Michael Marti

Kirchenfinanzen heute und morgen

Der Anteil der Konfessionslosen steigt in der Schweiz stetig an. Was das für die Gesellschaft in der Schweiz und für die künftige Finanzierung der anerkannten Religionsgemeinschaften bedeutet, muss diskutiert werden. 

Im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms 58 «Religion, Gesellschaft und Staat» wurden in der 2010 publizierten FAKIR-Studie zu «Dienstleistungen, Nutzen und Finanzierung von Religionsgemeinschaften in der Schweiz» die Finanzflüsse von Religionsgemeinschaften erstmal etwas detaillierter in einer schweizweiten Analyse betrachtet. Das Projekt FAKIR[1] hat die Einnahmen der beiden grossen Landeskirchen in der ganzen Schweiz aus Kirchensteuern erhoben sowie die wichtigsten Finanzflüsse der öffentlichen Hand erfasst. Dabei haben sich folgende Ergebnisse gezeigt, die bis heute in ihren Grundsätzen Gültigkeit haben und sich in weiteren Studien bestätigt haben. Die dargestellten Ergebnisse konzentrieren sich auf die beiden grossen Landeskirchen und beziehen sich auf eine Nachfolgestudie mit aktualisierten Daten aus dem Jahr 2017.

Private Finanzierung ist die hauptsächliche Finanzquelle 

Die Gemeinden aller untersuchten Konfessionen werden zur Hauptsache von ihren Mitgliedern finanziert.[2] Die Form der privaten Finanzierung ist jedoch eine unterschiedliche. Während die private Finanzierung in den evangelisch-reformierten und römisch-katholischen Kirchgemeinden und dort, wo israelitische Gemeinden als Landeskirchen akzeptiert sind, über die Kirchensteuern natürlicher Personen erfolgt, sind es bei nicht als Landeskirchen anerkannten Gemeinschaften (z.B. Freikirchen, islamische Gemeinschaften) Mitgliederbeiträge und Spenden.

Mitglieder der Landeskirchen zahlen schweizweit Kirchensteuern von über einer Milliarde Franken

Die evangelisch-reformierten und römisch-katholischen Kirchen in der Schweiz haben im Jahr 2017 von ihren Mitgliedern knapp 1.4 Mrd. CHF Kirchensteuern natürlicher Personen erhoben. Die Unterschiede in den Kantonen sind dabei beträchtlich und lassen sich nur bedingt mit der Finanzstärke dieser Kantone erklären. Vielmehr scheinen unterschiedliche Traditionen bestimmend zu sein. So werden beispielsweise im Kanton St. Gallen, der im Ressourcenindex des Bundes nicht zu den finanzkräftigsten Kantonen zählt, in beiden Konfessionen verhältnismässig viel an Kirchensteuern bezahlt.

Die öffentliche Finanzierung der Kirchen ist bedeutend, aber kantonal sehr unterschiedlich

Die öffentliche Finanzierung der evangelisch-reformierten und römisch-katholischen Kirchen durch die Kantone und Gemeinden über direkte Mittel der öffentlichen Hand und über öffentlich angeordnete Finanzierung der Kirchensteuern juristischer Personen («Pflichtsteuer in rund zwei Dritteln der Kantone») betrug im Jahr 2017 insgesamt mindestens 550 Mio. CHF. Mit 270 Mio. CHF stammt rund die Hälfte davon aus den Kirchensteuern juristischer Personen. Für die Kantone ist die öffentliche Finanzierung der Kirchen ein vergleichsweise geringer Betrag, für die Kirchen ist die öffentliche Finanzierung insgesamt aber bedeutend. Die evangelisch-reformierten Kirchen profitieren von der öffentlichen Finanzierung stärker als die römisch-katholischen Kirchen, da historisch reformierte Kantone mehr öffentliche Mittel zur Verfügung stellen (Bern, Waadt, Zürich).

«Ich würde die 1000 Franken der Frauenorganisation und Fachstelle für Sexarbeit Xenia schenken, die sich vielfältig für Sexarbeiterinnen in Bern einsetzen.» Helene Hartmann, langjährige ehrenamtliche Mitarbeiterin vom offenen Haus La Prairie in Bern, fotografiert in der Küche vom Haus La Prairie. www.laprairiebern.ch
© Stefan Maurer, das Bild ist Teil einer Fotoserie für religion.ch.

Der institutionelle Rahmen ist entscheidend für die Finanzsituation und die Zusammensetzung der Finanzierung

Die finanzielle Situation der beiden grossen Landeskirchen ist stark vom geltenden institutionellen Rahmen abhängig. Wenn die Kirchensteuern natürlicher Personen nicht obligatorisch, sondern freiwillig sind, bezahlen die Mitglieder deutlich weniger, wie sich in den Kantonen Genf und Neuenburg zeigt. Insofern profitieren die Landeskirchen in den meisten Kantonen vom institutionellen Rahmen. Je institutionalisierter eine Religionsgemeinschaft ist, desto stärker sind die Beiträge der Mitglieder formalisiert und desto geringer die Bedeutung von individuellen Spenden. 

Die unbezahlte Arbeit ist eine wichtige Ressource

Die unbezahlte Arbeit stellt für alle Religionsgemeinschaften eine relevante Ressource dar. Die Landeskirchen als Landeskirchen können zwar auf eine breite Mitgliederbasis zurückgreifen, diese umfasst aber auch viele wenig aktive Mitglieder. Trotzdem macht das Volumen an unbezahlter Arbeit in den Kirchgemeinden rund einen Viertel bis die Hälfte der bezahlten Arbeit aus.

Was ist in der Zukunft in den beiden grossen Landeskirchen zu erwarten?

Eine grosse Herausforderung liegt in der Zukunft der beiden grossen Landeskirchen, auch im Hinblick auf ihre Finanzierung. Im Rahmen einer Prospektiv-Studie[3] hat Ecoplan eine Analyse der Entwicklung der Mitglieder und der Kirchensteuern natürlicher Personen erarbeitet. 

Die Mischung von zunehmenden Kirchenaustritten, der Zunahme von anderen Religionsgemeinschaften sowie eines anhaltend steigenden Anteils von Konfessionslosen an der Gesamtbevölkerung führen zu Fragen hinsichtlich der Zukunft der beiden Landeskirchen und ihrer finanziellen Situation. Heute sind diese Tendenzen bereits in einigen Kantonen erkennbar. In anderen Kantonen führt die in den letzten Jahren beobachtete gute Situation bei den Kirchensteuern natürlicher und juristischer Personen dazu, dass die zukünftige Entwicklung möglicherweise noch unterschätzt wird. 

Die Mitgliederentwicklung ist nicht nur für die Erträge aus Kirchensteuern natürlicher Personen der entscheidende Faktor, sondern auch für die anderen beiden Ertragsquellen: die Kirchensteuern von Unternehmen und die Beiträge der öffentlichen Hand. Denn die Legitimation der Kirchensteuern von Unternehmen wie auch der Beiträge der öffentlichen Hand hängt von der Zahl der Kirchenmitglieder, ihrem Anteil an der gesamten Wohnbevölkerung und der Fähigkeit der Kirchen ab, das soziale und gesellschaftliche Leben mitzuprägen.

Eine detaillierte Analyse zeigt, dass die Zahl der Kirchenmitglieder in beiden Konfessionen ihren Höhepunkt bereits überschritten haben.

Die Mitgliederzahlen gehen – sofern sich die derzeit abzeichnenden Trends in den Kohorten fortsetzen – gemäss der Modellierung bis 2045 weiterhin zurück, für die römisch-katholische Kirche auf rund 1.74 Mio. Mitglieder, für die evangelisch-reformierte Kirche auf rund 970’000 Mitglieder. Eine detaillierte Analyse zeigt, dass die Zahl der Kirchenmitglieder in beiden Konfessionen ihren Höhepunkt bereits überschritten haben, in der evangelisch-reformierten Kirche um das Jahr 2010, in der römisch-katholischen Kirche um das Jahr 2015. Seither vermögen das Bevölkerungswachstum und der früher positive Migrationssaldo selbst bei der römisch-katholischen Kirche den Rückgang der Mitglieder aufgrund der demografischen Entwicklung (Überalterung) und als Folge der Kirchenaustritte nicht mehr zu kompensieren. In der Folge gehen die Steuern der natürlichen Personen bis 2045 markant zurück, bei der evangelisch-reformierten Kirche um rund einen Viertel, bei der römisch-katholischen um einen Sechstel.

Die Prospektiv-Studie von Ecoplan zeigt auf, dass die Hoffnung, der Mitgliederrückgang werde durch wachsende Erträge bei den Kirchensteuern natürlicher und juristischer Personen auch in Zukunft kompensiert, unzutreffend ist. Die Situation wird aktuell dadurch geschönt, dass beide Landeskirchen heute finanziell von starken Jahrgängen guter Steuerzahlender profitieren. Werden diese nicht durch entsprechend nachwachsende Generationen ersetzt, sinken die Erträge aus Kirchensteuern natürlicher Personen für beide Konfessionen deutlich. 

Mit grosser Wahrscheinlichkeit werden auch die Kinder der ausgetretenen Personen nicht mehr Mitglieder der Landeskirchen sein.

Die Auswirkungen der Kirchenaustritte sind heute in den Steuererträgen noch kaum ersichtlich, weil der Mitgliederschwund heute primär auf den Austritt junger Personen zwischen 15 und 40 Jahren zurückzuführen ist, die in der Tendenz noch nicht steuerkräftig sind, während die Einkommen und damit die Steuern der Personen über 45 Jahren in den letzten Jahren gestiegen sind und bisher den Mitgliederrückgang weitgehend zu kompensieren vermochten. In der Projektion auf 2045 zeigt sich diese Entwicklung hingegen bereits deutlich. Es ist zudem zu erwarten, dass sich dieser Effekt nach 2045 noch verstärken wird, da mit grosser Wahrscheinlichkeit auch die Kinder der ausgetretenen Personen nicht mehr Mitglieder der Landeskirchen sein werden. 

Diese erstmalige Analyse der Entwicklung der Finanzen der Kantonalkirchen und ihrer Kirchgemeinden zeigt eine klare Tendenz. Die Steuern natürlicher Personen werden in den nächsten Jahrzehnten deutlich abnehmen. Wenn die Mitgliederzahlen zurückgehen, betrifft dies nicht nur die Steuern natürlicher Personen, sondern hat indirekt auch einen Einfluss auf die Legitimation, Steuern bei juristischen Personen zu erheben und umfangreiche Beiträge der öffentlichen Hand zu bekommen. Die Resultate zeigen auf, dass für die Kirchen ein Handlungsbedarf besteht. Noch haben sie dank nach wie vor beachtlichen Mitgliederzahlen und den teilweise komfortablen finanziellen Situationen ausreichend Handlungsspielraum zu entscheiden, wo sie ihre Schwerpunkte setzen wollen und wie sie ihre Bedeutung für die Gesellschaft unterstreichen können.


[1]    Marti et al. (2010): Dienstleistungen, Nutzen und Finanzierung von Religionsgemeinschaften in der Schweiz. In der Studie für den Nationalfonds werden verschiedene Religionsgemeinschaften untersucht. Die nachfolgenden Studien konzentrieren sich auf die beiden grossen Landeskirchen, so dass hier diese im Fokus stehen.

[2]    Diese Aussage trifft für die evang.-ref. und röm.-kath. Kirchgemeinden in den Kantonen Waadt, Wallis und Tessin nicht zu, wo keine bzw. nur in wenigen Gemeinden Kirchensteuern erhoben werden.

[3]    Ecoplan (2022); Zukunft der Kirchenfinanzen – Abschätzung und Analyse.

Weitere Artikel

Autor

  • Michael Marti

    Partner beim Forschungs- und Beratungsbüro Ecoplan ||| Dr. Michael Marti ist Partner beim Forschungs- und Beratungsbüro Ecoplan und Bereichsleiter Gesellschaft.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Du kannst diese HTML-Tags und -Attribute verwenden:

<a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.