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Fahredin Bunjaku

Mensch und Tier: eine muslimische Perspektive

Die Beziehung von Menschen und Tieren ist in den letzten Jahren immer mehr zum Thema von Diskussionen geworden. Dürfen Menschen Tiere halten? An ihnen Versuche durchführen? Oder sie gar essen? Fahredin Bunjaku beantwortet Fragen zur Beziehung von Menschen und Tieren aus einer muslimischen Perspektive.

Eine der charakteristischen Eigenschaften des Islams ist, dass er allumfassend ist. Er umfasst alle Aspekte des Lebens und regelt die Beziehungen der Menschen zu ihrem Schöpfer und untereinander. Das Erste, was unsere islamischen Gesetze in Bezug auf das Wohl der Tiere aussagen, ist, dass die Tierwelt, genau wie die menschliche Welt, ihre eigenen Eigenschaften, Natur und Gefühle hat. Der Allmächtige sagte: «Alle Lebewesen auf der Erde, die gehen oder sich mit Flügeln durch die Luft bewegen, sind Gemeinschaften wie ihr. Wir haben alles genau festgehalten im Buch. Sie werden dann alle zu ihrem Herrn geführt werden.» (6.38) 

Dieser Vers im Koran betont das Konzept der Gleichheit und Wertschätzung aller Lebewesen und ihre Verbindung zu Gott, dem Schöpfer. Es erinnert die Menschen daran, dass sie die Verantwortung haben, für das Wohl aller Geschöpfe zu sorgen. Sie sollen sie nicht auf eine Weise behandeln, die den Tieren Schaden zufügt.

Tiere im Koran

Im Koran finden sich zahlreiche Erzählungen über Tiere. Sechs der 114 Kapitel des Korans tragen einen Tiernamen als Überschrift, wie zum Beispiel die 2. Sure, die «Kuh» (Bakara), die 27. Sure, die «Ameise» (Naml) oder auch die 105. Sure, der «Elefant» (Fîl). Die Tiere, von den grössten bis hin zu den kleinsten, scheinen im Koran alle einen Platz zu finden. Mehr noch, sie erscheinen im Koran nicht nur als Lebewesen, die zufällig erschaffen wurden, sondern als gewollte Schöpfung Gottes.

Es gibt nichts, was ihn nicht lobpreisen würde.

Im Koran werden Tiere nicht nur als Geschöpfe Gottes dargestellt, die von Gott versorgt werden, sondern es wird auch oft betont, dass sie Gott unentwegt lobpreisen: «Die sieben Himmel und die Erde und ihre Bewohner loben ihn. Es gibt nichts, was ihn nicht lobpreisen würde. Ihr aber versteht ihre Lobpreisung nicht. […]» (Sure Isra, 17:44) Dieser Vers im Koran unterstreicht das Konzept der Lobpreisung Gottes durch alle Geschöpfe sowie die Unfähigkeit des Menschen, die Lobpreisungen der Tiere zu verstehen. Es erinnert uns daran, dass jedes Lebewesen eine wichtige Rolle in Gottes Schöpfung spielt. Entsprechend sollten wir uns bemühen, sie zu respektieren und zu schützen.

Gibt es Tiere mit einer besonderen Bedeutung?

Im Islam werden Tiere als wertvolle Geschöpfe Gottes angesehen und es wird von den Gläubigen erwartet, dass sie sie mit Respekt und Mitgefühl behandeln. Das Thema Tiere ist eine Sache des Instinkts, jeder Mensch hat eigene Wünsche und Hobbys. Daher ist es schwierig, ein Tier zu definieren, das sich von anderen unterscheidet. Dies ist dem Geschmack der Leute überlassen, es gibt einige, die Katzen mögen, andere Hunde, Vögel oder Fische und so weiter.

Sind Tiere dem Menschen untergeordnet?

Im Koran werden Tiere in verschiedenen Zusammenhängen erwähnt. Sie treten häufig als Helfer der Propheten oder Beschützer heiliger Orte auf. Auch ihr Nutzen für den Menschen wird im Koran erwähnt.

Gott hat den Menschen erschaffen und ihn von anderen Geschöpfen unterschieden, sodass sogar die Engel sich aus Respekt vor ihm niedergeworfen haben. Dies zeigt, dass der Mensch wirklich von Gott geehrt wird. Wie Gott im Koran sagt: «Wir haben die Kinder Adams geehrt …» (Al-Isra 70).

Solange Gott den Menschen geehrt hat, hat er ihm auch andere Geschöpfe untergeordnet wie beispielsweise die Tiere. Solange er sie richtig gebraucht und nicht zerstörerisch wird, verbleiben sie in seinem Dienst. Menschen, die Tiere mit Respekt behandeln, werden im Jenseits belohnt, während Tierquäler bestraft werden. 

© Julia Del Negro

Weshalb darf man Tiere essen?

Im Islam dürfen Tiere gegessen werden, weil es als Mittel zur Erfüllung der Grundbedürfnisse des Menschen betrachtet wird. Der Mensch muss sich ernähren, um gesund und leistungsfähig zu bleiben. Das Essen von Tieren ist Teil der natürlichen Ernährung des Menschen und wird als notwendig angesehen, um den Körper mit genügend Nährstoffen zu versorgen.

Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass das Töten und Schlachten von Tieren eine schwere Verantwortung darstellt. Daher sollte man es auf eine humane und respektvolle Weise durchführen. Zudem sollte man nicht mehr Fleisch essen als notwendig und auch darauf achten, dass die Tiere unter guten Bedingungen gehalten werden. Ein artgerechtes Leben ist wichtig.

Welche darf man essen und welche nicht?

Gott hat viele Arten von Tieren aus Gründen geschaffen, die Er am besten kennt. Wir als Muslime aber verstehen auch, dass dies nicht bedeutet, dass alle Tiere, die Gott erschaffen hat, als Nahrung der Menschen dienen. Jede Art von Geschöpf hat ihre eigenen Besonderheiten in diesem Leben, das Gott ihnen gegeben hat.

Dinge im Islam sind im Wesentlichen erlaubt, bis auf die wenigen Einschränkungen, über die uns Gott und sein Prophet lehren.

Für uns als Gläubige ist es sehr wichtig, Gottes Geboten und Regeln zu folgen. Er weiss am besten, was für uns nützlich oder schädlich ist, weil er unser Schöpfer ist. Wenn wir über verbotene Lebensmittel im Islam sprechen, sollte nicht verstanden werden, dass der Islam wirklich viele Dinge verbietet und den Menschen das Leben schwer macht. Im Gegenteil, Dinge im Islam sind im Wesentlichen erlaubt, bis auf die wenigen Einschränkungen, über die uns Gott und sein Prophet lehren. Die Menge der verbotenen Dinge im Islam ist sehr klein, während die Menge der erlaubten Dinge sehr breit und gross ist. Im Islam ist uns das Fleisch aller Tiere bis auf das des Schweins, der Raubtiere und der tot aufgefunden Tiere erlaubt. 

Wie soll man mit ihnen umgehen?

Wir als Muslime betrachten die Tiere als Geschöpfe Gottes, die eine Rolle oder Funktion in dieser Welt haben. Unabhängig davon, ob wir ihr Fleisch oder ihre Produkte konsumieren dürfen oder nicht, müssen wir alle Tiere fair und barmherzig behandeln.

In einer Überlieferung des Propheten Mohammed steht: «Während ein Mann unterwegs war, spürte er starken Durst. Er kletterte in einen Brunnen hinab und trank daraus. Als er wieder draussen war, sah er einen Hund, dessen Zunge heraushing und vor starkem Durst den Sand frass. Der Mann sagte zu sich: ‹Der Hund wurde vom starken Durst genauso befallen wie ich.› Er füllte dann seinen Schuh mit Wasser, hielt diesen mit seinem Mund fest, kletterte hinauf und tränkte den Hund damit; da dankte ihm Allah dafür und vergab ihm (seine Sünden). Die Leute sagten: ‹O Gesandter Allāhs, erhalten wir auch einen Lohn (von Allāh) wegen der Tiere?› Der Prophet erwiderte: ‹Wegen jedem Lebewesen gibt es Lohn!›». (Bukhari)

Wie steht man zu Tieropferungen?

Die Tieropferung ist nicht eine Verpflichtung, die nur bei Muslimen vorkommt, sondern auch in anderen monotheistischen und polytheistischen Religionen. Der Islam nutzt die Tieropferung, um den Gläubigen darauf vorzubereiten, mehr zu opfern, wenn es um die Verteidigung von Familie, Besitz, Heimat und Religion geht.

Wir sollten uns um die Armen kümmern, genau wie um uns selbst und unsere Familie,n und bereit sein, ihnen Fleisch zu spenden, damit sie in besseren Lebensbedingungen leben und an den Festtagen besseres Essen haben. Die Tieropferung bringt also auch die soziale und humane Seite des Islams zum Ausdruck. Sie erinnert die Gläubigen daran, sich auch um die Armen, Waisen und Bedürftigen zu kümmern. 

Es gibt sicher auch vegetarische und vegane Muslime?

Im Islam ist das Essen von Fleisch kein Muss. Es gibt keine klare Vorschrift im Koran, die besagt, dass Muslime unbedingt Fleisch essen müssen. Der Koran erlaubt Muslimen, Fleisch von bestimmten Tieren zu essen. Aber dies wird ihnen als Möglichkeit gegeben und sie können diese nutzen oder nicht. Veganer:in oder Fleischesser:in zu sein, ist eine Entscheidung, die jedem und jeder frei überlassen wird.

Gibt es da Diskussionen unter muslimischen Gelehrten, wie damit umzugehen ist?

Es ist im Islam erlaubt, vegan zu sein. Muslimische Gelehrte führen keine Debatte darüber, weil sie es als persönliche Entscheidung betrachten. Wir sollten jedoch darauf achten, dass wir nicht denken, dass Fleischkonsum verboten ist. Dies würde im Widerspruch dazu stehen, was Gott erlaubt hat.

Wie soll das Zusammenleben von Menschen und Tieren aussehen?

Nach islamischer Sicht sollte das Zusammenleben zwischen Tier und Mensch von Respekt, Mitgefühl und Verantwortung geprägt sein. Der Koran betont, dass alle Lebewesen von Gott erschaffen wurden. Der Mensch als Verantwortungsträger auf der Erde ist dazu aufgefordert, die Tiere zu schützen. 

Der Mensch ist also den Tieren überlegen, aber damit auch für sie verantwortlich. Diese Verantwortung beinhaltet, für das Wohl der Tiere zu sorgen. Dafür ist es dem Menschen erlaubt, Nutztiere zu halten, sie zum Transport zu nutzen oder einige von ihnen zu verzehren. 

Das Foltern der Tiere und das Töten von ihnen ohne triftigen Grund sind im Islam strengstens verboten. Der Gesandte Gottes, möge Gottes Segen und Sein Frieden auf ihm sein, sagte: «Es gibt niemanden, der ohne Recht einen Vogel oder mehr als ihn tötet, ausser dass Gott ihn darüber am Tag des Jüngsten Gerichts zur Rechenschaft ziehen wird.»


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Autor

  • Fahredin Bunjaku

    Imam der Moschee «Haus des Friedens» in Zürich ||| Fahredin Bunjaku ist Imam der Moschee «Haus des Friedens» in Zürich. Sein Studium hat er in Amman an der Universität von Jordanien abgeschlossen. Seit 2003 lebt er in der Schweiz, wo er auch als Imam und Dachdecker arbeitet. Er ist verheiratet und hat vier Kinder.

Ein Gedanke zu „Mensch und Tier: eine muslimische Perspektive

  • Julia Haber sagt:

    Vor kurzem ein schönes Buch von Asma El Maaroufi gelesen: Ethik des Mitsein, Grundzüge islamischer Tierethik.
    Auch für mich als Christin ist das ein so schönes Buch zu Islam und Tieren!

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