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Moni Egger

Mann – Frau – Frucht: Geschlechterbeziehungen in biblischen Gärten

Eine gleichberechtigte Beziehung zwischen Männern und Frauen scheint nicht unbedingt das Ideal christlicher Kirchen zu sein. Und doch: Feministische Lesarten der Bibel zeigen, dass bereits in der Bibel eine Vision einer partnerschaftlichen Verbindung auf Augenhöhe zwischen Mann und Frau angelegt ist.

«Wie ein Apfelbaum unter den Bäumen des Waldes, so ist mein Freund unter den Burschen. In seinem Schatten begehre ich zu sitzen, seine Frucht ist süss in meinem Gaumen.» (Hld 2,3)

Die im biblischen Buch «Hohelied» gesammelten Lieder umschreiben die Liebe in sinnlichen Metaphern. Da kann es auch ganz schön prickeln: «Er soll mich küssen mit lauter Küssen seines Mundes. Mmmm, deine Liebkosung … köstlicher als Wein.» Mal lesen wir die Stimme der Frau, mal jene des Mannes: «Honigmilch unter deiner Zunge! Deine Kleider duften wie der Libanon.»

Aus diesen Stimmen der beiden Liebenden kommen uns zwei junge Menschen entgegen, die sich überschwänglich aneinander freuen, die sich nacheinander sehnen, verzehren, die die Liebe in all ihren Schattierungen kosten, ausprobieren, erleben. Nicht immer sind die Stimmen klar der Frau oder dem Mann zuzuordnen. Beide verwenden analoge Metaphern zur Beschreibung der oder des Geliebten. So zeichnet das Hohelied ein Bild eines Paares, das sich in der Liebe auf Augenhöhe begegnet. Es malt dieses Bild mit unzähligen Metaphern aus der Natur. Als Ort der Liebe und als Bild für sie wird unter anderem der Garten genannt. So zum Beispiel der Mann in Hld 4,11: «Ein verschlossener Garten, meine Schwester, Braut. Ein versiegelter Quell.»

 Der Garten – Ein Paradies

«Garten» ist ein wichtiges Symbol in der altorientalischen Poesie. Ein Garten ist ein Stück kultivierte Natur. Er ist umzäunt und darum geschützt. In einem Garten hat es Wasser. Das klingt für uns in Mitteleuropa vielleicht selbstverständlich. In den klimatischen Bedingungen des Vorderen Orients ist Wasser aber eine Kostbarkeit. Im Sommer fällt kein Regen, die Landschaft wird braun, trocken. Nur an den wenigen Quellen und Flussläufen bildet sich Grün. Hier gibt es also Wasser, Pflanzen, Schatten, Früchte, Blumen. Ein wahres Paradies! Und tatsächlich kommt das Wort «Paradies» von so einem Garten. Das persische Wort «Pardes» steht im Hohelied (in 4,13), Martin Luther übersetzt es mit «Lustgarten». Auf griechisch wurde dieses Wort übernommen und als «Paradeisos» wiedergegeben.

Dieser sichere, geschützte, fruchtbare Paradiesgarten wurde später verbunden mit dem Garten, dem Garten Eden, aus der biblischen Urgeschichte, von dem im Buch Genesis im zweiten und dritten Kapitel erzählt wird. Gott selbst, so heisst es dort, hat den Garten Eden angelegt, damit die Menschen einen Ort zum Leben haben. Es ist ein Garten voll des kostbaren Wassers und voller Pflanzen.

Menschen: Mann und Frau

In diesem Garten schafft Gott aus einer Handvoll Erde einen Erdling, ein Menschenwesen, dem Gott Lebensatem einhaucht. Dieser Erdling ist zunächst allein im Garten. Aber «Gott sieht, dass das nicht gut ist» (Gen 2,18). So teilt Gott den Erdling in zwei Hälften. Aus der einen Seite wird ein Mann, aus der anderen wird eine Frau. Sie sollen füreinander da sein, sollen zueinander schauen und den Garten hegen und pflegen und von seinen Früchten kosten. Moment mal, und wie war das mit der Rippe? Überlegungen zu dieser und anderen Fehlübersetzungen gibt es hier.

Genesis 2 erzählt also davon, wie die Beziehung zwischen den Geschlechtern im Grunde ihres Wesens angelegt ist: Frau und Mann sind füreinander eine existenzielle Hilfe, sie sind sich gleichwertiges Gegenüber.

Die biblische Urgeschichte erzählt von einem Uranfang, der nicht weit zurückliegt, sondern bleibend aktuell ist. Urgeschichten erzählen nicht, wie die Dinge einmal waren, sondern wie sie bleibend beschaffen sind. Genesis 2 erzählt also davon, wie die Beziehung zwischen den Geschlechtern im Grunde ihres Wesens angelegt ist: Frau und Mann sind füreinander eine existenzielle Hilfe, sie sind sich gleichwertiges Gegenüber.

Die verlockende Frucht (I)

Ein prächtiger Garten, voll mit Essbarem, ohne Not, Mann und Frau füreinander da, ebenbürtig. Das ist kein realer Garten, von dem die Geschichte da erzählt. Die Wirklichkeit sieht anders aus, da gibt es Hunger, Mangel, Diskriminierung, Gewalt. Und so erzählt auch die biblische Geschichte weiter: In der Mitte des Gartens stehen zwei Bäume, deren Früchte sind verboten für die Menschen. Als die Menschen dennoch davon kosten, ist es vorbei mit der Harmonie. Jetzt heisst es: Raus aus dem geschützten Garten, rein in die Wirklichkeit. Zu dieser Wirklichkeit gehört, dass die Beziehung zwischen Männern und Frauen sich verschiebt. Was auf Gleichwertigkeit angelegt war, gerät in Schieflage. Weil sie von der verbotenen Frucht gegessen hat, sagt Gott zur Frau: «Du wirst immer am Mann hängen, aber er wird über dich herrschen.» (Gen 3,16).

Ist die Geschlechterbeziehung jetzt für immer gestört? Ein Blick in die biblischen Texte scheint das zu bestätigen: Von der Geringschätzung der Frauen über Verdrängung, Unterdrückung, Ausbeutung und Gewalt ist alles zu haben. Hier ist die Bibel ein durch und durch realistisches Buch. Aber gleichzeitig ist sie auch visionär. Und damit kommen wir zurück zum Hohelied.

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Die verlockende Frucht (II)

Aufgrund von zahlreichen Ähnlichkeiten und Textmerkmalen lässt sich die Paardynamik im Hohelied als Gegenentwurf zu jener aus der Urgeschichte lesen. 

Besonders deutlich zeigen sich die Bezüge in Hohelied 4,12-5,1*. Diese Stelle kann als Gespräch zwischen den beiden Liebenden verstanden werden. Unterschiedliche Rollenaufteilungen sind möglich, zum Beispiel diese:

Mann: V12 «Ein verschlossener Garten, meine Schwester, Braut. Ein verschlossener Brunnen. Ein versiegelter Quell. V13 Was aus dir kommt: Ein Pardes von Granatäpfeln, köstliche Früchte! Henna, Narde …»

Frau: V14 «… Narde und Safran und Gewürzrohr und Zimt, alle Dufthölzer, Myrrhe und Aloa und alle besten Durftkräuter.»

Mann: V15 «Eine Quelle im Garten, ein Brunnen mit Lebenswasser, herabfliessend vom Libanon!»

Frau: V16: «Wach auf, Nordwind! Südwind, komm! Weck meinen Garten. Lass seine Düfte strömen! Dann kommt mein Liebster in seinen Garten und isst seine köstlichen Früchte.»

Mann: 5,1* «Ich kam in meinen Garten. Meine Schwester, meine Braut! Ich habe meine Myrrhe gepflückt. Ich habe meine Wabe gekostet, samt ihrem Honig. Ich habe meinen Wein getrunken. Meine Milch. […]»

Hier wie in Genesis 2-3 gibt es einen bewässerten Garten, einen verschlossenen Garten, es gibt verlockendes Essen, es wird eine Frucht gegessen. In Gen 2-3 wird der offene Garten verschlossen, im Liebeslied in Hld 4,12-5,1 öffnet sich der verschlossene Garten. Die Veränderung hängt in beiden Texten mit dem Essen einer Frucht zusammen. Diese Umkehrung kann so verstanden werden, dass in der gemeinsamen Liebe das verlorene Paradies ein Stück weit wieder hergestellt wird. 

Eine Vision von Gleichberechtigung

Wenn wir die Lieder des Hoheliedes noch weiterlesen, stossen wir auf eine Stelle, die dieses Verständnis bestätigt und verdeutlicht. In Hld 7,11 steht nämlich: «Ich bin da für meinen Liebsten. Und er hängt an mir.» Das ist eine sehr seltene Formulierung, die wir weiter oben fast genau gleich schon gesehen haben: «Du wirst immer am Mann hängen, aber er wird über dich herrschen.» (Gen 3,16). Die Stelle im Hohelied nimmt die Wörter aus der Urgeschichte auf und dreht sie um. Dort wurde die Frau dem Mann untergeordnet. Dieser zweite Satz fehlt im Hohelied. Was dort einseitige Herrschaft bedeutet, wird hier zur gegenseitigen Anziehung und Zugehörigkeit. Wenn unser Text so gelesen wird, dann verweist er auf eine gleichberechtigte Freundschaft, die geprägt ist von der lustvollen Freude am Gegenüber. Darauf also, wie die Geschlechterbeziehung eigentlich gedacht war im uranfänglichen Garten in Eden. 

Über weite Strecken hält die Androzentrik – also die Konzentration auf die männlichen Figuren und der Blick aus männlicher Perspektive – die Oberhand.

Es wäre schön, wenn dies fürs ganze Buch der Liebeslieder so gälte. Aber das ist leider nicht der Fall. Über weite Strecken hält die Androzentrik – also die Konzentration auf die männlichen Figuren und der Blick aus männlicher Perspektive – die Oberhand. Und auch wenn die beiden Liebenden sich je als gleichwertiges Gegenüber annehmen, so stecken sie doch in einer patriarchalen Wirklichkeit, die sich an verschiedenen Stellen des Buches zeigt.

Klara Butting hat diese Zusammenhänge herausgearbeitet.[1]Sie verweist u.a. auf Hld 1,6 und 8,8-9, am Anfang und am Schluss des Buches. Hier ist die Rede von den Brüdern der Frau. Es wird deutlich, dass diese eine Kontrollfunktion haben. Sie wachen über ihre Schwester und ihre Beziehungen. Sie wollen sie abschotten vor allfälligen Verehrern. In Hld 3,3 und 5,7 tauchen noch andere Wächter auf. Es sind die Wächter, die über die Stadt wachen. In Kapitel 5 werden diese übergriffig: «Sie haben mich gefunden, die Wächter, die in der Stadt herumgehen. Sie haben mich geschlagen. Sie haben mich verletzt. Sie haben mein Kopftuch weggerissen, die Wächter der Mauern.» (Hld 5,7)

Es gibt im Buch der Liebeslieder kein Happyend.

Die Wiederherstellung der paradiesischen Zustände von Gleichberechtigung und gegenseitiger Achtung ist demnach auch im Hohelied nicht Wirklichkeit, sondern Vision. Es gibt im Buch der Liebeslieder kein Happyend. Die Menschen, Frauen und Männer, bleiben weiterhin aufgefordert, an der Verwirklichung des Paradieses zu arbeiten. An einer Wirklichkeit, die Schutz und Lebensmöglichkeit bietet für alle. An einer Wirklichkeit, in der die Menschen füreinander da sind. An einer Wirklichkeit, in der Männer und Frauen einander gleichberechtigt begegnen. 


[1] Klara Butting: Die Buchstaben werden sich noch wundern. Innerbiblische Kritik als Wegweisung feministischer Hermeneutik, Wittingen 2003. Zum Hohelied S. 117-160.

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Autor

  • Moni Egger

    Theologin ||| Moni Egger, Dr. Theol., arbeitet als Dozentin für Bibelhebräisch an der Universität Luzern und als freischaffende Theologin mit Schwerpunkten in Bibel, Erzählkunst und Religionspädagogik. Sie ist Redaktionsmitglied in der feministisch-theologischen Zeitschrift FAMA. www.matmoni.ch, www.fama.ch, www.bibelerz.ch

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