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Abduselam Halilovic

Finanzierung muslimischer Gemeinschaften in der Schweiz

Sie möchten sich den Artikel gerne vorlesen lassen? Mirella Candreia liest in unserer Sommerserie 2023 unsere meistgelesenen Artikel vor.

Ständig müssen sich muslimische Gemeinschaften bezüglich ihrer Finanzierung rechtfertigen.  Wiederholt steht die Behauptung im Raum, zwielichtige Finanzströme aus dem Ausland würden ihr Budget aufbessern. Nichtsdestotrotz erbringen sie Leistungen von gesamtgesellschaftlicher Bedeutung – im Gegensatz zu rechtlich anerkannten Religionsgemeinschaften auch ohne staatliche Vergütung. 

Die Finanzierung muslimischer Gemeinschaften in der Schweiz ist eine kontroverse Frage, die in regelmässigen Zeitabständen politisch und medial aufgegriffen wird. So forderte beispielsweise der Lega-Politiker Lorenzo Quadri in einer 2017 vom Nationalrat angenommenen Motion, die jedoch durch den Ständerat abgelehnt wurde, das Verbot der Finanzierung von Moscheen aus dem Ausland, eine Offenlegungspflicht für die Finanzen muslimischer Gemeinschaften und eine Verpflichtung zur Abhaltung von Predigten in der Ortssprache. Bundesrat und muslimische Verbände kritisierten den diskriminierenden Ansatz, der Musliminnen und Muslime unter einen Generalverdacht stellen und gesetzliche Sonderregelungen einführen würde. Regelmässig wird auch bei Moscheeneubauten die Frage der Finanzierung in den Fokus gerückt und im Zusammenhang mit ausländischer Einflussnahme und Radikalisierung diskutiert – so beispielsweise in Wil, Netstal, Schaffhausen oder Reinach.

Entsprechende Medienberichte, mit denen im Tandem politische Vorstösse erfolgen, untermauern den Eindruck, der sich aus der 2018 erschienen Studie der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus EKR zur Qualität der Berichterstattung über Musliminnen und Muslime in der Schweiz ergeben hat. Im Zeitraum von 2009-2017 mehrten sich die Beiträge, die unter anderem aufgrund ihres Fokus auf Themen wie «Radikalisierung» und «Terror» eine Distanz gegenüber Musliminnen und Muslimen erzeugen, während Themenbereiche wie «gelingende Integration» und «Alltag» nur marginal vorkamen. Die überaus kritische und verdächtigende Haltung gegenüber Schweizer Musliminnen und Muslimen und der Finanzierung ihrer Gemeinschaften steht in diesem Kontext. Ein Zusammenhang mit ihrer alltäglichen Lebensrealität ist jedoch in Frage zu stellen.

Finanzströme aus dem Ausland?

Der Grossteil der rund 250 Moscheegemeinschaften in der Schweiz sind in Form von Vereinen organisiert, welche sich, vergleichbar mit anderen Vereinen, über Mitgliederbeiträge, freiwillige Spenden, Einnahmen aus Anlässen usw. finanzieren. Daneben bestehen auch einige Stiftungen. Finanzströme aus dem Ausland spielen bei der Finanzierung muslimischer Gemeinschaften sowohl hinsichtlich ihrer Höhe als auch der Anzahl der Moscheegemeinschaften, die davon profitieren, eine untergeordnete Rolle.

Mit der Zeit und dem Aufwachsen neuer Generationen im Schweizer Kontext stieg der Bedarf nach längerfristigen Lösungen.

Die muslimische Gemeinschaft ist geprägt durch ihre Migrationsgeschichte. Moscheegemeinschaften entstanden im Zuge diverser Migrationsbewegungen der letzten Jahrzehnte als Orte der religiösen Sozialisation sowie der Pflege der eigenen Religion, Sprache und Kultur. Als solche wurden sie zunächst, wohl bedingt durch den sozioökonomisch eingeschränkten Kontext ihrer Mitglieder und möglicherweise auch aufgrund der Hoffnung einer zukünftigen Rückkehr in die Heimatländer meistens in Form von Provisorien in Industriehallen, Gewerberäumen, Tiefgaragen, Gaststätten und ähnlichem eingerichtet. Mit der Zeit und dem Aufwachsen neuer Generationen im Schweizer Kontext stieg der Bedarf nach längerfristigen Lösungen, was sich zunächst im Erwerb von Immobilien und ab den 2010er-Jahren in diversen Neubau-Projekten ausdrückte.

Gesamtgesellschaftliche Leistungen – auch ohne Anerkennung

Gesamtgesellschaftlich bedeutende Leistungen gehörten und gehören immer auch zum Aktivitätenspektrum muslimischer Gemeinschaften. Dazu können vielfältige Formen des Engagements wie Nachhilfeunterricht, Sprach- und Integrationskurse, Tage der offenen Tür, Jugendarbeit, öffentliche Moscheeführungen und der interreligiöse Dialog, wie auch Sozialhilfe im Sinne von Beratungen durch religiöse Betreuungspersonen in schwierigen Lebenssituationen gezählt werden. Hinzu kommen vermehrt Aufgaben, die ausserhalb des eigentlichen Rahmens muslimischer Gemeinschaften durch diese im weiter gefassten Kontext der Gesamtgesellschaft wahrgenommen werden, wie beispielsweise islamischer Religionsunterricht an Schulen für muslimische Schülerinnen und Schüler und insbesondere die muslimische Seelsorge in öffentlichen Institutionen (beispielsweise in den Kantonen Zürich, Luzern, St. Gallen, Aargau), im Asylwesen und im Militär.

Das Verhältnis von Staat und Religion und die Finanzierung der Aktivitäten religiöser Gemeinschaften sind in der Schweiz kantonale Angelegenheiten. Die meisten Kantone kennen das Modell von sogenannt «(öffentlich-)rechtlich anerkannten» und «nicht-anerkannten» Religionsgemeinschaften.[1] Die Frage der Finanzierung ist eng verknüpft mit der rechtlichen Anerkennungsfrage. Bei den (öffentlich-)rechtlich anerkannten Religionsgemeinschaften werden, im Unterschied zu den privatrechtlich als Vereine und Stiftungen organisierten, nicht-anerkannten muslimischen Gemeinschaften, die Mitgliederbeiträge in Form konfessioneller Steuern durch die kantonalen Steuerverwaltungen eingezogen. Hinzu kommen in einigen Kantonen Kirchensteuern für Unternehmen und öffentliche Subventionen für Tätigkeiten von gesamtgesellschaftlicher Relevanz. 

Die rechtlich nicht-anerkannten muslimischen Gemeinschaften verfügen im Vergleich dazu nur über bescheidene finanzielle Ressourcen, während ein Grossteil der gemeinschaftlichen Aktivitäten mithilfe ehrenamtlicher Freiwilligenarbeit stattfindet.

Dies ermöglicht den rechtlich anerkannten Religionsgemeinschaften den Aufbau professioneller Strukturen, Aus- und Weiterbildung religiöser Betreuungspersonen, seelsorgliches und soziales Engagement in Gemeinschaft und Gesellschaft, Bildungsarbeit, Kulturförderung, interreligiösen Dialog und anderes mrh. Die rechtlich nicht-anerkannten muslimischen Gemeinschaften verfügen im Vergleich dazu nur über bescheidene finanzielle Ressourcen, während ein Grossteil der gemeinschaftlichen Aktivitäten mithilfe ehrenamtlicher Freiwilligenarbeit stattfindet. Auch religiöse Betreuungspersonen innerhalb muslimischer Gemeinschaften wie Imame, Religionslehrerinnen oder Leiter und Leiterinnen von Jugendgruppen sind oftmals ehrenamtlich oder nur in Teilzeitpensen tätig.

Ich würde die 1000 Franken ganz allgemein der Flüchtlingshilfe spenden, unabhängig ihrer Herkunft. Die Situation betrachte ich als sehr dringlich und dramatisch.
Imam Muris Begovic (Geschäftsführer der Vereinigung der Islamischen Organisationen Zürich und der Muslimischen Seelsorge Zürich) fotografiert im islamisch-bosnischen Zentrum IBC in Schlieren. https://islam-seelsorge.ch/
© Stefan Maurerdas Bild ist Teil einer Fotoserie für religion.ch.

Professionalisierung hat ihren Preis

Bei allen genannten gesamtgesellschaftlich relevanten Angeboten der muslimischen Gemeinschaften sind die Niederschwelligkeit und Ehrenamtlichkeit prägende Aspekte. Die Gesellschaft fordert ihre weitergehende Professionalisierung unter Einhaltung hoher Qualitätsstandards vermehrt ein (Stichwort Radikalisierungsprävention), aber auch muslimische Akteurinnen und Akteure setzen sie sich zum Ziel. Professionalisierung bedingt aber die Schaffung und den Einsatz zusätzlicher, auch finanzieller Ressourcen. Für bestehende Projekte wie beispielsweise die muslimische Seelsorge in öffentlichen Institutionen im Kanton Zürich fehlen hingegen zumeist die Rechtsgrundlagen für eine nachhaltige Finanzierung, während sie, primär in finanzieller Hinsicht, muslimische Gemeinschaften an ihre Kapazitätsgrenzen bringen.

Das Vehikel der staatlichen Anerkennung von Religionsgemeinschaften stammt aus einer Zeit, in der es je eine oder höchstens zwei prägende Konfessionen pro Kanton gab.

Vor diesem Spannungsfeld zwischen dem bestehenden reichhaltigen Angebot an gesamtgesellschaftlich bedeutenden Leistungen, die durch muslimische Gemeinschaften erbracht werden, dem Bedarf nach deren Qualitätssicherung und Professionalisierung sowie der entsprechend stetig steigenden Anforderungen an finanzielle und sonstige Ressourcen, stellt sich die Frage der Vision für eine nachhaltige Zukunft. 

Das Vehikel der staatlichen Anerkennung von Religionsgemeinschaften stammt aus einer Zeit, in der es je eine oder höchstens zwei prägende Konfessionen pro Kanton gab. Die Religionslandschaft hat sich mit dem gesellschaftlichen Wandel der letzten Jahrzehnte aber sowohl interreligiös wie auch intra-religiös, stark pluralisiert. Es stellt sich die Frage, ob den neu hinzugekommenen und entstandenen Religionsgemeinschaften die gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe mittels einer rechtlichen Anerkennung ermöglicht werden soll. Falls ja, bedeutet dies, dass zum Beispiel jede der rund 250 Moscheegemeinschaften in ihren jeweiligen Kantonen einen Antrag auf juristische Anerkennung stellen kann und soll? 

Nichtstun ist keine konstruktive Handlungsstrategie

In vielen Kantonen hat sich auf diesem Gebiet bisher herzlich wenig getan, wobei in jüngster Vergangenheit mancherorts eine gewisse positive Dynamik aufzukommen scheint. Das Bewusstsein für die bestehende Ungleichbehandlung rechtlich anerkannter und nicht anerkannter Religionsgemeinschaften wächst. Positives Beispiel ist hierfür der Kanton Zürich, der sich nicht zuletzt in seinen Leitsätzen zum Verhältnis von Staat und Religion mit dieser Frage auseinander gesetzt hat und konkrete, bedarfsorientierte Projekte in Zusammenarbeit mit der muslimischen Gemeinschaft realisiert.

Nichtstun, sowohl auf Seiten der muslimischen Gemeinschaft wie auch auf Seiten der gesellschaftlichen Akteure (Behörden, anerkannte Religionsgemeinschaften, NGO’s etc.), scheint angesichts der weiter voranschreitenden gesellschaftlichen Pluralisierung und Komplexitätssteigerung jedenfalls keine konstruktive Handlungsstrategie zu sein. Nicht zuletzt beteiligen sich Musliminnen und Muslime als Bürgerinnen und Bürger, Steuerzahlerinnen und Steuerzahler und produktive Mitglieder dieser Gesellschaft an den Unternehmenssteuern und Subventionen, vermittels derer die gesamtgesellschaftlich bedeutenden Leistungen der öffentlich-rechtlich anerkannten Religionsgemeinschaften mitfinanziert werden.

Die Vielfalt in der Einheit leben

Muslimische Gemeinschaften haben durch die Gründung repräsentativer kantonaler Dachverbände ihr Interesse an einer rechtlichen Anerkennung in diversen Kantonen zum Ausdruck gebracht. Ein solcher Schritt kann für die zukünftig nachhaltige Sicherung ihrer gesamtgesellschaftlich bedeutenden Leistungen, die auch ein essenzieller Beitrag für die Integration, den gesellschaftlichen Frieden und die gesellschaftliche Kohäsion sind, einen wichtigen Baustein darstellen. Die kantonalen muslimischen Dachverbände stehen als Vertretungen der muslimischen Gemeinschaften der Gesellschaft und allen Akteuren (Behörden, anerkannte Religionsgemeinschaften, NGO’s etc.) als Dialogpartner zur Verfügung, auch hinsichtlich der zukünftigen Finanzierung ihrer gesamtgesellschaftlich bedeutenden Leistungen. 

Es ist klar, dass die rechtliche Anerkennung neuer Religionsgemeinschaften ein langwieriger Prozess mit hohen juristischen und politischen Hürden ist. Eine Inspiration könnte vielleicht auch ausserhalb des schweizerischen Kontexts gefunden werden. Demokratisch verfasste Gesellschaften kennen diverse, gut funktionierende Modelle für die Regelung des Verhältnisses zwischen Staat und Religion sowie den Umgang mit religiöser Pluralität, wie beispielsweise in Skandinavien oder in den Benelux-Ländern, wobei diese Modelle natürlich in ihren jeweiligen Kontext eingebettet sind. Die Formulierung einer innovativen Zukunftsvision für die Anerkennung der gesamtgesellschaftlich bedeutenden Leistungen muslimischer Gemeinschaften in unserem Schweizer Kontext, in welcher Form auch immer, sollte idealerweise in einem breit abgestützten und mehrheitsfähigen, gesellschaftlichen Konsens erfolgen. Ganz im Sinne der Präambel der schweizerischen Bundesverfassung, die den Willen zum Ausdruck bringt, «in gegenseitiger Rücksichtnahme und Achtung» die «Vielfalt in der Einheit zu leben».


[1] Zur rechtlichen Anerkennung aus einer muslimischen Perspektive ist bereits früher ein Beitrag bei religion.ch erschienen.

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Autor

  • Abduselam Halilovic

    Islamwissenschaftler und muslimischer Seelsorger, Präsidenten der Vereinigung der Islamischen Organisationen in Zürich (VIOZ) ||| Abduselam Halilovic (29) studierte an der Universität Zürich Islamwissenschaft, Geschichte der Neuzeit, Politikwissenschaft und Religionsphilosophie. Seit 2019 arbeitet er als muslimischer Seelsorger in öffentlichen Institutionen im Kanton Zürich und wurde 2021 zum Präsidenten der Vereinigung der Islamischen Organisationen in Zürich (VIOZ) gewählt.

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