Kirchensteuern  ·  Staatliche Anerkennung
Christian Reber

Kirchensteuer: gleiche staatliche Unterstützung für gleiche Leistung?

Die Religionslandschaft in der Schweiz verändert sich. Immer mehr Menschen sind religionsfern. Gleichzeitig wächst die religiöse Vielfalt. Das staatliche System der Finanzierung von Religionsgemeinschaften bevorzugt jedoch die grossen christlichen Konfessionen. Handelt der Staat hier neutral? 

Zunehmend spielen gesamtgesellschaftliche Leistungen der christlichen Kirchen und der anderen Religionsgemeinschaften in religionspolitischen Diskussionen und auch in religionsrechtlichen Regelungen eine zentrale Rolle. Vor allem in den Kantonen Neuenburg, Waadt, Zürich, Basel-Stadt, Basel-Landschaft, Solothurn, Bern sowie Luzern lässt sich dies exemplarisch belegen und zeigt, wie eng die Verbindungen des Staates mit gewissen Religionsgemeinschaften sind, beziehungsweise gegenüber anderen Religionsgemeinschaften (noch) fehlen. Denn bis auf wenige Ausnahmen unterstützen und fördern die Kantone einzig die Leistungen jener Religionsgemeinschaften, die sie rechtlich anerkannt haben – die Leistungen der anderen Religionsgemeinschaften werden schlicht ignoriert. Damit handelt der Staat alles andere als neutral.

Fokussierung auf Leistungserbringung

Der Mitgliederschwund vor allem in den evangelisch-reformierten und christkatholischen Kirchen, die Zunahme von konfessionslosen und religionsfernen Menschen sowie die zunehmende Sichtbarkeit anderer Religionsgemeinschaften führen einerseits zu einer Deinstitutionalisierung von Religion und zu einer Säkularisierung der Gesellschaft, andererseits aber auch zu einer religiösen Vielfalt. Während in einem religiös homogenen Staatswesen die staatliche Unterstützung einer bestimmten Kirche oder einer eng begrenzten Auswahl von Religionsgemeinschaften unhinterfragt möglich ist, ist diese in der heutigen, säkularen und religiös pluralen Schweiz rechtfertigungsbedürftig, weil sie der gesellschaftlichen Realität und dem Gebot der staatlichen Gleichbehandlung der Religionsgemeinschaften nicht mehr gerecht wird.

Infolge der oben erwähnten gesellschaftlichen Megatrends geraten die Kantone also zunehmend unter Druck, die religionsrechtlichen Verhältnisse, welche sie zu ihren Kirchen aufgebaut haben, neu auszuhandeln. Eine Strategie der Kantone, der Vielfalt unter den Religionsgemeinschaften zu begegnen, besteht darin, bestehende Rechte und Privilegien, welche den anerkannten Kirchen über eine öffentlich-rechtliche Anerkennung bisher exklusiv zugestanden sind, nicht mehr vorbehaltlos auf historische Begründungen zu stützen, sondern sie an die öffentliche Leistungserbringung zu knüpfen. Damit wird eine öffentliche Debatte über den Stellenwert und den gesellschaftlichen Nutzen von Religion und insbesondere der öffentlich-rechtlich anerkannten Kirchen und Religionsgemeinschaften unumgänglich und rücken die gesamtgesellschaftlichen Leistungen in den Vordergrund des religionspolitischen und religionsrechtlichen Interesses.

Die Kantone Neuenburg und Waadt haben diese Kultur- und Sozialverantwortung bereits seit Anfang der 2000er-Jahre in ihren Kantonsverfassungen verankert. Auch in den Kantonen Zürich, Basel-Stadt, Bern und Luzern wirkt sich das Unterstützungskriterium der gesamtgesellschaftlichen Leistung für die betroffenen anerkannten Kirchen und Religionsgemeinschaften sowie für die staatlichen (Kontroll-)Organe ganz konkret und direkt auf die finanzielle, administrative und organisatorische Unterstützung aus.

Ich würde das Geld einer alleinerziehenden Frau geben, die hier in der Schweiz lebt und drei Kinder hat. Sie hätte es wirklich nötig.
Özlem Duvarci, Geschäftsführerin des Fördervereins Alevitische Kultur mit freiwilligen Mitarbeiterinnen in der Dergâhim Haus der Religionen, fotografiert am Quartiermarkt Holligen Bern.
www.haus-der-religionen.ch/religionsgemeinschaften/alevitinnen
© Stefan Maurer, das Bild ist Teil einer Fotoserie für religion.ch.

Staatliche Unterstützungsmassnahmen für Religionsgemeinschaften sind – zumindest in diesen Kantonen – damit in überwiegendem Masse zweckgebunden an die Erbringung gesamtgesellschaftlicher Leistungen. Damit ist gemeint, dass staatliche Unterstützungsleistungen in finanzieller, administrativer und personeller Form nicht für kultische – also religiöse – Zwecke verwendet werden dürfen, sondern einzig für Leistungen, die allen Menschen einer Gesellschaft zugutekommen. Also auch Menschen, die nicht Mitglieder der betroffenen Religionsgemeinschaft sind. Welche Leistungen dies genau sind, ist umstritten und nicht in allen Fällen klar abzugrenzen und zu definieren. Staatlich wie auch kirchlich werden darunter jedoch in der Regel Leistungen in den Bereichen Bildung, Kultur und Soziales verstanden. Für den Staat bietet diese Lösung ein sachlich-neutrales Kriterium, womit er seine Unterstützung von Religionsgemeinschaften gegenüber einer zunehmend säkularen und religiös vielfältigen Bevölkerung erklären kann und nicht an theologische oder religiöse Inhalte knüpft.

Gleiche Unterstützung für gleiche Leistung

Generell wirft die staatliche Unterstützung von Religionsgemeinschaften Fragen auf und der Nutzen der christlichen Kirchen und der anderen Religionsgemeinschaften für die Allgemeinheit wird von kritischen Beobachtern durchaus angezweifelt und relativiert. Bisher konnten sich diese Stimmen nicht durchsetzen. Im Gegenteil, Untersuchungen zeigen, dass die Bevölkerung überwiegend der Meinung ist, das Vorhandensein und das Wirken von Religionsgemeinschaften seien für die Gesellschaft nützlich. Indem sie soziale Werke erbringen, historisch-kulturelle Bauten unterhalten, sich für ausgegrenzte Menschen einsetzen und ethisch-moralische Werte vertreten, würden sie unser Zusammenleben weitgehend erst ermöglichen. Das Gros der Gesellschaft – und hiermit der Politik – vertritt also (noch) die Ansicht, dass Religionsgemeinschaften einen gesellschaftlichen Mehrwert bieten, der die Basis unserer gesellschaftlichen Kohäsion bildet. Was es rechtfertige, dass sie staatlicherseits bevorzugt behandelt werden, gegenüber anderen zivilgesellschaftlichen Akteuren.

Je säkularer (also nichtreligiöser) eine Leistung einer Religionsgemeinschaft ist, desto eher wird sie staatlich gefördert.

Die staatliche Unterstützung der anerkannten Kirchen und Religionsgemeinschaften mit deren gesamtgesellschaftlicher Leistung zu legitimieren, führt jedoch zur Frage, was dies für den Staat und für die Kirchen und Religionsgemeinschaften bedeutet. In seiner Religionspolitik nimmt der Staat damit die Nützlichkeit einer Religionsgemeinschaft in den Fokus seines Interesses. Die anerkannten Kirchen werden durch den Staat unterstützt, weil sie nichtreligiöse, sogenannte gesamtgesellschaftliche Leistungen erbringen in den Bereichen Bildung, Kultur und Soziales und nicht, weil sie irgendwie religiös sind oder, religiöse Dinge tun oder theologisch-philosophische Lehren verbreiten – also eigentlich genau das, was eine Religionsgemeinschaft zu einer Religionsgemeinschaft macht. Kurz – und wohl auch paradox: Je säkularer (also nichtreligiöser) eine Leistung einer Religionsgemeinschaft ist, desto eher wird sie staatlich gefördert.

Weil jedes staatliche Agieren verfassungsmässig an das Gebot der Neutralität gebunden ist, ist dieses Vorgehen nachvollziehbar und zweifelsohne richtig. Und unbestritten, die Landeskirchen erbringen in unserer Gesellschaft wesentliche Beiträge, die der Allgemeinheit von grossem Nutzen sind. Sie tun dies durch direkte und indirekte Leistungen. Dank einem hohen Anteil an ehrenamtlichem Engagement profitiert die Gesellschaft und der Staat wird entlastet. Da die Leistungen allen zugutekommen, rechtfertigt sich auch die Unterstützung mit kantonalen Steuergeldern sowie weiteren staatlichen administrativen und personellen Beihilfen.

Dennoch lädt es uns zum Nachdenken ein: Wenn wir die anerkannten Kirchen und Religionsgemeinschaften für ihre nichtreligiösen Leistungen unterstützen, ist es in einem zweiten Schritt nicht auch naheliegend anzunehmen, dass auch Freikirchen und andere Religionsgemeinschaften solche kulturellen, sozialen und bildungsrelevanten Leistungen erarbeiten? Weshalb werden diese nicht unterstützt? 

Der Staat handelt nicht konsequent und neutral

Aus rechtsstaatlicher Sicht spricht nichts dagegen, wenn der weltanschaulich und religiös neutrale Staat Religionsgemeinschaften für gesamtgesellschaftliche Leistungen honoriert. Problematisch ist dies jedoch dort, wo er dies nur für eine begrenzte Auswahl an Kirchen und Religionsgemeinschaften tut und ignoriert, dass auch andere Kirchen und Religionsgemeinschaften solche Dienste erbringen. Wenn der Staat die Anwendung seiner sachlichen Kriterien nur auf eine Auswahl von Gemeinschaften beschränkt, kreiert der Staat Asymmetrien unter den Religionsgemeinschaften. Damit verletzt er sein eigenes Gebot der Neutralität.

Aus Gründen der Gleichbehandlung muss deshalb die Forderung gestellt werden: Gleiche Unterstützung für die gleiche Leistung.

Meiner Ansicht nach handelt der Staat nicht konsequent und neutral, wenn er die Leistungen einer beschränkten Auswahl von Religionsgemeinschaften – nämlich die der anerkannten Landeskirchen – unterstützt, während er die gesamtgesellschaftlichen Leistungen anderer Religionsgemeinschaften – nämlich die der nichtanerkannten – ignoriert. Denn entweder ist eine Leistung gesamtgesellschaftlich – und wird durch den Staat unterstützt – oder sie ist es nicht. Aus Gründen der Gleichbehandlung muss deshalb die Forderung gestellt werden: Gleiche Unterstützung für die gleiche Leistung.

Wenn die Leistungen gesellschaftlich relevant sind, ist es nur konsequent, wenn alle Religionsgemeinschaften mit der gleichen Begründung finanziell, administrativ und personell unterstützt werden. Es spielt keine Rolle, ob es Juden, Muslime, Aleviten, Sikhs, Buddhisten, Hindus oder Christen sind. Diejenigen nichtanerkannten Kirchen und Religionsgemeinschaften, die sich an die vom säkularen sowie freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat definierten Vorgaben halten und sich auf lokaler und überregionaler Ebene mit ihren Leistungen um gesellschaftliche Teilhabe bemühen, sollten von den Kantonen nicht länger ignoriert werden. Wenn auch die nichtanerkannten Kirchen und Religionsgemeinschaften gesamtgesellschaftliche Leistungen erbringen, so müssen deren Leistungen gleich wie die der anerkannten honoriert werden. 

Wenn auch die staatliche Förderung der gesamtgesellschaftlichen Leistungen von Religionsgemeinschaften kritische Grundsatzfragen aufwirft, so ist der Ansatz in seinem Grundgedanken positiv einzuschätzen, insofern er es erlaubt, auch die Leistungen der nichtanerkannten Kirchen und Religionsgemeinschaften sichtbar zu machen und diese – unabhängig von ihrem rechtlichen Status und sachlich-neutral begründet – zum Wohle der Bevölkerung zu unterstützen, zu stärken und ihre Reichweite zu vergrössern.

Das Wirken der nichtanerkannten Kirchen und Religionsgemeinschaften bliebe so nicht mehr länger unbeachtet und vom Staat unbeantwortet, sondern würde – aufgrund der erbrachten gesamtgesellschaftlichen Leistung – anerkannt, gewürdigt und honoriert. Dies wäre ein Vorgehen, das die staatliche Neutralität wahrt und Hand bietet, alle Kirchen und Religionsgemeinschaften als verantwortungsbewusste Akteure in die Gesellschaft einzugliedern, um den religiösen Frieden und den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu festigen und zu fördern.


Weiterführende Literatur:

Reber, Christian (2020): Staatliche Unterstützung für Leistungen der anerkannten Kirchen – Religionspolitik nach zweierlei Mass? (Dissertation) (FVRR 39), Zürich/Basel/Genf.

Reber, Christian (2020): Die Weiterentwicklung des staatlichen Anerkennungs- und Unterstützungssystems für Religionsgemeinschaften, in: Pahud de Mortanges, René (Hg.), Staat und Religion in der Schweiz des 21. Jahrhunderts. Beiträge zum Jubiläum des Instituts für Religionsrecht (FVRR 40), Zürich/Basel/Genf, S. 167–199.

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Autor

  • Christian Reber

    Dr. phil. in Religionsstudien und Gartenbautechniker ||| Christian Reber – Dr. phil. in Religionsstudien und Gartenbautechniker HF – ist ehrenamtlicher Kirchgemeinderat, in seiner Miliztätigkeit Armeeseelsorger und als Gartenenthusiast in Teilzeitanstellung stellvertretender Geschäftsführer einer Gartenbaufirma.

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