Kirche, Steuer, Spenden: Religionsgemeinschaften und ihre Finanzierung in der Schweiz

Ist Religion Privatsache? Oder liegt sie in der Verantwortung der Öffentlichkeit? Dies sind weitreichende Fragen, denn sie betreffen die Grundvoraussetzung für die Existenz von Religionsgemeinschaften wie auch für religiöse und spirituelle Angebote: das Geld. Wird Religion gänzlich als Privatsache verstanden, steht jeder und jede Einzelne in der Verantwortung, die Befriedigung des persönlichen Bedürfnisses an Religiosität und Spiritualität zu finanzieren – sei dies über das Leisten eines Mitgliederbeitrags, den Zehnten, das Kaufen einschlägiger Literatur oder sonstige Spenden. Wird Religion hingegen als gesellschaftliche Angelegenheit gesehen, wäre eine staatliche Kirchenfinanzierung oder Finanzierung weiterer Religionsgemeinschaften die logische Konsequenz.

Wie sehr Religion als Sache der Öffentlichkeit oder jedes und jeder Einzelnen verstanden wird, hat sich in verschiedenen Teilen dieser Welt in die Verfassungen der Nationalstaaten niedergeschlagen. Man spricht von einer «Staatsreligion», den «Landeskirchen» oder auch von der «Trennung von Kirche und Staat», von «Laizität» oder einem «säkularen Staat». Diese Aufzählung beinhaltet ein ganzes Spektrum an staatlichen Beziehungsmodellen zu den in den jeweiligen Staaten vorherrschenden Religionsformen. Aber was eine «Trennung von Kirche und Staat» oder allgemeiner – «Religion und Staat» – bedeutet, ist nicht einfach klar. Sie kann rechtlich, politisch und sozial sehr unterschiedlich ausgestaltet sein, wobei in der Schweiz über die Kantone hinweg beinahe das komplette Spektrum an «Beziehungsmodellen» abgedeckt wird. Mehr dazu kann im Artikel von Christoph Winzeler aus unserer Serie «Religion und Staat» nachgelesen werden.

Welche Religionsgemeinschaften und religiösen Angebote staatlich unterstützt und finanziert werden, unterscheidet sich in der Schweiz demnach von Kanton zu Kanton (Michael Marti: Kirchenfinanzen heute und morgen) und hängt davon ab, in welcher Form von öffentlich-rechtlicher Anerkennung Religionsgemeinschaften mit dem Staat verbunden sind und ob sie überhaupt eine staatliche Anerkennung geniessen.

Öffentlich-rechtliche Anerkennung von Religionsgemeinschaften

Nicht jede Religionsgemeinschaft wird in der Schweiz von den Kantonen anerkannt. Gemeinschaften, die die Anerkennung anstreben, müssen gewisse Regeln einhalten und bereit sein, gewisse Pflichten zu erfüllen. Auch das unterscheidet sich wieder von Kanton zu Kanton: In Basel-Stadt zum Beispiel muss eine Gemeinschaft für eine «kleine Anerkennung» «gesellschaftliche Bedeutung haben, den Religionsfrieden und die Rechtsordnung respektieren, über eine transparente Finanzverwaltung verfügen und den jederzeitigen Austritt zulassen», wie Martin Baumann schreibt.
Abduselam Halilovic erklärt, dass zu den Pflichten aber auch Rechte kommen, «wie beispielsweise die Erhebung von Kirchensteuern, der Zugang zu öffentlichen Institutionen für die Seelsorge und die finanzielle Entschädigung für Dienstleistungen von gesamtgesellschaftlicher Bedeutung».

Der Prozess einer Anerkennung kann in der Praxis jedoch noch ganz andere Konsequenzen mit sich bringen, die in keinen Gesetzesbüchern niedergeschrieben sind. Roland Richter resümiert den Anerkennungsprozess der Jüdischen Gemeinde St. Gallen denn auch nicht durchwegs positiv: «In den ersten Jahren nach dem Grossrats-Beschluss konnte man sich mit Fug und Recht fragen, ob der Preis die Mühe wert war. Schlussendlich aber hat die Jüdische Gemeinde St. Gallen gut daran getan, sich vom Kanton als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkennen zu lassen.» Dabei sind es jedoch eher nicht die finanziellen Mittel der Kirchenfinanzierung, sondern die behördliche Zusammenarbeit und Wahrnehmung als Ansprechpartner, die besonders wertvoll sind.

«Anerkannt» oder eine «Landeskirche» zu sein, heisst heute jedoch auch nicht mehr, dass das Geld einfach fliesst. Die Schweizerische katholische Zentralkonferenz (RKZ) und die Evangelische Kirche Schweiz (EKS) haben gemeinsam eine Studie zur künftigen Kirchenfinanzierung in Auftrag gegeben, welche Michael Marti in einem Artikel erklärt. Die sinkende Mitgliederzahl in den katholischen und reformierten Kirchen bringt nicht nur langfristig schrumpfende finanzielle Mittel, sondern auch die Frage mit sich, ob Kirchensteuern zu erheben in einer Gesellschaft mit zunehmend religiös distanzierten Personen noch legitim ist. Damit befasst sich nicht nur der Artikel von Michael Marti, sondern auch die Beiträge von Christian Reber und von Daniel Kosch. Das Kirchensteuervolumen hängt jedoch nicht nur von den Mitgliederzahlen, sondern auch von der Finanzstärke oder dem Alter der Mitglieder, und insbesondere beim Anteil an Kirchensteuern von juristischen Personen von der wirtschaftlichen Konjunktur ab, wie Daniel Kosch ausführt.

«Die Anzahl Gottesdienste in Neuenhof wurde, auch aufgrund des schlechten Besuchs, zunächst auf zwei pro Monat reduziert, ab Juli 2022 wurden diese ganz eingestellt. Das Sommerlager für 1.-5.-Klässler, das aufgrund der Pandemie 2020 und 2021 nicht stattgefunden hat, wird nicht wieder gestartet und die Seniorennachmittage werden ab nächsten Winter in Wettingen für die Senioren der ganzen Kirchgemeinde angeboten», schreibt Lutz Fischer-Lamprecht, Pfarrer in Wettingen, zu den Auswirkungen des Spardrucks im Kirchenalltag. Beziehungsmodell «Landeskirche» hin oder her: der Faktor der sinkenden Mitgliederzahlen führt gerade auch in den evangelischen Kirchen immer stärker zu Sparzwängen und zu Engpässen in der Kirchenfinanzierung.

Staatliche Finanzierung, Spenden und Stiftungen

Ob und wie viel Geld eine Religionsgemeinschaft erhält, hängt ausserdem in vielen Kantonen von ihrem «gesamtgesellschaftlichen Nutzen» ab. In Kantonen wie Zürich, Basel-Stadt, Luzern oder Bern erklärt Christian Reber, heisst das, dass «staatliche Unterstützungsleistungen in finanzieller, administrativer und personeller Form nicht für kultische – also religiöse – Zwecke verwendet werden dürfen, sondern einzig für Leistungen, die allen Menschen einer Gesellschaft zugutekommen. Also auch Menschen, die nicht Mitglieder der betroffenen Religionsgemeinschaft sind. Welche Leistungen dies genau sind, ist umstritten und nicht in allen Fällen klar abzugrenzen und zu definieren.» Entsprechend besteht ein grosser Bedarf, diesen gesamtgesellschaftlichen Nutzen zu diskutieren. Wer erbringt solche Leistungen? Sollen alle Gemeinschaften berücksichtigt werden, sofern sie Leistungen von gesamtgesellschaftlichem Nutzen erbringen? Und weshalb sollten dann religiöse Gemeinschaften gegenüber Vereinen bevorzugt werden, wenn sie vor allem für ihre nicht-religiösen Leistungen Geld erhalten?

Emotionale Diskussionen über die Beziehung von Staat und Religion prägen das Thema der Kirchenfinanzierung, aber auch der Finanzierung von anderen öffentlich-rechtlich anerkannten Religionsgemeinschaften, genauso wie der Finanzierung von nicht-anerkannten Religionsgemeinschaften. Geht es um die Kirchenfinanzierung, wird das Argument vorgebracht, es sei für einen Staat, in dem sich immer mehr Menschen von den grossen kirchlichen Institutionen distanzieren und die Vielfalt an Religionsgemeinschaften immer stärker zunimmt, nicht mehr zeitgemäss, für die Kirchen Steuern einzutreiben.

Angesichts der wachsenden Diversität an Weltanschauungen stellt sich für einen liberalen Staat die Frage, wie er das Gebot der Gleichbehandlung aller auch gegenüber den Religionsgemeinschaften einlöst. Nur Kirchensteuern zu erheben und diese anteilig an die «Landeskirchen» weiterzureichen, führt zu mehreren Problemen. Die grossen Kirchen werden in diesem System gegenüber den anderen Religionsgemeinschaften und religiösen und spirituellen Angeboten bevorzugt. Ausserdem werden je nach Kanton auch nicht religiöse, anders religiöse Menschen oder juristische Personen zur Kasse gebeten, die kirchliche Arbeit mit ihren Steuergeldern zu finanzieren. Doch was ist die Lösung? Sollen alle demokratiekonformen und staatsbejahenden Religionsgemeinschaften gleichermassen anerkannt werden und von einer staatlichen Finanzierung profitieren oder soll die Finanzierung von Religion und Spiritualität gänzlich zur Privatsache und somit auch privat finanziert werden? Hier scheiden sich die Geister. Lesen Sie dazu die Beiträge von Valentin Abgottspon, Martin Baumann oder Daniel Kosch aus der Serie «Religion und Staat».

Nicht zuletzt sind es jedoch auch die nicht-staatliche Finanzierung und das Eintreiben von Spendengeldern, die immer wieder zu hitzigen Debatten führen. Dürfen Religionsgemeinschaften in der Schweiz von ausländischen Spenden profitieren? Wie viel dürfen Religionsgemeinschaften von ihren Mitgliedern verlangen und wie viel dürfen religiöse und spirituelle Angebote kosten? Darf für solche Dienste überhaupt Geld verlangt werden? Im Podcast von Mirella Candreia mit Prof. Dr. Andreas Tunger-Zanetti hören Sie, weshalb dieses Thema insbesondere bei muslimischen Gemeinschaften auch gesellschaftlich für Diskussionen sorgt.

Wie mit Geld und Spenden umzugehen ist, kann jedoch nicht nur die Gesellschaft, sondern auch Beziehungen aufwühlen. Im Artikel von Andrea Zimmermann aus unserem Thema «Liebe und Ehe» hören wir eine Stimme aus ihrer Forschungsarbeit zu binationalen Paaren, bei denen die Spenden an buddhistische Mönche zu roten Köpfen bei den Schweizer Männern führen: «die nötigen die Männer richtig, zu geben. […] Wir bekommen jeden Monat einen Brief, in dem es wieder einen Aufruf hat. Ich schmeisse es immer gleich ins Altpapier. Da steht drauf, wer wie viel gespendet hat. Weisst du, diese Spendenliste, der Name und wer wieviel gegeben hat. Oder, die schreiben das! Darum willst du ja möglichst auch weit vorne sein. Ja, nein, der hat 500 gegeben, dann gib du 600».

Kirchensteuer und Ihre Verwendung: Immer fair und transparent?

Insbesondere muslimische Gemeinschaften sind in der Schweiz seit längerem nun stärker verankert. Sie engagieren sich als Seelsorger:innen in Spitälern und Gefängnissen, halten Vorträge vor Abstimmungen, sind Ansprechpartner:innen für Behörden und versuchen, durch eine aktive Öffentlichkeitsarbeit zu einem friedlichen Zusammenleben beizutragen. Diese Arbeit zu finanzieren, ist schwierig, wenn manchmal fast zu wenig Geld da ist, um Räume oder einen Imam zu bezahlen, wie Abduselam Halilovic schreibt. Trotzdem wird ein gewisses Engagement erwartet. Gerade der interreligiöse Dialog lebt aber auf muslimischer Seite eigentlich gänzlich vom Ehrenamt.

Dabei wäre der interreligiöse Dialog eine Leistung im Bereich des gesamtgesellschaftlichen Nutzens. Rifa’at Lenzin und Katja Joho erklären, wie dieser in der Schweiz finanziert wird und kritisieren, dass gerade kleinere Religionsgemeinschaften am interreligiösen Dialog oft nicht auf Augenhöhe teilnehmen können, weil sie von den grossen Kirchen abhängen, die diese Geldtöpfe der Kirchenfinanzierung in einigen Kantonen kontrollieren und verteilen. Während in den katholischen und evangelischen Kirchen teilweise Personen für den interreligiösen Dialog angestellt werden, müssen nicht-anerkannte Religionsgemeinschaft auf das Ehrenamt bauen und solch wichtiges Engagement am Abend, in der Freizeit nach ihren Verpflichtungen bei ihren eigentlichen Anstellungen erledigen. Natürlich sind da die Spiesse nicht gleich lang.

Religionsgemeinschaften, Kirche und Finanzierung: Wir geben Einblicke

Gesellschaftliche Megatrends der Pluralisierung und Individualisierung von Religion wie auch der Säkularisierung werfen Fragen bezüglich der Kirchenfinanzierung und Finanzierung von anderen Religionsgemeinschaften in der Schweiz auf. Sollen Religionsgemeinschaften über den Staat und damit die Öffentlichkeit finanziert werden? Oder ist Religion Privatsache und jeder und jede selbst verantwortlich? Was ist an Religion für die Gesellschaft so wichtig, dass es eine staatliche Finanzierung rechtfertigt? Welchen Beitrag leisten Religionsgemeinschaften, der über den von Vereinen und anderen zivilen Organisationen hinaus geht? Und nicht zuletzt: Sind die Gelder in dieser veränderten Gesellschaft noch gerecht verteilt? Darüber müssen wir reden. religion.ch behandelt gesellschaftsrelevante Themen und beleuchtet sie aus verschiedenen Perspektiven: