Grenzen zwischen Expert:innen und Laien verschwimmen im Durcheinander der Coronapandemie zunehmend. Wem soll man noch glauben? Die Autorin zeigt an zwei Erlebnisberichten von Menschen, die an Verschwörungserzählungen glaubten, woran sich eine Verschwörungstheorie erkennen lässt. 

In der aktuellen Coronapandemie rückt die Beziehung zwischen dem Wissenschaftssystem und der Politik immer weiter ins Zentrum des (öffentlichen) Interesses. Wissenschaftliche Expertise wird nicht nur als Orientierung und Absicherung politischen Handelns und Entscheidens benötigt, sondern beantwortet ebenso Fragen, welche die Bevölkerung in solchen Krisenzeiten besonders stark beschäftigen. Gleichzeitig scheint die Validität wissenschaftlicher Ergebnisse und eine evidenzbasierte Politik die Hauptsorge sich momentan formierender Gegenbewegungen darzustellen. Solche Gruppierungen basieren dabei auf unterschiedlichen Weltanschauungen, die nicht selten (aber auch nicht zwingend) politischen Extremismus und Verschwörungstheorien beinhalten: Dass Bill Gates für eine Dauerüberwachung aller Menschen bei jeder Impfung gleichzeitig einen Mikrochip unter die Haut setzen lässt oder dass das Corona Virus durch die neuen 5G-Sendemasten verbreitet wird, sind dabei nur zwei von unzähligen Beispielen solcher Narrative. 

Wissenschaft vs. Verschwörungstheorien – zwei sich konkurrierende Weltbilder?

Dass die beiden Konzepte voneinander zu trennen sind, zeigt sich bereits daran, dass sich viele Autor:innen vom Begriff «Verschwörungstheorien» distanzieren und stattdessen Wörter wie «Verschwörungsmythen» oder «Verschwörungserzählungen» verwenden. Schliesslich basieren Theorien auf Fakten, die sich wissenschaftlich überprüfen und bei einer Widerlegung anpassen oder verwerfen lassen. Stellt sich nun die Frage, wie man erkennen kann, ob es sich bei einer Aussage um eine bzw. einen Teil einer Verschwörungstheorie, oder aber um einen wissenschaftlich revidierten, glaubhaften Sachverhalt handelt. Es gibt zwar keine offizielle oder wissenschaftlich anerkannte Definition des Begriffes «Verschwörungstheorie», jedoch können bestimmte, von den allermeisten Fachpersonen genannte Merkmale als Orientierungshilfe verwendet werden (siehe «Liste mit Merkmalen einer Verschwörungstheorie»). 

Im Folgenden werden einige dieser Indizien anhand der Geschichten von Emma^[1] und Dominik veranschaulicht. Beide haben sich zeitweise mit in der Schweiz bekannten religiös-spirituellen Gruppierungen und deren verschwörungstheoretisch geprägten Glaubensinhalten identifiziert, bevor sie sich aus unterschiedlichen Beweggründen wieder davon distanziert haben. 

Dominik – zum Aufklärer berufen?

In seinem letzten Jahr vor der Matura sah sich Dominik mit einem Gymnasiumswechsel konfrontiert, da seine Mutter zusammen mit der Familie arbeitsbedingt in einen anderen Kanton ziehen musste. Die Beziehung zu seiner damaligen Freundin überstand den Ortswechsel und die damit verbundene Distanz nicht und an der neuen Schule fasste Dominik nicht so richtig Fuss, so dass er mehr im Internet als mit Kolleginnen und Kollegen unterwegs war.

Ist es nicht so, dass es um diese Welt immer schlechter steht?

Da ihn Rätsel und Geheimnisse faszinierten, suchte er online nach Informationen zu Geheimgesellschaften wie beispielsweise jene der Illuminaten, die 1776 als Alternative zur Freimaurerei in Bayern begründet wurde. Im Zuge seiner Recherchen stiess Dominik auf die von der OCG^[2] gegründete Internetplattform «Klagemauer.tv», kurz «kla.tv», deren Ziel eigenen Angaben zufolge die Bereitstellung «alternativer Nachrichten» ist. Die Plattform war übervoll mit professionell gemachten Videos zu geheimen Herrscher:innen der Welt und ihrem Wirken in unserer Zeit. Es soll sich dabei um einen elitären Bund von Personen handeln, die die Fäden von Politik, Wirtschaft und Wissenschaft weltweit in den Händen halten und damit hinter (fast) allen aktuellen Ereignissen und Entwicklungen stehen. Diese Gruppe von Verschwörer:innen sei satanisch orientiert und würde das Böse auf der Erde fördern wollen. Dominik fand dieses Weltbild recht einleuchtend. Ist es nicht so, dass es um diese Welt immer schlechter steht? Und ist nicht auch in seinem Leben viel Übles passiert – die Scheidung der Eltern, der erzwungene Umzug, das Ende der Beziehung mit der Freundin? Könnte das nicht darauf hindeuten, dass er zum «Aufklärer» berufen ist? 

Sananda und das Leid der Indigo-Seelen

Emmas Leben entpuppte sich als nicht enden wollende Abfolge von Pechsträhnen: Die Eltern bevorzugten ihren jüngeren Bruder, zumindest kam es ihr so vor, und in Kindergarten und Schule waren immer alle anderen beliebter. In der Schule fiel Emma nicht gross auf, auch nicht mit ihren durchschnittlichen Leistungen. Obwohl sie bereits auf die Matura zuging, tat sich auch in Sachen Liebe nichts. Zu allem dazu erkrankte der Bruder an Krebs und starb nach einem halben Jahr Bestrahlung und Chemotherapie an einer Infizierung mit dem Coronavirus. Über Wochen hinweg war die Familie in tiefster Trauer.

Als Sananda, eine Reinkarnation Jesus Christus, sei er dazu bestimmt, die auf der Erde verstreut lebenden «göttlichen Seelen» heim in die «spirituelle Sphäre» zu führen.

Für Emma war sofort klar, dass da etwas nicht stimmten konnte. Warum passierten immer ihr solche Dinge? Auf der Suche nach Antworten stiess sie auf die Website von Oliver Brecht alias Geistheiler Sananda. Brecht war acht Jahre lang Polizist, bevor er einen eher erfolglosen Berufswechsel in den Finanzbereich vollzog – mit mehreren Finanzprojekten erlitt er Schiffbruch und war gar eine Zeitlang auf Sozialhilfe angewiesen. Mehr und mehr schien es ihm so, als ob er permanent von Menschen verfolgt und geschädigt werden würde. Anfang des Jahres 2015 dann endlich die Bestätigung in Form einer Offenbarung: Als Sananda, eine Reinkarnation Jesus Christus, sei er dazu bestimmt, die auf der Erde verstreut lebenden «göttlichen Seelen» heim in die «spirituelle Sphäre» zu führen. Auch sei er dazu begabt, andere Menschen mit seiner Energie geistig zu heilen – für den Prozess müssen die entsprechenden Personen nicht einmal anwesend sein. Seit der Offenbarung ist Brecht nun als Geistheiler und Bote Gottes tätig und will bis heute 200`000 Menschen geheilt haben. Auf der Website von Sananda konnte Emma lesen, dass Menschen mit viel Pech im Leben zu den «göttlichen Indigo-Seelen» gehören, deren Bestimmung es ist, sich Brecht als Geistheiler anzuschliessen und mit seiner Hilfe in die «geistige Sphäre» zurückzukehren. Dass Ungemach im Leben dieser Indigo-Seelen rühre von ihren Feinden her, von Sananda «Reptiloiden» oder «Reptos» genannt.

In seinem Telegramkanal berichtet Brecht regelmässig, wie er immer wieder auf der Strasse angepöbelt und von rauchenden Reptos mit Zigaretten- und Cannabisrauch belästigt worden sei. Emma fühlte sich von diesen Erklärungen angesprochen: Könnten ihr Pech und die erlittenen Schicksalsschläge Zeichen einer besonderen Berufung sein? Per Kontaktformular wandte sie sich an den Geistheiler und beauftragte ihn mit einer dreimonatigen Behandlung. Inbegriffen ist jeweils die Heilung an drei Personen sowie die Hilfe an bis zu drei Seelen verstorbener Personen auf ihrem Weg ins Licht, wofür Emma nebst sich selbst ihre Eltern und ihren verstorbenen Bruder nannte.

Dominik und Emma haben Erklärungen, Hoffnung und Trost in zwei ganz unterschiedlichen Weltbildern gefunden. Und doch: Analysiert man ihre Geschichten vor dem Hintergrund möglicher Merkmale von Verschwörungstheorien, können in beiden Fällen solche Kennzeichen identifiziert werden. 

Die geheime Gruppe von Verschwörer:innen 

Laut den Verfassenden gibt es eine im Geheimen operierende Gruppe, die aus niedrigen Beweggründen und für den eigenen Vorteil versucht, eine Institution, ein Land oder die ganze Welt(-bevölkerung) zu kontrollieren, beeinflussen oder zu zerstören. 

Die Unterteilung in eine böse Gruppe von Verschwörer:innen, die eigentlich gute Menschheit ausnutzt und hinters Licht führt, lässt sich bei der OCG sowie auch bei Sananda als Teil der umfassenden Weltanschauung finden: Die OCG warnt vor den Verschwörer:innen, die, um selbst an der Macht zu bleiben, die Menschen ganz bewusst in Angst und Schrecken versetzen, und Brecht ist permanent auf der Hut vor den feindlichen Reptiloiden, die als Ursache aller bösen Dinge ausgemacht werden können. 

Der Universalzusammenhang 

Die Theorie suggeriert, dass es keine Zufälle gibt und alles zusammenhängt. Aktuelle Ereignisse, Entwicklungen und Phänomene werden als Folgen des so beabsichtigten Handelns der Verschwörungsgruppe verstanden.

Der in Verschwörungstheorien zentrale Dualismus Gut-Böse nimmt die Funktion von Scheuklappen ein, um jegliche Geschehnisse stur vor dem Hintergrund des eigenen Weltverständnisses einordnen zu können.

Der Glaube an Verschwörungstheorien kann sinnstiftend sein und die Welt ordnen. Für Emma und Dominik waren die neu gewonnenen Weltbilder eine Strategie, um mit privaten und gesellschaftlichen Krisensituationen umgehen und gleichzeitig das Gefühl von Kontrolle wahren zu können. Denn ein einschneidendes Ereignis in den Kontext zu setzen, reduziert die Bedeutung von Zufällen, zeigt (angebliche) Muster auf und macht damit das Weltgeschehen insgesamt greifbarer. Der in Verschwörungstheorien zentrale Dualismus Gut-Böse nimmt die Funktion von Scheuklappen ein, um jegliche Geschehnisse stur vor dem Hintergrund des eigenen Weltverständnisses einordnen zu können. So identifiziert die OCG nicht nur einen geheimen Bund von Verschwörer:innen, sondern erklärt im Zuge dessen auch, dass dieser zum Zweck der Panikmache Meldungen von Terroranschlägen und vom Klimawandel frei erfindet. Wirklich Gefährliches verharmlose die Gruppe wiederum, so etwa die Flüchtlingskrise, die zu einem Austausch der Bevölkerung Europas führen werde, oder die Impfung, die für Tausende von Todesfällen verantwortlich sein soll. 

An dieser Stelle kann eine Verbindung zum Merkmal des Elitarismus gezogen werden.

Elitarismus 

Verschwörungsgläubige empfinden sich als die wissende Elite, die sich über die «Schlafschafe» erhebt. Sie besitzen scheinbare Expertise zum Thema, haben jedoch keine fundierte Ausbildung in jenem Bereich.

Eine angebliche Verschwörung aufgedeckt und somit die allem zugrundeliegende Wahrheit erkannt zu haben, ist für viele Verschwörungstheoretiker:innen ein entscheidendes Alleinstellungsmerkmal gegenüber Menschen, die sich mit der vertretenen Ideologie nicht identifizieren – auch wenn dabei der Ursprung des Wissens in vielen Fällen unbekannt oder spekulativ bleibt und es sich dabei um Aussagen handelt, die von unabhängigen Faktencheck-Websites und wissenschaftlich gewonnenen Erkenntnissen entkräftet wurden. 

Gefährliche Gesundheitstipps 

Die wissenschaftsbasierte Medizin wird abgelehnt, stattdessen werden z.T. für die eigene Gesundheit problematische Alternativen vertreten.

Vielfach entpuppen sich alternative Behandlungsmethoden, wie sie Geistheiler Sananda anbietet, für die Patient:innen als Gefahr oder enden gar tödlich.

Vielfach entpuppen sich alternative Behandlungsmethoden, wie sie Geistheiler Sananda anbietet, für die Patient:innen als Gefahr oder enden gar tödlich. Stossen die Ärzt:innen bei der Behandlung einer ernstzunehmenden Erkrankung an ihre Grenzen, wenden sich nicht wenige Leidende auf der Suche nach einer Alternative Geistheilern zu. Der von ihnen angeordnete Verzicht auf lebenswichtige Therapien der Schulmedizin zusammen mit dem Verbot zur Einnahme von Medikamenten, wird dann zu einer besonders gefährlichen Kombination. 

Besonders in Zeiten mit boomenden sozialen Medien ist die Frage, anhand welcher Kriterien Verschwörungstheorien ausgemacht werden können, von besonderer Relevanz. Jeder und jede kann sich einen Account zulegen und Inhalte verfassen, sodass die Grenze zwischen Expert:innen und Laien zunehmend verschwimmt. Doch trotz fehlender universeller Definition gibt es Indizien, die auf solche Inhalte hinweisen. Und auch Faktencheck-Websites können bei allfälligen Zweifeln Klarheit schaffen. 

Zu Relinfo: Als Informationsstelle rund um die Themen Religionen, Kirchen und Sekten beobachtet und bespricht Relinfo die religiöse Gegenwart der Deutschschweiz und berät in allen Fragen, die sich im Zusammenleben mit kontroversen Glaubenshaltungen ergeben. Neue religiöse und weltanschauliche Organisationen und Bewegungen werden recherchiert und in ihrem Informationsblatt und auf ihrer Website dokumentiert. 
Asia Petrino ist Studentin der Religionswissenschaft und Soziologie an der Universität Luzern mit Interessensschwerpunkt auf neuen religiösen Bewegungen und Verschwörungstheorien. Neben dem Studium arbeitet sie seit 2021 bei Relinfo. 

Liste mit Merkmalen einer Verschwörungstheorie:

https://www.relinfo.ch/lexikon/themen/verschwoerungstheorien/

Faktencheck Websites: 

https://www.zdf.de/nachrichten/thema/zdfheutecheck-faktencheck-recherche-100.html

https://www.keystone-sda.ch/factchecking

https://correctiv.org/faktencheck/

Lesetipp:

Butter, Michael (2018): Nichts ist, wie es scheint. Über Verschwörungstheorien, Berlin: Suhrkamp Verlag

^[1] Namen im Text wurden geändert

^[2] Die Organische Christus-Generation (OCG) ist eine in der Schweiz als Sekte eingestufte Organisation, die 1999 von Ivo Sasek gegründet wurde und zwischen 2`000 und 3`000 Mitglieder zählt. Sitz der Organisation befindet sich in Walzenhausen, Appenzell Ausserrhoden, von wo aus Sasek und sein Team ihre zahlreichen Programme und Medienkanäle steuern.

Weitere Artikel