Finanzierung  ·  Reformierte Kirche
Lutz Fischer-Lamprecht

Die Luft wird dünner

Seit den 1970er Jahren verliert die reformierte Kirche aufgrund von gesellschaftlichen Megatrends Mitglieder. Lange hatte das finanziell kaum Auswirkungen, was sich langsam aber sicher ändert. Wie können Kirchgemeinden darauf reagieren?

Seit 2008 arbeite ich in der reformierten Kirchgemeinde Wettingen-Neuenhof im Kanton Aargau. Damals hatte die Kirchgemeinde gut 5500 Mitglieder. Mit einem Steuerertrag von um die 2’900’000 Franken im Jahre 2010 konnte die Kirchgemeinde 330 Pfarrstellenprozente bezahlen, 110 Stellenprozente in der Sozialdiakonie, dazu zwei Sigristen mit zusammen 180 Stellenprozenten, einen vollamtlichen Verwalter und zwei Sekretärinnen mit zusammen 110 %. Zudem war der Unterhalt der Immobilien zu gewährleisten. Das Immobilienportfolio umfasst eine Kirche, zwei Kirchgemeindehäuser, drei Pfarrhäuser und ein Sigristenhaus. Dazu kommt noch ein kleines Dreifamilienhaus aus einer Erbschaft.

Einschneidende Sparmassnahmen 

Nach mal besseren, mal schlechteren Rechnungsabschlüssen, gingen die Steuererträge ab 2012 spürbar zurück, so dass wir seit 2014 einen strengen Sparkurs fahren. Die Personalausgaben, die den grössten Haushaltsposten ausmachen, wurden bei anstehenden Neubesetzungen von Stellen deutlich reduziert. Die Verwalterstelle wurde 2014 abgeschafft, dafür das Sekretariat etwas aufgestockt. Auch in den Pfarrämtern wurden die Stellenprozente mehrmals reduziert, auf aktuell 250%.

Da diese Stelleprozente auf vier Personen verteilt sind, konnte ein Pfarrhaus an einen Kindertagesstättenbetreiber vermietet werden. Durch ein hohes Kostenbewusstsein haben die Mitarbeitenden in den letzten Jahren dafür gesorgt, dass die Jahresabschlüsse jeweils besser waren, als budgetiert. So konnte das Eigenkapital von 90’000 Franken peu à peu gesteigert werden und hat in der Zwischenzeit das anvisierte Ziel von 900’000 Franken erreicht. Auch das zweite «Sparziel» konnten wir sichern: Agieren zu können, statt reagieren zu müssen.

Die Anzahl Gottesdienste in Neuenhof wurde, auch aufgrund des schlechten Besuchs, zunächst auf zwei pro Monat reduziert, im Juli 2022 wurden diese ganz eingestellt.

Stellenkürzungen haben aber zwangsläufig auch die Verringerung des Angebots zur Folge. Die Anzahl Gottesdienste in Neuenhof wurde, auch aufgrund des schlechten Besuchs, zunächst auf zwei pro Monat reduziert, im Juli 2022 wurden diese ganz eingestellt. Das Sommerlager für 1.-5.-Klässler, das aufgrund der Pandemie 2020 und 2021 nicht stattgefunden hat, wird nicht wieder gestartet und die Seniorennachmittage werden ab nächsten Winter in Wettingen für die Senioren der ganzen Kirchgemeinde angeboten. Durch die Zusammenlegung bisher getrennter Angebote bleibt das Programm aber für alle Altersgruppen attraktiv. 

Wir würden die 1000 Franken dafür einsetzen, dass Menschen am Rande – Flüchtlinge, Obdachlose, in Armut Geratene – die öffentlichen Verkehrsmittel kostenlos benutzen könnten. Dies wäre für viele eine grosse Hilfe, um sich besser zu integrieren, die Stadt und das Land kennen zu lernen, Kontakte zu pflegen, Freundschaften aufzubauen, Sprachkurse und Anlässe zu besuchen und Unterstützung in Form von Mahlzeiten, Lebensmittel, Hygieneartikel und Kleider zu empfangen. 
Schwester Ariane Stocklin und Pfarrer Karl Wolf vom Verein Incontro während der Gassenarbeit in Zürich. www.incontro-verein.ch
© Stefan Maurer, das Bild ist Teil einer Fotoserie für religion.ch.

Immobilien als Kostenfaktor

Rechnerisch müsste die Kirchgemeinde Wettingen-Neuenhof pro Jahr ca. 250’000 Franken für den Unterhalt der Gebäude ausgeben oder Rücklagen in dieser Höhe für künftige Sanierungsmassnahmen schaffen. Dies war aus finanziellen Gründen in den letzten 10 Jahren nie möglich. Gleichzeitig war ein aufgrund des Alters der Liegenschaften hoher Erneuerungsbedarf bei den beiden Kirchgemeindehäusern absehbar.

Auch bei einem der drei Pfarrhäuser ist der Sanierungsbedarf hoch. Die Kirchenpflege hat deshalb Anfang 2018 eine Fachgruppe eingesetzt, die den Sanierungsbedarf ermitteln und einen Zeitplan für die anstehenden Instandsetzungen erarbeiten sollte. Der zukünftige Raumbedarf, der angesichts sinkender Mitgliederzahlen ebenfalls rückläufig ist, wurde in einem Workshop konkretisiert. Schnell zeigte sich, dass nicht nur ein Verzicht auf das kleinere Kirchgemeindehaus in Neuenhof notwendig sein würde, sondern dass auch das Kirchgemeindehaus in Wettingen, direkt neben der Kirche gelegen, zu gross ist. Die Raumaufteilung entspricht nicht den zukünftigen Anforderungen und eine Instandsetzung wäre unverhältnismässig teuer. Zudem meldete die Schule Interesse am Gebäude respektive dem Land nördlich der Kirche an, das beim Bau eines neuen Kirchgemeindehauses südlich der Kirche der Einwohnergemeinde verkauft werden könnte. Nachdem eine Machbarkeitsstudie zeigte, dass diese angedachte Lösung auf dem südlichen Areal möglich wäre, beschloss die Kirchenpflege einstimmig die «Immobilienstrategie 2030», die zwar die Kirche unangetastet lässt, aber ansonsten tiefgreifende Veränderungen bei den Immobilien mit sich bringt.

Reformierte Kirche in Wettingen. Foto: Lutz Fischer-Lamprecht

«Immobilienstrategie 2030»  

Aus Pandemiegründen mit einem Jahr Verspätung, präsentierte die Kirchenpflege die Strategie im Oktober 2020 der Kirchgemeinde: 
– Rückbau beider Kirchgemeindehäuser
– Rückbau zweier Pfarrhäuser
– Neubau eines neuen, kleineren Kirchgemeindehauses
– Verkauf von Land an die Einwohnergemeinde 
– Umzonung der Parzelle in Neuenhof und einer weiteren in Wettingen
– Abgabe dieser beiden Parzellen an eine gemeinnützige Genossenschaft im Baurecht

Im Idealfall werden die Einnahmen aus den Baurechtszinsen für den Unterhalt von neuem Kirchgemeindehaus, Kirche und Pfarrhaus ausreichen. Zukünftigen Generationen würden damit keine potenziell untragbaren Lasten aufgebürdet. 

Von ganz wenigen Rückmeldungen abgesehen, waren die Reaktionen auf die «Immobilienstrategie 2030» positiv, auch wenn die Trauer über die Situation als solche natürlich gross ist.

Von ganz wenigen Rückmeldungen abgesehen, waren die Reaktionen auf die «Immobilienstrategie 2030» positiv, auch wenn die Trauer über die Situation als solche natürlich gross ist. Ganz sicher werden wir durch die Verringerung unseres Immobilienportfolios die Kosten auch langfristig senken können. Nach einer erfolgreichen Umzonung und der Abgabe der beiden Parzellen im Baurecht, sollte die Kirchgemeinde den Reformierten in den beiden Gemeinden Neuenhof und Wettingen für weitere Generationen einen Treffpunkt und einen Ort zum Gottesdienstfeiern zur Verfügung stellen können, auch falls das landeskirchliche System kollabiert. 

Auf zu neuen Ufern

Da Planungsprozesse in der Schweiz einiges an Zeit in Anspruch nehmen, wird die Umsetzung der «Immobilienstrategie 2030», wie der Name schon sagt, noch einige Jahre in Anspruch nehmen, aber die ersten wichtigen Schritte sind gemacht: Ende Juni wurde der Projektwettbewerb für das neue Kirchgemeindehaus abgeschlossen, so dass demnächst die Baumkommission ihre Arbeit für die Realisierung des Neubaus an die Hand nehmen und einen Projektierungskredit ausarbeiten wird. Zudem wurde, ebenfalls Ende Juni 2022, das Kirchgemeindehaus Neuenhof mit einem Gottesdienst «verabschiedet».


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Autor

  • Lutz Fischer-Lamprecht

    Reformierter Pfarrer, Aargauer Grossrat und Vizepräsident der Aargauer Synode ||| Lutz Fischer-Lamprecht ist reformierter Pfarrer, hat eine Ausbildungen zum Versicherungsfachmann abgeschlossen und hat ein CAS in Betriebswirtschaft. Zudem ist er Einwohnerratspräsident von Wettingen, Aargauer Grossrat und Vizepräsident der Aargauer Synode.

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