Sabrina Müller

Religiöse Influencer:innen – Digitale Religion verändert Religionsgemeinschaften

Ist Ihnen Gott schon mal auf Instagram begegnet? Religiöse Influencer:innen schaffen in den sozialen Medien neue Formen religiöser Kommunikation. Online gestalten und teilen sie ihren Glauben zusammen mit einer weltweiten Community. Durch ihre Reichweite werden auch traditionelle religiöse Autoritäten in Frage gestellt und religiöse Deutungsmacht muss neu verhandelt werden.

In den letzten Jahren hat sich eine tiefgreifende Veränderung innerhalb des religiösen Gefüges vollzogen. Diese beeinflusst nicht nur die Art und Weise, wie Menschen ihren Glauben praktizieren, sondern auch die Dynamik der religiösen Gemeinschaften selbst. Dieser Wandel manifestiert sich u.a. in einer zunehmenden Präsenz von religiösen Influencer:innen in den Weiten des Digitalen. Von Instagram bis hin zu YouTube prägen diese Akteur:innen die religiöse Landschaft und verändern die Art und Weise, wie Glaubensinhalte konsumiert, kommuniziert und geteilt werden. 

Was sind religiöse Influencer:innen?

Religiöse Influencer:innen sind Personen, die in den sozialen Medien, insbesondere auf Plattformen wie Instagram, YouTube oder TikTok, aktiv sind und religiöse Inhalte thematisieren. Sie nutzen ihre Online-Präsenz, um spirituelle Botschaften, Glaubensüberzeugungen und religiöse Erfahrungen mit ihrer Zielgruppe zu teilen. So spielen sie eine zentrale Rolle in der Verbreitung von religiösen Inhalten in digitalen Medien. Damit bieten sie eine moderne Plattform, um Glaubensgemeinschaften aufzubauen und spirituelle Diskussionen zu fördern. Die meisten religiösen Influencer:innen zählen zu den sogenannten Micro- (Accounts ab mehreren 1’000–25’000 Follower:innen) oder Power-Middle-Class-Influencer:innen (25’000–100’000 Follower:innen). Es ist allerdings nicht eindeutig, ab welcher Follower:innenzahl ein Account als Micro-Influencing-Account zählen sollte.

Die Vielzahl der Begriffe spiegelt das gesamte theologische und konfessionelle Spektrum wider, das die religiöse und kirchliche Praxis kennzeichnet.

Die Bandbreite der religiösen Influencer:innen ist vielfältig. Dies spiegelt sich auch in unterschiedlichen Bezeichnungen des Phänomens wider: Mal werden sie als Christfluencer:innen bezeichnet, dann als Sinnfluencer:innen, Glaubensinfluencer:innen oder als kirchliche/religiöse Influencer:innen. In der Medienpraxis ist erkennbar, dass freikirchlich-konservative Influencer:innen wie Jasmin Neubauer (@liebezurbibel) oder Leo Bigger (@leobigger) tendenziell als Christfluencer:innen und Mitglieder des sogenannten YEET-Netzwerks der Evangelischen Kirche in Deutschland eher als Sinnfluencer:innen bezeichnet werden. Die Vielzahl der Begriffe spiegelt das gesamte theologische und konfessionelle Spektrum wider, das die religiöse und kirchliche Praxis kennzeichnet.

Besonders in den evangelischen und methodistischen Kirchen in der Schweiz, in Deutschland und Österreich haben religiöse Influencer:innen erheblich an Bedeutung gewonnen. Diese Gemeinschaften stellten in den letzten Jahren vielerorts Gelder für die kirchliche Arbeit in den Sozialen Medien bereit und haben digitale Pfarrstellen geschaffen.  

Foto: SDI Productions/iStock

Medienpraxis und Plattformen

Die Medienpraxis des religiösen Influencings manifestiert sich in vielfältiger Weise auf den diversen sozialen Medienplattformen. Insbesondere Instagram, YouTube und TikTok dienen als Bühnen für die Verbreitung von Glaubensinhalten.

Instagram bietet eine visuelle Plattform, auf der religiöse Influencer:innen ihre Botschaften durch ästhetisch ansprechende Bilder, inspirierende Zitate oder persönliche Einblicke in Stories und Reels teilen. YouTube ermöglicht es den Akteur:innen, tiefergehende theologische Diskussionen, Predigten oder spirituelle Anleitungen zu präsentieren. TikTok hingegen bringt eine kreative und kurzformatige Dynamik in den religiösen Diskurs ein. Nutzer:innen können hier kompakte, aber wirkungsvolle Botschaften vermitteln. 

Zwei Beispiele aus der Schweiz

Sarah Staub (@die.fromme.haeretikerin) aus der evangelisch-methodistischen Kirche Schweiz kann folgendermassen beschrieben werden: «Sarah ist die erste Online-Pfarrerin der evangelisch-methodistischen Kirche Schweiz und zweifelt mit ihrem Zweifelclub (überall wo’s Podcasts gibt) über Glaube, Gott, Christentum, die Bibel und das Menschsein ganz allgemein. Daneben ist sie vor allem online als die fromme Häretikerin anzutreffen – vor allem auf Instagram. Als pansexuelle Frau lernt sie selbst nie aus und möchte von Herzen sicherere Räume für alle schaffen. Sarah bietet Seelsorge in der Zentral- und Innerschweiz an.» 

Das RefLab ist ein digitales Lagerfeuer für spirituelle Nomad:innen und Entdecker:innen.

Das RefLab der reformierten Landeskirche Zürich beschreibt sich selbst so: «Das RefLab ist ein digitales Lagerfeuer für spirituelle Nomad:innen und Entdecker:innen. Wir lernen, diskutieren, zweifeln, und hoffen zusammen, als Community. In Blogbeiträgen, Podcasts und Videos gehen wir dem nach, was uns inspiriert, wichtig und heilig ist.» . Das RefLab teilt seine Inhalte über Instagram, YouTube, Facebook und X, aber auch über die individuellen Accounts der dort arbeitenden religiösen Influencer:innen wie Evelyne Baumberger (@evelyne_baum) auf Instagram oder Manuel Schmid auf Facebook.

Diese Beispiele illustrieren, dass religiöse Influencer:innen verschiedene Plattformen nutzen, um ihre Botschaften zu vermitteln und ein vielfältiges Publikum zu erreichen. Ihre Präsenz in den sozialen Medien trägt dazu bei, den Glaubensdiskurs zu erweitern und spirituelle Inhalte auf innovative Weise zu verbreiten.

Digitale Religion: was bringt die Zukunft?

Die Zukunft des religiösen Influencings verspricht eine Weiterentwicklung, die weitreichende Auswirkungen auf religiöse Gemeinschaften haben könnte. In Anbetracht des bisherigen Trends und unter Berücksichtigung der ständig wachsenden digitalen Landschaft lassen sich einige mögliche Entwicklungen abzeichnen.

1. Fortschreitende Digitalisierung von Gemeinschaften: Religiöse Influencer:innen tragen dazu bei, die Digitalisierung von Gemeinschaften voranzutreiben, indem sie Online-Plattformen schaffen, die den Austausch von Glaubenserfahrungen und spirituellen Diskussionen fördern. In Zukunft könnten daher Live-Formate, virtuelle Treffen und Gruppendiskussionen sowie digitale religiöse Gemeinschaften an Bedeutung gewinnen.

2. Individualisierung des Glaubens: Indem religiöse Influencer:innen zielgruppenspezifische Inhalte bereitstellen, reagieren sie auf personalisierte Bedürfnisse und tragen so erheblich zu einer individuellen Ausgestaltung des Glaubens bei. Dies wird wohl zu einer weiteren Vervielfältigung von Glaubenspraktiken führen.

3. Globalisierung von Glaubensgemeinschaften: Religiöses Influencing ist nicht an regionale oder nationale Grenzen gebunden. Es kann so zu globalen religiösen Diskursen und einem interkulturellen Austausch beitragen. 

4. Herausforderungen und Chancen: Mit der zunehmenden Bedeutung des religiösen Influencings kommen neue theologische Herausforderungen und ethische Fragestellungen auf.  In Zukunft wird es erforderlich sein, klare Standards für ethisches Verhalten im digitalen Raum zu entwickeln und religiöse Leitungs- und Machtstrukturen zu überdenken, um potenzielle Konflikte zu bewältigen.

Insgesamt lässt sich absehen, dass religiöses Influencing zukünftig weiterhin Einfluss auf die religiöse Landschaft haben wird. Die Art und Weise, wie Menschen ihren Glauben leben, teilen und erleben, wird durch diese digitalen Einflüsse geformt werden, was sowohl Herausforderungen als auch Chancen für religiöse Gemeinschaften mit sich bringt.


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Autor

  • Sabrina Müller

    Professorin für Praktische Theologie, Universität Bonn ||| Sabrina Müller ist Professorin für Praktische Theologie an der Universität Bonn und Projektleiterin im Universitären Forschungsschwerpunkt «Digital Religion(s)» an der Universität Zürich

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