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Yasemin Duran

Reinheit: eine muslimische Perspektive

Egal ob Mann oder Frau, jung oder alt – Reinheit spielt für Muslim:innen eine zentrale Rolle. Das Äussere wie auch das Innere muss sauber beziehungsweise «gut» sein. Wie Muslim:innen diese Reinheit halten können, beschreibt Yasemin Duran.

Im Islam spielt die Reinheit eine sehr wichtige Rolle. Im Arabischen gibt es mehrere Begriffe, die mit dem Thema Reinheit oder Sauberkeit in Verbindung gesetzt werden, welche auch im Quran auffindbar sind. Es sind dies zum Beispiel Tayyib (pur, gut) oder Tahir (hygienisch rein). Um die Wichtigkeit der Reinheit zu betonen, sagte der Prophet Muhammad (Friede sei auf ihm), dass die Reinheit die Hälfte des Glaubens ist. In einer anderen Überlieferung sagt er, dass Reinheit vom Glauben kommt. 

In den ersten offenbarten Quran-Versen fordert Allah den Propheten auf, seine Kleidung zu reinigen, was im übertragenen Sinne bedeutet, dass er ein reines, gepflegtes Erscheinungsbild abgeben soll. Ein praktizierender Muslim oder eine praktizierende Muslimin ist deshalb besorgt, das Innere und Äussere reinzuhalten.

Physische Reinheit

Zur physischen Reinheit gehört in erster Linie die Sauberkeit des Körpers und der Kleidung. So soll zum Beispiel nicht mit Kleidung, die mit Blut, Urin oder ähnlichem beschmutzt ist, gebetet werden. Ebenso muss die Umgebung sauber gehalten werden. Der Grund, warum die meisten Muslim:innen mit einem Gebetsteppich beten, ist unter anderem die Sauberkeit. Der Gebetsteppich wird nur für das Gebet verwendet und dann aufgeräumt, wohingegen ein normaler Wohnzimmerteppich den ganzen Tag durch betreten und womöglich auch verschmutzt werden kann. 

Reinheit im Islam ist jedoch nicht nur auf die Absenz von Dreck oder ähnlichem eingeschränkt. Zum Bild eines guten Muslims gehört auch das Kürzen der Fingernägel oder die Gepflegtheit der Haare und des Barts. Hierzu gehört nicht nur die Gesichts-, sondern auch die allgemeine Körperbehaarung, beispielsweise im Intimbereich. Da beim Gebet viele Menschen zusammenkommen, ist es ebenfalls wichtig, dass man gut riecht. Viele Muslime tragen, bevor sie zum Beispiel in die Moschee kommen, Parfüm auf oder haben immer eine kleine Flasche dabei.

Rituelle Waschungen

Vor dem Gebet verrichten Muslime und Musliminnen das sogenannte «Wudu», ein Ritual, bei dem die Hände, Füsse, Mund, Nase und Arme gewaschen werden. Damit erlangt man einen Status der Sauberkeit. Dieser wird durch Urinieren, Erbrechen oder starkes Bluten gebrochen. 

Im Zeitalter der Geburt des Islams war Wasser allerdings nicht immer und nicht für alle zugänglich. Deshalb ist es in diesen besonderen Umständen auch erlaubt, die Waschung symbolisch mit Sand oder sehr trockener Erde zu verrichten. Es ist aus mittelalterlicher Zeit bekannt, dass damals im Freien Teller und ähnliche Utensilien mit Sand gereinigt wurden. So ist es im Islam auch erlaubt, in der Absenz von Wasser Sand zur körperlichen Reinigung zu verwenden. 

In ähnlicher Weise kann man, wenn man unter Zeitdruck steht oder das Ausziehen der Socken nicht möglich oder nicht angebracht ist (wie zum Beispiel im WC eines Flughafens), die Schuhe oder die Socken lediglich mit Wasser benetzen. Dies sind jedoch Ausnahmefälle; wenn die Möglichkeit besteht, sollte das «Wudu» stets mit Wasser und gründlich durchgeführt werden. 

Wo beim «Wudu» nur die am meisten entblössten Körperteile gewaschen werden, wird beim «Ghusl» der gesamte Körper gewaschen.

Es gibt allerdings eine weitere Stufe der Körperwaschung, die sich «Ghusl» nennt. Dies ist im Gegensatz zum «Wudu» eine rituelle Ganzkörperwaschung und muss in speziellen Situationen durchgeführt werden. Für Manner gehört hierzu die Ejakulation und für Frauen das Ende des Menstruationszyklus. Dies rührt daher, dass der Körper in diesen Situationen erregt ist und dadurch Schweiss und besondere Körpergerüche aussondert. Deshalb sollte dann die rituelle Ganzkörperwaschung vollzogen werden. Da sich der Körper durch die Berührung und Waschung mit Wasser entspannt und beruhigt, hat dies auch einen spirituellen Aspekt.  Es ist empfohlen, jedoch nicht Pflicht, auch vor besonderen Anlässen, wie beispielsweise dem Hadsch (Pilgerfahrt) oder dem ‘Eid-Gebet (Festgebet), «Ghusl» zu verrichten. 

Wo beim «Wudu» nur die am meisten entblössten Körperteile gewaschen werden, wird beim «Ghusl» der gesamte Körper gewaschen. Aus diesem Grund verrichten die meisten Muslime heutzutage das «Ghusl» in der Dusche. 

Menstruation und Reinheit

In vielen islamisch geprägten Kulturen gilt die Ansicht, dass Frauen während der Menstruation in einem «unreinen» Zustand sind. Diese Ansicht hat aber keine Basis im Quran, sondern wurde durch den Einfluss von verschiedenen Kulturen als religiöse Tatsache bestärkt. Obwohl Blut an sich rituell unrein ist, bedeutet das nicht, dass eine blutende Person insgesamt unrein ist. Von diesem Gedanken gilt es abzukommen. Je mehr Frauen den Islam kennenlernen und eine prominentere Rolle in Interpretationen einnehmen, desto mehr wird diese falsche Ansicht und andere ähnliche Ansichten an Stärke verlieren.  

© rudi_suardi/iStock

Spirituelle Reinheit

Wie bei den meisten Religionen ist die Reinheit der Seele und des Gewissens im Islam auch sehr wichtig. Zur spirituellen Reinheit tragen die tagtäglichen, gutherzigen Aktionen eines Menschen bei. Zum Beispiel das Gebet, so sagte der Prophet Muhammad (Friede sei mit ihm): «Stellt euch vor, jemand von euch hätte vor seiner Haustür einen Fluss, in dem er fünfmal am Tag baden würde; würde dann etwas von seinem Schmutz an ihm zurückbleiben?» Die Leute antworteten: «Nichts von seinem Schmutz würde an ihm zurückbleiben.» Der Prophet sagte: «Genauso ist es mit den fünf Gebeten, durch die Allah die Sünden tilgt.» (Sahih Al-Bukhari, Hadith Nr.505)

Beim Hadsch, der Pilgerfahrt nach Mekka, spielt die körperliche und spirituelle Reinheit eine zentrale Rolle.

Auch die Verrichtung der anderen Säulen des Islams tragen zur spirituellen Reinheit bei. So reinigt man sich mit der Schahada, dem islamischen Glaubensbekenntnis, von Ungläubigkeit und Mehrgötterei. Ein weiteres Beispiel ist das Zakat, die jährliche Pflichtabgabe an Arme und Bedürftige, mit der man das eigene Vermögen in den eigenen Augen reinigt und dadurch die eigene Habgier kontrolliert.

Das Fasten spielt ebenfalls eine wichtige Rolle in der spirituellen Reinheit. Nicht nur ist es bereits in medizinischen Kreisen akzeptiert, dass gewisse Formen des Fastens dem Körper und den Verdauungsorganen guttun kann, sondern es wird ebenfalls unter Psychologen in hohem Ansehen gehalten. Eine Studie zeigte auf, dass das Fasten die Wachsamkeit, die Stimmung und subjektive Gefühle des eigenen Wohlbefindens erhöhen kann und somit einige Symptome von Depression verbessert. 

Beim Hadsch, die Pilgerfahrt nach Mekka, spielt die körperliche und spirituelle Reinheit eine zentrale Rolle. Für den Hadsch reinigt man den Körper gründlich und kleidet sich in sauberen schlichten Stoffteilen; der Fakt, dass während des Hadsch alle dasselbe tragen, trägt auch dazu bei, das eigene Ego unter Kontrolle zu halten. Man reinigt sich so gewissermassen von der eigenen Überheblichkeit. 

Fazit ist, dass für Muslim:innen heutzutage die Reinheit eine zentrale Rolle spielt. Dies wird in mehreren Versen im Quran erwünscht und angeregt; so sagt Allah zum Beispiel im Kapitel 2, Vers 222 des Qurans: «[…] Wahrlich, Allah liebt diejenigen, die vom Bösen fernbleiben und sich selber rein halten.»


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Autor

  • Yasemin Duran

    Islamische Theologin, Religionspädagogin, Seelsorgerin, Mutter ||| Yasemin Duran ist islamische Theologin, Religionspädagogin und Seelsorgerin sowie Mutter von drei erwachsenen Kindern und Teil des Redaktionsteams von religion.ch.

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