich islamischen Gesellschaften würde man sowas nicht ernst nehmen.

    Die am stärksten gewichtete Mehrheitsmeinung der sunnitischen Gelehrten, wo der Qur’An, die Sunnah (Hadithe), der Konsensus (Ijmaa) und Ratio (Qiyas) einbezogen wird, besagt, dass die Beseelung des Fötus nach genau 120 Tagen, also ca. 4 Monaten geschieht. Definitiv besser sich danach zu orientieren bei dieser Frage.

    Mit Grüssen und hoffnung auf baldige Besserung.

    • Friede sei mit Ihnen, Mustafa.

      Eine etwaige „Mehrheit“ der vertretenen Meinungen zu behaupten ist ein Konzept, das in der islamologischen Sphäre sehr kritisch betrachtet werden muss und in der Akademie auch nicht gültig ist, solch eine Aussage anzuführen. Ob eine Ansicht eine Minderheit oder eine Mehrheit darstellt, ist zudem auf argumentativer Ebene irrelevant und in der Rhetorik als „Argumentum ad populum“ bekannt. Zudem nahmen und nehmen Gelehrte jede Position ernst, wenn die Argumente sinnvoll vorgebracht werden, egal wie viele Anhänger eine Meinung findet oder fand. Sonst hätten wir Stillstand in der geistigen Entwicklung, was leider vielerorts tatsächlich zu beobachten ist. Die Gelehrsamkeit, zumindest die der Vergangenheit, ist der beste Beweis dafür, wenn z.B. Ansichten zu einem Koranvers ungeachtet ihrer Bedeutung oder Verbreitung in Tafâsîr (Plural von Tafsîr, Korankommentare) aufgenommen wurden. Dies taten sie, um mehrere Ansichten, die sich teilweise gar direkt oder auch der eigenen Position des Mufassir (Kommentator) widersprachen, in ein und demselben Vers zu sammeln und den Menschen ihre Bildung zu ermöglichen, da sie wussten: Gott weiss es besser.

      Ein Ignorieren entspricht nicht dem Vorgehen eines guten muslimischen Gelehrten. Kurz gesagt: Diese Aussage ist weder inhaltlich hilfreich noch wird sie dem kulturell muslimischen Erbe gerecht. Eine pauschale Behauptung wie, dass eine Meinung am stärksten diese oder jene Position vertritt, ist zudem eine Verzerrung. Einen Konsens gibt es nicht und das Konzept des Idschma’a wird ebenfalls sehr kritisch betrachtet. Es gibt vielleicht einen Konsens innerhalb einer bestimmten sunnitischen Rechtsschule in einem Land oder gar nur in einem lokalen Gebiet eines Landes. Weltweit von einem Konsens zu reden ist schlichtweg falsch und geht auf das rhetorische Argument der Autorität zurück.

      Nicht umsonst sagen wir, dass Gott es besser weiss, da keine Mehrheitenmeinung an der Wahrheit etwas ändern kann und wir alle falsch liegen können und die Wahrheit noch erst in der Zukunft offenbar wird.

      Ein Artikel zur Frage nach der Mehrheit: https://www.alrahman.de/gelehrte-mehrheiten-und-rechtleitung/

      Liebe Grüsse und in Frieden / wa salâm

      • erlauben Sie mir Herr adigüzel ihre Position zum Igmaa zu kommentieren ,
        Das Konzept des Igmaa als Werkzeug der juristischen Urteilsfindung ist waghalsig und pubertierend und zeugt von einem sehr flachen Verständnis dessen was das Gebilde des Fiqh ist. Ein über Jahrhunderte, in geistiger Kollaboration errichtetes juristisches System. Den Konsens zu werfen ist dabei eher ein destruktiver als kreativer Gestus.
        In der Tat gewährt uns die islamische Jurisprudenz eine angemessene Flexibilität und Kontextbezogenheit.
        Aber diese Flexibilität bleibt immer auch verankert im Fundament von Koran und Sunnah und ist nicht ausschliesslich Interpretations- und Kontextabhängig.
        Insofern , so sehr es manch einem widerstreben mag, aber
        Dem Glauben als normative Lebensordnung wohnt eine Autorität inne, die den Gläubigen manchmal auch in ungemütliche unbequeme Positionen befördert. Eine Ungemütlichkeit , die uns läutern, polieren soll. Gerade DAS ist der Ausdruck von Barmherzigkeit. Eine Barmherzigkeit die uns von den Schellen unserer niederen Neigungen und von den geistigen Schranken der Gesellschaft zu befreien sucht .

        Dieser Kommentar bezieht sich weniger auf den Inhalt des Artikels , sondern vielmehr auf die Methodik Ihrer Urteilsfindung, die mir und sehr unverantwortlich erscheint.

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