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Karima Zehnder

Integration durch Kirche?

Verschiedene Institutionen versuchen Migrant:innen bei der Integration zu unterstützen. Doch die Coronapandemie hat gezeigt: diese Zielgruppe ist gerade von staatlicher Seite nur schwierig zu erreichen. Migrationskirchen können hier dank dem Vertrauensvorschuss ihrer Mitglieder Brückenbauerinnen sein. Eine Studie zum Integrationspotential von Migrationskirchen gibt Einblicke. 

Bei der Verknüpfung von Migration und Religion wird meist der Islam assoziiert. Dass gemäss Bundesamt für Statistik 52% der Migrant:innen einer christlichen Kirche angehören und damit das Christentum in der Migrationsbevölkerung die am häufigsten vertretene Religion darstellt, ist meist weniger bekannt. Christliche Migrationsgemeinden oder Migrationskirchen sind vorwiegend Gemeinschaften, die ihr religiös-gemeinschaftliches Leben in der Sprache ihrer Herkunftskultur pflegen. Ebenso geläufig für diese freikirchlichen Gruppierungen und Gemeinschaften sind Bezeichnungen wie «internationale Gemeinschaft», «ausländische Gemeinde» oder «ethnische Kirche».

Die Migrationskirche als Integrationshelferin

Gemeindemitglieder und Pastor:innen dienen als Anlaufstelle, um die Mitglieder in den unterschiedlichsten Bereichen zu unterstützen. Sei es bei Auskünften zu behördlichen Angelegenheiten, wie etwa Unterstützung beim Ausfüllen der Steuerklärung oder Übersetzungen und Auskünfte zum Schulsystem. In der Gemeinschaft gibt es fast immer Personen, die bereits viele Jahre in der Schweiz wohnhaft sind und bei integrationsbezogenen Fragen helfen können. 

Neben diesen praktischen Hilfestellungen kann die Gemeinschaft als psychosoziale Stütze für ihre Mitglieder wirken. So stellt sie eine Brückenfunktion von der Schweiz in die Heimat dar, die gerade für Menschen, die ihr Herkunftsland verlassen mussten, entscheidend ist. Der geteilte sprachliche und kulturelle Hintergrund verbindet, die Zugehörigkeitserfahrung schafft Vertrauen und stärkt damit für die Herausforderungen, mit denen Migrant:innen in einem neuen Land konfrontiert sind. Nebst der Funktion der Glaubensgemeinschaft als soziales Auffangbecken, kann auch der Glaube selbst Kraft und Trost spenden. Die Einstellung «mit Gottes Hilfe schaffe ich es», kann auf die Psyche stabilisierend wirken. 

Institutionelle Angebote sind vorhanden, aber …

Im Kanton Basel-Stadt gibt es eine Vielzahl von Integrationsangeboten von nicht religiösen Institutionen: von Deutschkursen über Integrationskurse bis hin zu persönlichen Beratungen zu unterschiedlichsten Themen. Diese externen beratenden Institutionen, die auf dem jeweiligen Gebiet fachkundige Auskunft erteilen könnten, werden jedoch aus diversen Gründen weniger aufgesucht. Ausserdem werden mit der unpersönlichen und schriftlichen Bewerbung dieser Angebote über Printmaterial Migrant:innen nur ungenügend erreicht. 

Viele Migrant:innen haben negative Erfahrungen mit ihren Herkunftsstaaten gemacht, weshalb sie oftmals skeptisch gegenüber staatlichen Angeboten sind. Eine staatliche Dienstleistung, die auch noch kostenfrei ist, wird eher angezweifelt als begrüsst und angenommen. Migrant:innen scheinen sich im Umgang mit der Schweizer Bevölkerung tendenziell unsicher zu fühlen. Gerade die Sprachbarriere ist dafür ausschlaggebend, dass ihnen die nötige Selbstsicherheit fehlt, um eine Institution aufzusuchen, auch wenn das Angebot niederschwellig ist.

Gottesdienst der Äthiopisch-orthodoxen Tewahedo Gemeinde zur Erinnerung an die Taufe Jesu (6./7. Januar + alter Kalender = 19./20. Januar) im Kirchgemeindehaus Gümligen. Die Gemeindeglieder werden mit geweihtem Wasser besprengt und so an ihre eigen Taufe erinnert. Auf dem Bild ist ein Diakon zu sehen, der das Kreuz hält. © Christoph Knoch

So kommt es, dass sich Mitglieder an ihre Gemeinde und die Pastor:innen wenden, die das Vertrauen der Mitglieder geniessen und umfassend Unterstützung bieten. Problematisch ist jedoch, dass sie hinsichtlich bestimmter Fragen nicht über die notwendige Fachkompetenz verfügen und darüber hinaus als ehrenamtlich Engagierte stellenweise überlastet sind. Folglich sind sie oft nicht die richtigen Bezugspersonen für die Anliegen ihrer Gemeindemitglieder.

Vertrauen ist der Schlüssel

Ohne Vertrauen und die entsprechenden Brückenbauer:innen kann die Lücke von der Angebotsseite zu den Hilfesuchenden nicht geschlossen werden. Daraus und aus den dargelegten Erkenntnissen können Empfehlungen abgeleitet werden. Einerseits sollen Leitende von Gemeinschaften für ihre verantwortungsvolle Aufgabe als Brückenbauer:innen gestärkt werden und andererseits soll der Kontakt und Informationsfluss zwischen Kirchen und Institutionen verbessert werden. Sinnvoll wäre beispielsweise, ein niederschwelliges Bildungsangebot rund um vereinsadministrative, rechtliche und seelsorgerliche Fragen für Vereinsleitende aufzubauen. Daneben sollten Pastor:innen genauso wie Beratungsinstitutionen an unterschiedlichen Vernetzungsgefässen teilnehmen, um sich auszutauschen und, noch wichtiger, das erforderliche Vertrauen aufzubauen.

Auf dem Weg der Umsetzung

Obwohl die Kunst Vertrauen aufzubauen als langwieriger Prozess anerkannt werden muss, ist es erfreulich zu sehen, wie verschiedene Akteur:innen nicht nur für das Thema sensibilisiert werden konnten, sondern bereits erste Pflöcke zur Umsetzung in verschiedene Richtungen einschlagen. Das reformierte Pfarramt für weltweite Kirche BL/BS hat sich mit der Beratungsorganisation GGG Migration zusammengeschlossen, um Gemeinschaften zu besuchen und Informationen zu vermitteln. Auf politischer Ebene konnte ein parlamentarischer Vorstoss bewirken, dass die Kantons- und Stadtentwicklung nun ein Weiterbildungsangebot für Leitungspersonen von religiösen Gemeinschaften aufbaut. Massnahmen, die zeigen, dass die Verbindung von Integration und Religion nicht nur symbolpolitisch behandelt, sondern als wirklich bedeutsam eingestuft wird.   


Karima Zehnder leitet seit 2015 die Informationsstelle INFOREL, Information Religion. Als Kommissionsmitglied der GGG Migration und als Stiftungsrätin der Stiftung Dialog zwischen Kirchen, Religionen und Kulturen wirkt sie an der Schnittstelle von Migration, Integration und Religion mit. Zuletzt hat sie im Auftrag der Kantons- und Stadtentwicklung die Untersuchung «Integrationspotenzial von Migrationskirchen» publiziert. Die Evangelische Allianz Basel-Stadt, der Dachverband der evangelischen Freikirchen, hat zusammen mit dem reformierten Pfarramt für Weltweite Kirche BL/BS eine Untersuchung initiiert, die dem Thema «Potenzial von Migrationskirchen für die Integration» nachgeht. Von der Bedeutung des Themas überzeugt, hat die Fachstelle Diversität und Integration der Kantons- und Stadtentwicklung die Untersuchung «Integrationspotenzial von Basler Mitgrationskirchen» in Auftrag gegeben.
Die Untersuchung sollte ergründen, wie diese Gemeinschaften ihre Mitglieder auf verschiedenen Ebenen dabei unterstützen, sich in der Schweiz zurecht zu finden. Via online Fragebogen wurden 120 Gemeindemitglieder sieben verschiedener Basler Migrationskirchen unterschiedlichen kulturellen und sprachlichen Ursprungs befragt, um ihre Verankerung in der Gemeinschaft zu ermitteln und zu verstehen, welche Rolle diese im Integrationsprozess spielt. Von Interesse war dabei die Funktion der Gemeinschaft: Was oder wer ist für sie wichtig, um sich in der Schweiz wohlzufühlen? Wer wird bei Fragen oder Problemen aufgesucht? Welche Rolle nimmt dabei die Glaubensgemeinschaft und der Pastor oder die Pastorin ein? Um ihre Aussagen besser nachvollziehen und einordnen zu können, wurde mit sieben der befragten Personen zusätzlich Interviews geführt. Hier geht es zur Studie.

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Autor

  • Karima Zehnder

    Leiterin Informationsstelle INFOREL, Information Religion ||| Karima Zehnder leitet seit 2015 die Informationsstelle INFOREL, Information Religion. Als Kommissionsmitglied der GGG Migration und als Stiftungsrätin der Stiftung Dialog zwischen Kirchen, Religionen und Kulturen wirkt sie an der Schnittstelle von Migration, Integration und Religion mit.

0 Gedanken zu „Integration durch Kirche?

  • Mark Fox sagt:

    Wie in dem Artikel dargelegt wird, ist vielen nicht bewusst, dass die Mehrheit der Einwanderer Christen sind, weil sich die Öffentlichkeit so sehr auf Minderheitenreligionen konzentriert. Ich danke Ihnen für den Hinweis auf diese sehr wichtige Statistik.

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