Diversität – auch in Trauer und Tod

Obwohl die Zahl der Menschen ohne Religionszugehörigkeit in der Schweiz stetig wächst und laut Bundesamt für Statistik 2020 bei 31% lag, glaubt fast die Hälfte der Schweizer Bevölkerung an ein Leben nach dem Tod. Der Glaube an die Wiedergeburt ist mit 19% ein weniger weit verbreitetes Modell. Fast genauso viele sind überzeugt, dass eine Kontaktaufnahme mit den Geistern der Verstorbenen möglich ist.

Todes- und Jenseitsvorstellungen sind nur bis zu einem gewissen Punkt an Religionszugehörigkeiten gebunden. Denn Religiosität und Spiritualität werden immer individueller in der Schweizer Gesellschaft. Viele Menschen pflücken sich Elemente aus verschiedenen Religionen und Weltanschauungen zusammen und «basteln» ihre eigenen Weltbilder selbständig ohne Hilfe von religiösen Autoritäten. Die vertiefte Auseinandersetzung mit der Theologie einer Religion ist dabei wahrscheinlich eher selten. Diese sogenannten «Sinnbastler:innen» rechnen sich teilweise religiösen Traditionen zu, sehen sich also zum Beispiel als christlich oder muslimisch, manchmal empfinden sie sich aber auch als nicht-religiös. Die Vielfalt an Todes- und Jenseitsvorstellungen hat also durch die Individualisierung, aber auch durch die Pluralisierung und die Säkularisierung zugenommen.

Die Vielfalt betrifft mehrere Ebenen: Es gibt Unterschiede zwischen den Theologien in den Religionen und der gelebten Realität, innerhalb von Religionsgemeinschaften von Person zu Person, von Ort zu Ort und über die Zeit, zwischen Religionsgemeinschaften, und so weiter. Anne Beutter erklärt in einem Artikel zu religiöser Diversität, welche Formen von religiöser Diversität immer mitgedacht werden müssen. Es kann dementsprechend eigentlich nicht gesagt werden, dass «Christ:innen» an ein Paradies oder «Hindus» an die Wiedergeburt oder das Ausscheiden aus dem ewigen Kreislauf der Wiedergeburt glauben. Das sind vielleicht die theologischen Überlegungen, die sich eine religiöse Elite macht, aber diese sind bei religiösen Menschen selten in ihrer «Reinform» anzutreffen.

Himmel und Hölle stehen für die individuell gläubige Person vielleicht einfach für eine Hoffnung auf Konsequenzen für das Handeln in diesem Leben. Trauernde finden zum Beispiel Trost in der Vorstellung, der verstorbene Mensch kehre zu Gott zurück und sähe von nun an friedlich vom Himmel herab. Es glauben laut der Europäischen Wertestudie von 2008 in der Schweiz zwar 20% der Menschen an die Hölle und 43% an den Himmel. Das muss jedoch nicht heissen, dass damit der Glaube an eine Hölle mit Teufel und brennenden Öfen oder an einen Himmel mit singenden Engelschören verbunden ist. Wie sich Personen Konsequenzen ausmalen, ist sehr individuell. Mit der grössten Wahrscheinlichkeit weichen die Vorstellungen der Menschen in der Realität von den in den Religionen transportierten Vorstellungen ab. Eine genaue und detaillierte Erhebung zu Vorstellungen zum Tod fehlt in der Schweiz jedoch.

Jenseitsvorstellungen: Das Leben nach dem Tod

In vielen Religionen ist der Tod nicht das Ende. Im Gegenteil – der Tod als Erlösung vom Leben und das jenseitige Leben erscheint absolut zentral. Rifa’at Lenzin schreibt, dass die Originalität des Geistes, seine Unabhängigkeit vom Körper und sein Weiterleben nach dem Tod zu den bedeutendsten Themen der islamischen Theologie gehöre. Das Leben beginne aus der Hand Gottes und der Weg führe auch zu ihm zurück, weshalb Muslim:innen im Bewusstsein ihrer eigenen Sterblichkeit leben sollten.

Im Hinduismus als auch im Buddhismus gibt es Vorstellungen, die mit Himmels- und Höllevorstellungen vergleichbar sind. In einigen buddhistischen Strömungen glaubt man an das Reine Land, eine Himmelswelt im Westen. Im Rad der Existenzen sind auch Höllenwesen zu sehen. Wie im Hinduismus ist jedoch nicht unbedingt die Wiedergeburt das Ziel, wie dies häufig falsch verstanden wird, sondern diesen Kreislauf zu durchbrechen und Nirvana oder Moksha zu erreichen.

Vithushan Yogarajah schreibt über die verschiedenen Wege, um den Kreislauf der Wiedergeburt zu durchbrechen. Einer dieser Wege sei das Karma Yoga: «Um dem Kreislauf von Leben und Tod zu entkommen und Erlösung zu erreichen, empfehlen die Schriften Karma Yoga. Das ist der Weg, jede Arbeit, jedes Tun völlig ohne innere Bindung zu verrichten, ohne Blick auf die Früchte des Handelns. Auf diese Weise soll kein Karma mehr entstehen.» Erlösung heisst hier Moksha – das Ausbrechen aus dem Rad der Wiedergeburt.

Jenseits in der Nicht-Religiosität: Ein Teil des grossen Ganzen

Auch nicht-religiöse Menschen ordnen den Tod in ihr Weltbild ein. Reto Bühler, bekennender Atheist und geprägt von einem naturalistischen Weltbild, beschreibt seine Ansichten folgendermassen: «Vielen macht das Angst – mir nicht. Dieses Vergehen im Grossen, das Weitergeben von Millionen Jahren alten Molekülen, Atomen … – das beruhigt mich. Die Unsterblichkeit erlangen durch die Abgabe von Energie, die wir während unseres Lebens angehäuft haben, in dem wir Nahrung verstoffwechselt haben, mit dem einzigen Ziel, die Körpertemperatur auf knapp 37 Grad Celsius zu halten. Und diese Energie wird nach unserem Tod wieder im grossen Ganzen aufgehen. Diesen Lebenszyklus kann ich akzeptieren.»

Auch wenn Reto Bühler nicht an eine Weiterexistenz einer Seele glaubt, scheinen seine Todesvorstellungen doch auf den Glauben an eine Verbundenheit von Mensch und Umwelt hinzuweisen. Für Reto Bühler ist nicht die geistige Welt, das Unsichtbare, das Bindeglied zwischen den Existenzen, sondern die Materialität, die Atome der Elemente, aus denen alles besteht und die teilweise schon Millionen von Jahren alt sind. So entschwindet in seiner Vorstellung die Energie, die in den Molekülbindungen unserer Körper gebunden ist wieder in die Welt, ins grosse Ganze.

Nicht-Religiosität kann sehr verschiedene Gesichter haben. Personen, die sich als spirituell verstehen, empfinden sich häufig als nicht-religiös und finden für sich Inspiration für ihre Todesvorstellungen in unterschiedlichen Religionen und Kulturen. Auch die wissenschaftliche Beschreibung des Verwesungsprozesses kann Trost spenden, wie Britta Holdens Beitrag zu unserer Serie «Tod und Trauer» zeigt. Die Druidin und Ritualbegleiterin erzählt in ihrem Text vom Tod ihres Vaters: «Natürlich war ich traurig, er war viel zu früh gegangen und fehlte mir. Aber es erfüllte mich auch eine grosse Ruhe und Zuversicht. Er war ein Stück weitergezogen im ewigen Kreislauf des Werdens und Vergehens. Ein weiterer Übergang. Ein geheimnisvoller Moment, ein Mysterium, ähnlich einer Geburt. Alles entsteht auf wundersame Weise, wächst, erblüht, bringt Früchte hervor, zerfällt, vergeht und ermöglicht die Entstehung von Neuem. Ohne Tod kein Leben. Die christliche Beschreibung dieses Prozesses, ‹Asche zu Asche, Staub zu Staub› klingt etwas trostlos. ‹Knochen zu Dünger, Haut zu Kompost› wäre doch schöner.»

Bestattungsrituale in verschiedenen Kulturen: Bestattung in Feuer und Stein

Ist ein geliebter Mensch gestorben, steht in allen Religionen und selbstverständlich auch bei nicht-religiösen Menschen die Bestattung an. In den verschiedenen Kulturen haben sich unterschiedliche Bestattungsrituale, Konventionen und Rituale zur Trauer und dem Umgang mit einem Verlust ausgeprägt.

Nach dem Tod ist es im Islam oder auch im Judentum wichtig, dass die Beerdigung möglichst zeitnah stattfindet. Im Hinduismus werden die Toten verbrannt. Vithushan Yogarajah schreibt: «Drei Tage nach der Verbrennung werden die übrig gebliebene Asche und Knochenreste dann gemeinsam mit Blumen und Girlanden wieder dem Kreislauf der Natur zugeführt und deshalb in einem Fluss verstreut. Ist das nicht möglich, kann die Asche in der Erde vergraben werden.»

Auch in den meisten buddhistischen Traditionen werden die Verstorbenen verbrannt. Es seien aber auch Erdbestattungen möglich, erklärt die Meditationslehrerin Hildi Thalmann. Bestattungsrituale können sich jedoch auch verändern und lokalen Gegebenheiten anpassen. Im Westen würden deshalb Friedhöfe auch für Buddhist:innen immer wichtiger, vor allem seit es buddhistische Grabfelder gibt. So werde der Buddha-Garten im Bremgarten Friedhof in Bern rege besucht und Andenken, Blumen, Bilder und Räucherstäbchen vor die Buddha-Statue hingelegt, wie Hildi Thalmann ausführt.

Rolf Steinmann, Co-Leiter des Bestattungs- und Friedhofamtes in Zürich, stellt jedoch fest, dass sich die Bestattungskultur, trotz der gesellschaftlichen Veränderungen und der steigenden Zahl an Konfessionslosen, nur wenig verändert hat. Sie sei zwar in Bewegung, aber doch eher langsam. Er meint, man trage eben gewisse Vorstellungen vom Friedhof in sich, die dann auch weiter bestehen, wenn man die religiösen Hintergründe nicht mehr mittrage.

Trauerrituale aus aller Welt: Der Umgang mit dem Tod

Beerdigungen, Feuer- oder Flussbestattungen sind Rituale, die nach dem Tod eines Menschen eine sinnvolle Handlung ermöglichen. Sie gestatten nach einem Bruch, «etwas zu tun» und zu wissen, wie diese weiteren Handlungen aussehen könnten. Für viele Menschen spenden sie jedoch auch Trost in einer Zeit tiefer Trauer. Diese Rituale beinhalten nämlich auch einen sozialen Aspekt. Familien und Gemeinschaften kommen zusammen, um gemeinsam um die verstorbene Person zu trauern. So kann das Gefühl, zusammenzugehören, erneuert werden und es entsteht ein Gemeinschaftsgefühl, ein Gefühl, aufgehoben zu sein. Ausserdem geben diese Rituale den Gefühlen von Trauernden einen Raum, eine Zeit, in der sie zum Ausdruck kommen können. Diese Gefühle sollen, dürfen und müssen in manchen Ritualen zum Vorschein kommen.

Im Artikel «Abschied im Takt der Religion» beschreibt Uri Rothschild aus der jüdischen Gemeinde in Zürich, wie das Judentum die Zeit der Trauer einteilt und welche Rituale diese Zeit begleiten. Trauer wird so zum Beispiel in sichtbare Symbole überführt und damit auch anders greifbar gemacht. Nicht nur in der Zeit findet die Trauer damit ihren Platz, sondern auch im physischen Raum. Gefühle finden so Ausdruck und werden entsprechend kanalisiert. So beschreibt Uri Rothschild: «Vor der Beerdigung reissen die Angehörigen einen kleinen Riss in ihr Hemd; meist unterstützt von einem Gemeindemitglied oder einem Freund. Dies als Zeichen der Trauer und dafür, dass materielle Werte in den Hintergrund treten für den Moment. Der Brauch symbolisiert aber auch, dass in unserem Herzen ein Riss entstanden ist, den wir nie wieder ganz herstellen können.»

Im Islam werden die Verstorbenen vor der Bestattung von ihren Angehörigen gewaschen. Blerta Kamberi sieht in ihrer Aufgabe als muslimische Leichenwäscherin auch einen seelsorgerischen Aspekt. Sie begleitet die Trauernden in diesem Ritual, in dem die Hinterbliebenen auch Abschied nehmen können und der geliebten Person einen letzten guten Dienst erweisen dürfen. Sie begegnet bei der Leichenwaschung auch häufig Fragen von Trauernden wie beispielsweise: «Darf ich meiner Mutter eine Haarsträhne abschneiden und als Erinnerungsstück mitnehmen?» oder «Ist die Seele meiner Mutter hier bei uns? Sieht sie, wie ihre Leiche gewaschen wird? Kann sie uns hören? Empfindet sie noch Schmerz?».

Glaube ist keine Garantie für ein angstfreies Sterben

Ingo Bäcker ist katholischer Spitalseelsorger. In seinem Beruf begleitet er immer wieder Sterbende, junge und alte Menschen, die durch Krankheit oder Alter aus dem Leben gerissen werden. Nicht nur hat er bei ganz vielen Menschen erlebt, wie sie mit ihrem eigenen Tod oder dem ihrer Angehörigen umgehen, auch er musste eine Beziehung zum Tod entwickeln, die ihn in seinem Beruf stützt. So wurde der Tod für ihn zu einem «schrägen Bruder» – ein Bild, das ihm hilft, einen versöhnlichen Zugang zum Thema Sterben und Trauer zu finden.

Er erzählt in seinem Artikel «Tod, mein schräger Bruder» Geschichten von Menschen, die im Sterben lagen oder nahe Angehörige verloren haben. Dabei hat er festgestellt: «Glauben kann helfen beim Sterben. Die Vorstellung, dass jemand ‹auf der anderen Seite› auf mich wartet, tröstet sehr viele Menschen. Das Vertrauen, dass wir im Tod in die Hand Gottes fallen, in den Himmel kommen, ewigen Frieden bei Gott finden, in die Wohnung einziehen, die Jesus uns beim Vater bereitet hat (Johannes 14,2) – welches Bild auch immer Menschen dafür vor sich sehen – dieser Glaube kann sehr stark machen. Und macht viele Menschen sehr stark. Aber auch Glaube ist nach meinem Eindruck keine Garantie für ein angstfreies Sterben. So wenig wie nicht gläubige Menschen dazu verdammt sind, trost- und hoffnungslos zu sterben. Glaube kann helfen beim Sterben. Und tut das auch oft. Aber auch daraus würde ich keine Regel ableiten.»

Lassen Sie uns gemeinsam über Leben und Tod sprechen

Da sich die Religionslandschaft der Schweiz stark verändert hat, besteht das Bedürfnis über die Sterbe-, Todes- und Trauerrituale zu sprechen. Es gibt immer mehr Bedarf an nicht-christlichen Grabstätten, Spitäler, die mit nicht-christlichen Sterbenden konfrontiert sind und Menschen, die sich nicht-religiöse Rituale wünschen, um Abschied zu nehmen. Festivals wie «Hallo Tod!» in Zürich zeugen von diesem gesellschaftlichen Bedürfnis, über Tod und Trauer zu sprechen und einen Umgang mit dem Tod zu finden, der doch Teil unserer aller Leben ist. religion.ch möchte mit dieser Artikelserie einen Beitrag dazu leisten, die Todes- und Trauerrituale in der aktuellen Religionslandschaft der Schweiz näher kennenzulernen.

Auf religion.ch finden Sie neben Beiträgen, die das Thema TodTrauer und Bestattung in den unterschiedlichen Glaubensformen beleuchten, vielfältige Artikel zu anderen gesellschaftlich relevanten Themen. Entdecken Sie mehr in unseren Serien: